Das Psychogramm eines kranken Stars

Enke hatte Depressionen und war seit 2003 in Behandlung. Seiner Frau und seinem Arzt erzählte er zuletzt, dass es ihm besser ginge. Er hat sie offenbar getäuscht, weil er sich umbringen wollte
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Der verstorbene Nationaltorhüter Robert Enke.
dpa Der verstorbene Nationaltorhüter Robert Enke.

Enke hatte Depressionen und war seit 2003 in Behandlung. Seiner Frau und seinem Arzt erzählte er zuletzt, dass es ihm besser ginge. Er hat sie offenbar getäuscht, weil er sich umbringen wollte

Robert Enke war ein Star. Er verdiente zwei Millionen Euro im Jahr. Mit 32 Jahren hatte er seine besten Jahre noch vor sich. Er hatte eine schöne Frau und eine niedliche Tochter. Fans in den Stadien jubelten dem Torwart der deutschen Nationalmannschaft zu.

Dennoch warf sich Enke am Dienstagabend vor einen Zug. Mit seinem Geländewagen war er zu den Bahngleisen am Ortsrand von Neustadt-Eilvese gefahren, hatte seinen Geldbeutel auf dem Sitz liegengelassen und sich auf die Gleise gestellt. Ein Regionalexpress mit Tempo 160 erfasste ihn. Enke war sofort tot.

Warum hat er das getan? Weil er keinen Ausweg mehr wusste als den Suizid. Weil er krank war. Seine Krankheit verheimlichte er Kollegen und Fans. Und zuletzt verschwieg er sie sogar seiner Frau. In einem Abschiedsbrief entschuldigt sich Enke jetzt bei seiner Frau und seinen Ärzten. Dafür, dass er nicht die Kraft hatte, weiter zu kämpfen.

Robert Enke litt an Depressionen – ein Tabuthema im Fußball. Er war seit Jahren in Behandlung, beim Kölner Mediziner Valentin Markser. Gestern äußerte sich der Therapeut erstmals zu Enke. Zutage tritt das Psychogramm eines kranken Stars, der in seinem Leben viele Schicksalsschläge hinnehmen musste.

Es ist das Jahr 2003. Enke spielt beim Topclub FC Barcelona. Es läuft schlecht: Nur einmal darf er spielen, sonst sitzt er nur auf der Bank oder sogar der Tribüne. Auch ein Wechsel zu Fenerbahce Istanbul bringt keinen Erfolg. Als er in seinem ersten Spiel Fehler macht, bewerfen ihn die Fans mit Dosen und Münzen. Der Misserfolg hat Auswirkungen auf seine Psyche „Er hatte Depressionen und Versagensängste“, sagt sein Arzt Markser. „Ich habe angefangen, ihn mehrere Monate täglich zu behandeln.“ Enke wechselte nach Teneriffa, später nach Hannover – sein Zustand besserte sich mit dem beruflichen Erfolg, den er spätestens bei Hannover 96 wieder hatte.

Doch Anfang Oktober 2009 meldete sich Enke wieder bei seinem Therapeuten. „Er rief mich an, weil er spätestens seit Sommer, im Zusammenhang mit seiner Infektion, zunehmend in eine Krise geriet mit depressiven Störungen und Antriebsstörungen“, sagt Markser. Enke hatte wegen einer bakteriellen Mageninfektion seinen Platz als Nummer eins im Tor der Nationalmannschaft vorerst verloren und konnte nicht trainieren. „Er war ein paarmal in Köln für mehrere Tage. Sein Zustand stabilisierte sich“, sagt sein Arzt. „Er wollte zurück ins Training, spielte zweimal in der Bundesliga – die wichtigste Aktivität, die ihm Bestätigung und Ablenkung gab.“

Als er ihm vorgeschlagen habe, sich für eine Therapie in eine Klinik einweisen zu lassen, habe Enke abgelehnt, sagt Markser. Für eine Zwangseinweisung habe es keinen Grund gegeben. „Noch am Tag des Selbstmords sagte er, es gehe ihm besser.“ Und: „Ein Selbstmord zeichnete sich meiner Ansicht nach nicht ab. Wir haben es letztendlich in der Gefährdung nicht gemerkt.“ Doch Enke täuschte sein Umfeld über seine tatsächlichen Gefühle – und brachte sich um.

Robert Enke hinterließ einen Abschiedsbrief. Darin entschuldigt er sich bei seinen Angehörigen und Ärzten. Weil er sie über seinen wahren Zustand getäuscht hat. Um sich umbringen zu können.

Volker ter Haseborg

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