Chelsea light fehlt die Zeit

Sportchef Frank Arnesen, zuvor in London, will den HSV mit Talenten von seinem Ex-Klub nach vorne bringen – bislang ohne Erfolg.
Paul Willke |
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Sportchef Frank Arnesen, zuvor in London, will den HSV mit Talenten von seinem Ex-Klub nach vorne bringen – bislang ohne Erfolg

Hamburg Bei seinem Gang über den Flur in sein Büro schreitet HSV-Sportchef Frank Arnesen (54) jeden Morgen durch eine Art Zeit-Tunnel. Links wie rechts hängen Fotos vergangener Triumphe mit Konterfeis einstiger Helden wie Uwe Seeler, Horst Hrubesch, Kevin Keegan oder Felix Magath. Im Büro reicht dem ehemaligen dänischen Nationalspieler ein Blick auf die Tabelle, um in der Wirklichkeit anzukommen. Mit einem Punkt rangiert sein HSV auf dem 16. Rang.

Streng genommen polieren die nackten Zahlen sogar das triste Gesamtbild noch etwas auf. In Dortmund hätte es statt eines 1:3 auch ein Debakel historischen Ausmaßes geben können; beim 2:2 im Heimspiel gegen Hertha verhinderte das Aluminium – die Gäste trafen drei Mal Pfosten und Latte – eine völlig verdiente Niederlage. Zuvor gab es im Pokal auch nur einen 2:1-Zittersieg beim Fünftligisten VfB Oldenburg. Erfolg, das ist sicher, geht anders.

Nun konnte niemand vor der Saison erwarten, dass der HSV zum Spiel in die Allianz-Arena als ebenbürtiger Rivale anreist. Frank Arnesen hatte schließlich die alten Zöpfe beim Bundesliga-Dino gleichsam mit der Heckenschere abgetrennt. Großverdiener wie der einstige Bayern-Star Zé Roberto, Frank Rost oder Ruud van Nistelrooy mussten gehen, der Etat wurde von 46 Millionen auf 35 Millionen Euro abgespeckt. Sogar der Physiotherapeut wurde ausgewechselt. Die neue Vereinshymne könnte – frei nach Xavier Naidoo – auch „Wir müssen geduldig sein” heißen. Fast im Tagestakt fordert die Führungscrew Geduld und Zeit für das radikal verjüngte Team ein – wohlwissend, dass das Saisonziel gesicherter Mittelfeldplatz beim einst erfolgsverwöhnten HSV in etwa so sexy klingt wie der „Verlierercup”, wie Franz Beckenbauer einst den Uefa-Cup titulierte, für die Bayern-Fans.

Dennoch gab es sehr wohl grundsätzlich große Sympathie für den neuen Kurs. Mit der Präzision eines Chirurgen hatte Cheftrainer Michael Oenning vor dem mächtigen Aufsichtsrat die Schwachstellen des alten HSV – überalterter und viel zu teurer Kader, mangelnde Laufbereitschaft – in einer Powerpoint-Präsentation seziert und einen Umbruch angekündigt. Das klang irgendwie nach Dortmund, nach jungen Wilden. Blöd nur, dass die Nachwuchsarbeit nach ständigen Rochaden in der Leitung einer Trümmerlandschaft gleicht; der ehemalige Vorstandschef Bernd Hoffmann nannte sie treffend eine „Geldvernichtungsmaschine”.

Arnesen musste also anderswo shoppen und schlug – naheliegend als ehemaliger Sportchef des FC Chelsea – bei seinem Ex-Arbeitgeber zu. Mit Michael Mancienne, Jacopo Sala, Gökhan Töre und Jeffrey Bruma kamen vier Talente des englischen Klubs an die Elbe.

Nach dem desaströsen Start gibt es inzwischen erste Zweifel am Chelsea-light-Kurs, zumal der von Oenning präferierte Königstransfer von Ilkay Gündogan platzte. Der Deutsch-Türke, seit seinen A-Jugend-Tagen in Bochum unter Oenning bekennender Fan des HSV-Trainers, sollte neuer Mittelfeld-Stratege werden. Eigentlich war der Vertrag im Frühjahr auch schon ausverhandelt. Dann zögerte der HSV jedoch nach den Turbulenzen in der Führungscrew so lange, bis Dortmund ein Angebot machte, das Nürnberg nicht abschlagen konnte.

Und nun ausgerechnet der FC Bayern. Die Allianz Arena, wo der HSV im März mit 0:6 unterging. Für Hamburg war es die Mutter aller Niederlagen: Trainer Armin Veh wurde beurlaubt, Torhüter Rost entging nach patziger Vorstandsschelte nur durch die Verletzung seines damaligen Stellvertreters Jaroslav Drobny einem ähnlichen Schicksal. Erleben die Hamburger nun ein Déjà-vu, also eine ähnlich desaströse Pleite, würde das dann folgende Heimspiel gegen den 1.FC Köln bereits zum ersten Belastungstest für das Verhältnis Oenning/Arnesen. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass sich der neue starke Mann beim HSV erst nach Zögern und mehreren Gesprächen mit anderen Kandidaten für die Weiterbeschäftigung von Oenning als Cheftrainer entschied.

Kein Wunder, dass Oenning, ein durchaus charismatischer und erstaunlich offener Trainertyp, heute auf die Regel „safety first” setzt. Gelingt bei den Bayern eine Sensation, wäre es der erste Schritt auf einem langen Weg, den Arnesen so beschrieb: „Der HSV ist ein großer Verein mit einer große Geschichte und großen Namen. Jetzt wollen wir aus diesem Verein wieder etwas Großes machen.” 

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