Brückner und das Wunder von Wien
Österreich fieselt Frankreich mit 3:1 ab. Der neue Trainer Karel Brückner wird von Fans und einheimischen Medien frenetisch gefeiert. Schon ist die Rede von einem "Herbstmärchen".
MÜNCHEN Ausnahmezustand im Nachbarland! „Karel Brückner formte ein neues Wunderteam“, titelte „Österreich“ nach dem grandiosen 3:1-Triumph in der WM-Qualifikation gegen Vize-Weltmeister Frankreich. Und die „Salzburger Nachrichten“, sonst eher um Sachlichkeit und Diszanz bemüht, schreiben in ihrer Montagsausgabe vom „Wunder von Wien“.
Tatsächlich ist das Ergebnis vom Samstagabend eine Sensation. Europa staunt über den Weltranglisten-101., der bei der EM im eigenen Land noch sieglos in der Vorrunde gescheitert war. Nun besiegte Austrias Auswahl den Vize-Weltmeister. Ein Sieg gegen die Franzosen, das gab es für Österreich zuletzt vor 38 Jahren. Viele Fans in Österreich fragen sich jedoch: Warum erst jetzt? Für die „Kleine Zeitung“ war Ex-Nationaltrainer Josef Hickersberger, der nach der EM zurücktrat, das Hindernis: „Unter Brückner scheint plötzlich eine Effektivität präsent, die in der Ära Hickersberger meist vermisst wurde.“
Österreich liegt Karel Brückner zu Füßen. Jenem weißhaarigen Tschechen, dem bei seiner Verpflichtung nach der EM zunächst Ablehunung entgegen geschlagen hatte. Mit 68 Jahren sei der Prager zu alt, er stünde nicht für einen Neuanfang. Doch schon wenige Wochen später erkennt man die Handschrift des alten Trainer-Fuchs’: offensiv, mit Begeisterung und System spielten die Österreicher vor 48000 staunenden Anhängern im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion. Nach dem Triumph gab es „Karel-Brückner“-Sprechchöre. „Ich habe die Rufe auch gehört, aber das war meine Familie“, flachste der. Und lobte seine Mannschaft: „Das war eine sehr disziplinierte Leistung.“ Bedankte sich artig bei den Fans: „Ich war auch von der Atmosphäre und Begeisterung im Stadion angenehm überrascht.“
Bei den Österreichern, für die die beiden Salzburger Marc Janko und Rene Aufhauser sowie Kapitän Andi Ivanschitz trafen, werden jetzt die ersten Hochrechnungen angestellt. „Das sind nur drei Punkte“, sagte Brückner, „aber wir brauchen noch 18.“ Um sich erstmals seit 1998 in Frankreich wieder für eine WM zu qualifizieren. Damals schied Österreich, übrigens mit Ex-Löwe Harald Cerny, nach der Vorrunde aus. Am Mittwoch geht’s in der Qualifikation weiter – gegen Litauen, das die Rumänen 3:0 bezwang. Die Presse ist jedenfalls optimistisch. Wolfgang Ruiner, Sportchef von „Österreich“, sagt: „Wir fordern jetzt, dass das Herbst-Märchen verlängert wird...“
Ex-1860-Profi Cerny allerdings konnte den historischen Sieg gar nicht live sehen. „Wir haben in Holzkirchen leider kein ORF 1“, sagte der 34-jährige Ex-Nationalspieler (47 Länderspiele/4 Tore) gestern der AZ, „aber die haben wir ganz schön weggeschossen, oder? Das war der erste große Sieg seit dem 1:0 gegen Schweden 1998, der uns zur WM gebracht hat.“
Für Cerny hat die neue Erfolgsgeschichte im österreichischen Fußball auch einen Grund: Die Vielzahl an Legionären. Martin Stranzl spielt bei Spartak Moskau oder Kapitän Andreas Ivanschitz bei Panathinaikos Athen. „Die österreichische Nationalmannschaft war immer stark, wenn sie viele Spieler hatte, die im Ausland kicken“, sagte der U15-Trainer des TSV 1860: „Für unseren Fußball wäre es so wichtig, dass wir uns mal wieder für ein internationales Turnier qualifizieren. Aber wir dürfen jetzt nicht anfangen zu träumen, sonst bleibt der Sieg über Frankreich eine Eintagsfliege.“
Oliver Griss
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