Breitner: "Wir spielen den Fußball von morgen"

Hier erklärt Paul Breitner, der 1972 Europameister wurde, warum Deutschland den Titel gewinnt, 2014 Weltmeister wird – und was ihn an den Spaniern langweilt.
Interview: Patrick Strasser |
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Wurde 1972 Europameister und zwei Jahre später Weltmeister: Paul Breitner.
Augenklick Wurde 1972 Europameister und zwei Jahre später Weltmeister: Paul Breitner.

Hier erklärt Paul Breitner, der 1972 Europameister wurde, warum Deutschland den Titel gewinnt, 2014 Weltmeister wird – und was ihn an den Spaniern langweilt.

AZ: Herr Breitner, die Italiener haben das Elfmeterschießen gegen England gewonnen, sind der DFB-Halbfinalgegner.

PAUL BREITNER: Alles läuft auf ein Finale Deutschland gegen Spanien hinaus. Es war im Grunde egal, wer der Halbfinal-Gegner der DFB-Elf wurde. Die Italiener werden sicher nicht so offensiv spielen wie gegen England.

Aber die Italiener liegen den Deutschen nicht, bei einem Turnier konnte man die Azzurri noch nie besiegen.

Auch da halte ich nichts von Statistik. Die Deutschen können sie am Donnerstag mit ihrer Physis kaputt laufen und mit ihrer Technik, ihrer Ballsicherheit ausspielen – da geht es auch mal zielstrebig und explosiv nach vorne. Die DFB-Elf kann vom zweiten Gang in den Turbo schalten, das ist entscheidend. Das ist der Weg der nächsten Jahre. Das ist die Zukunft.

Und die Spanier im ersten Halbfinale am Mittwoch?

Sie sind in der Summe stärker als Portugal – trotz eines Cristiano Ronaldo, denn die anderen zehn sind mittelmäßige Spieler. Aber generell muss ich sagen: Ich bin gelangweilt, enttäuscht und frustriert vom spanischen Fußball.

Wie bitte?

Spanien fehlt ein Messi, der ihr Spiel variantenreicher macht und es auflockert. Er hat mit seinem Spiel beim FC Barcelona die spanische Liga über alles in Europa gehoben.

Heißt: Real Madrid ist auch nur so stark, weil Spielmacher Mesut Özil dort den Takt vorgibt?

Nein, Mesut Özil bestimmt bei Real das Spiel mit. Aber Real spielt nicht den Ballbesitz-Fußball wie Barca. Das haben wir ja im Champions-League-Halbfinale gegen uns gesehen.

Doch alle Welt schwärmt von diesem Ballbesitz-Fußball der Spanier.

Ich nicht mehr! Dieses Hin- und Hergeschiebe der Bälle, das langweilt mich allmählich! Es passiert zu wenig. Es fehlt eben ein Spieler wie Messi, der in diesem Spiel immer wieder explodiert. Möglicherweise ist es so, dass die Spanier schon den Fußball von gestern spielen und wir den Fußball von morgen. Ich habe mittlerweile umgedacht: Für mich ist das DFB-Team nun Favorit Nummer eins.

Woran machen Sie das fest?

Erstens sehe ich keine Mannschaft, die so Fußball spielt, dass wir in den nächsten Jahren fürchten müssen, nicht die Nummer eins oder zwei im Weltfußball sein zu können. Zweitens haben Bundestrainer Löw und sein Stab die Mannschaft zu einer Weiterentwicklung des FC Barcelona und der spanischen Nationalelf geformt, nur aggressiver und offensiver. Ich lege mich fest: Die Deutschen werden jetzt Europameister und 2014 in Brasilien Weltmeister.

Wie groß ist der Verdienst von Joachim Löw an dieser Entwicklung?

Sehr groß. Aber ein Bundestrainer hat selten so eine Auswahl von herausragenden Spielern zur Verfügung gehabt, es gibt ja auf jeder Position Alternativen. Selbst ein Khedira fängt nun Basti Schweinsteiger auf, weil der noch ein paar Blessuren mit sich herumschleppt – sonst war das eben umgekehrt. Das ist doch großartig. Oder die Frage, ob Klose oder Gomez stürmen. Ja, das ist doch beinahe wurscht, die sind beide weltklasse. Ich kann mich in den letzten 20, 30 Jahren nicht erinnern, dass eine deutsche Elf auch nur ansatzweise die Chance hatte, den Fußball so zu dominieren. Diese Qualität muss zwangsläufig zu Titeln führen.

Nicht einmal die Teams, in denen Sie gespielt haben, die Mannschaften von 1972 und 1974, immerhin Europa- und Weltmeister, halten diesem Vergleich stand?

Was die Breite des Kaders angeht: nicht. Damals hatten wir meist nur einen Stamm von 13, 14, 15 Spielern, danach kam ein Leistungsknick, das war auch zu den großen Bayern-Zeiten so. Heute sind es 23 Spieler. Aus diesem EM-Kader kannst du doch aufstellen, wen du willst, da gehen keinerlei Prozentpunkte an Leistung verloren – das ist doch ein Traum!

Wie sehen Sie generell das Niveau dieser Endrunde?

Ich bin ziemlich frustriert von dieser EM – wir sind bisher die große Ausnahme. Schauen Sie sich doch nur die Franzosen, Holländer und Engländer an! Das Niveau ist für mich richtig enttäuschend. Von einem großen Turnier – und da sehe ich eine EM nur als Zwischenstation im Vier-Jahres-Rhythmus der Weltmeisterschaften – erwarte ich mir einen Trend, eine Tendenz, wo der Fußball hingeht. Früher war jeder gespannt, man fragte sich: Gibt es neue Trends? Gibt es neue Entwicklungen, Änderungen? Aber ich kann nichts erkennen. Der einzige Trend ist vielleicht: Überragende Mannschaften passen sich den schwächeren an.

Weil der Schwächere die Wahl der Waffen vorgibt, sich zurückzieht und am eigenen Strafraum verschanzt?

Genau. Es geht nur noch darum, mit Ausnahme von Spanien und Deutschland und überraschend auch Italien, nicht mehr zu verlieren. Mir wurde beigebracht, Fußball zu spielen, um zu gewinnen. Und wenn ich dann drüber nachdenke, dass bei der nächsten EM 2016 in Frankreich noch acht Nationen mehr, also dann 24, teilnehmen dürfen, frag ich mich, wohin das führen soll. Dann sind noch mehr Teams dabei, die sich hinten reinstellen und abwarten, die hoffen, vielleicht im Elfmeterschießen weiter zu kommen. Es tut mir leid: Das ist dann nicht mehr mein Fußball!

 

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