Bayern-Legende Pfaff: "Lukaku hat die Kraft eines Pferdes"
München - AZ-Interview mit Jean-Marie Pfaff: Der jetzt 67-Jährige spielte von 1982 bis 1988 beim FC Bayern, er war von 1976 bis 1987 belgischer Nationaltorwart (64 Einsätze), mit den Roten Teufeln war er Vize-Europameister 1980 und Vierter der WM 1986.

AZ: Hallo, Herr Pfaff, wie lange haben Sie den Viertelfinal-Einzug Ihrer Belgier eigentlich gefeiert? Schließlich haben die Roten Teufel den amtierenden Europameister Portugal aus dieser EM geschossen. Oder ist auch Ihr Fokus längst auf dem nächsten Gegner Italien?
JEAN-MARIE PFAFF: Ich hatte überhaupt viel Grund zum Feiern. Am Tag nach dem Weiterkommen meiner Belgier habe ich meinen 47. Hochzeitstag begangen. Meine Frau und ich sind 50 Jahre zusammen, davon 47 verheiratet. Die belgische Nationalmannschaft hat uns also das perfekte Hochzeitsgeschenk gemacht. Dafür ein großes Dankeschön. (lacht)
Ist das 1:0 gegen die Portugiesen der große Mutmacher? Es war nicht gerade das ansehnlichste Spiel dieser EM...
Nun, wir haben nicht viel zugelassen. Belgien spielt - wie immer - mit einem starken defensiven Block. Die Jungs da hinten drin sind fast alle über 1,90 Meter groß: Die räumen auf. Portugal ist kaum in unseren Strafraum gekommen. Und das, obwohl die Portugiesen mit Cristiano Ronaldo den vielleicht besten Spieler seit Diego Maradona haben. Was wäre Portugal ohne ihn? Dann wären sie gar nicht in den Sechzehner gekommen, nicht nur fast nicht. (lacht)
Pfaff über Belgien: "Nicht nur eine Top-Mannschaft, sondern zwei gute Mannschaften"
Wie groß sind die Sorgen in Belgien? Kevin De Bruyne und Eden Hazard mussten beide mit Verletzungen raus.
Das tut weh, aber die belgische Mannschaft von heute ist nicht mehr vergleichbar mit Belgien zu meiner Zeit. Wir hatten eine tolle erste Mannschaft, aber wenn einer verletzt war, hatten wir Probleme. Aber heute? Da kommen zwei andere rein - und du merkst kaum einen Unterschied. Wir haben nicht nur eine Top-Mannschaft, sondern zwei gute Mannschaften.
Jetzt geht es gegen Italien. Die Squadra Azzurra hat in der Vorrunde furios aufgespielt, hatte im Achtelfinale gegen Österreich aber großes Glück.
Österreich hätte es verdient, weiter zu kommen. Aber so ist Fußball, er kann sehr brutal und ungerecht sein - da spreche ich aus Erfahrung. Italien war anfangs stark, aber ich bin sicher, wir werden die Italiener nicht einfach ihr Spiel aufziehen lassen. Sie werden erleben, was es heißt, gegen Belgien und seinen defensiven Block zu spielen. Wenn man zulässt, dass sie sich ungestört entfalten, hat man
kaum eine Chance, aber das wird gegen uns nicht passieren. Wenn die Italiener mal hinten liegen sollten, ist das auch ein ganz anderes Spiel. Ich freue mich extrem, dass dieses Viertelfinale in München stattfindet, meiner alten Heimat, die sich immer noch wie Heimat anfühlt. Ich hatte bei Bayern eine tolle Zeit.
"Wenn du bei Darmstadt im Tor stehst, würde auch Welttorhüter Manuel Neuer die Bude vollkriegen"
Italiens Torwart Gianluigi Donnarumma hat gegen Österreich den Uralt-Rekord von Dino Zoff geknackt: Er war 1.168 Minuten bei Länderspielen ohne Gegentor. Ihre Meinung?
Ich gratuliere ihm zu dem Rekord. Aber man muss auch sagen, ein Torhüter lebt von seiner Abwehr. Wenn die Defensive ihren Job nicht macht, kannst du der einsamste Mann im Tor sein - und andererseits kann dich eine Bombenabwehr wie Superman aussehen lassen. Wenn du bei Darmstadt im Tor stehst, würde auch Welttorhüter Manuel Neuer die Bude vollkriegen. Nichts gegen Donnarumma, aber für mich steht Neuer über allen Keepern. Ein Großer bist du erst, wenn du dich jahrein, jahraus gegen die Besten der Welt bewiesen hast. In der Champions League, bei großen Turnieren - das sind die Spiele, die dich groß und großartig machen. Zeigst du deinen Bestes, wenn es gegen die Besten geht? Erst dann darfst du dich einen Großen nennen. Ein Rekord allein besagt noch nichts.
Wie bewerten Sie als Torwart-Legende die Generation der heutigen Keeper?
Mir gefällt nicht, dass keiner mehr die Bälle fängt, sondern immer nur rausfaustet. Da entstehen unkontrollierte Spielsituationen. Wenn man den Ball fängt, ist man Herr des Geschehens. Das ist im modernen Torwartspiel verloren gegangen.
Wie fühlt man sich denn als Torwart, wenn ein Sturmkoloss wie Belgiens Romelu Lukaku auf einen zustürmt?
Lukaku hat die Kraft eines Pferdes. Er weiß seinen Körper, seine Hüften, seine Ellbogen einzusetzen. Es macht sicher keinen Spaß, einen Zweikampf gegen ihn zu führen. Das gibt blaue Flecken, dabei ist er aber kein brutaler oder böser Spieler. Und ich verrate Ihnen eins.
Was?
Er ist ein extrem liebenswerter, freundlicher Mann, hochintelligent, spricht viele Sprachen fließend. Er hat etwas zu sagen, er setzt Zeichen.
Etwa mit seinem Knie-Protest gegen Rassismus.
Er ist ein Mann, der viel denkt und was zu sagen hat. Mir gefällt, dass er nie vergessen hat, wo er herkommt. Er stammt aus ärmlichsten, schwierigsten Verhältnissen. Er musste hungern, sein Leben war ein Überlebenskampf. Das hat ihn stark gemacht. Aber sein Herz ist bei all dem, was er erlebt hat, nie hart geworden. Wir haben uns erst vor zwei Wochen wieder getroffen. Ich mag ihn wirklich sehr, denn er ist bei allem Erfolg immer Mensch geblieben - ein guter Mensch.