„Australien? Wie Bielefeld!“

Der Weltmeister zur WM: Warum er sich an manche Spiele 1974 überhaupt nicht mehr erinnern kann, warum die Deutschen weit kommen können, die Afrikaner aber nicht
Von Florian Kinast
AZ: Herr Breitner, es gibt ein gutes Omen.
PAUL BREITNER: Und zwar?
Auch 1974 ging es in der Vorrunde gegen Australien, so wie nun am Sonntag. Und damals wurden Sie danach Weltmeister. Welche Erinnerung haben Sie denn noch an das Spiel damals?
Keine.
Wie, keine?
Nein, überhaupt keine. Ich habe so viele Spiele in meiner Karriere gemacht, da gab es viele, die waren bei Abpfiff abgehakt. Fertig, Aus, auf Wiederschauen. Gegen Australien, das war wie gegen Bielefeld oder Hannover. Bitt’schön, würde ich mich mit all diesen Spielen beschäftigen, dann würd’s mir irgendwann das Hirn zerreißen. Und wenn wir jetzt von der WM heute sprechen und der damals, dann fangen wir bitte nicht mit irgendwelchen Vergleichen an.
Sie sehen keine Parallelen?
Nein. Der Fußball und das ganze Geschäft drumherum hat sich dermaßen verändert, dass es nicht fair wäre, Vergleiche zu ziehen. Ich vergleiche einen VW aus den Siebzigern ja auch nicht mit einem heutigen Golf. Ich würde auch nicht tauschen wollen mit heute. Wozu? Das wollen nur Leute, die etwas versäumt haben, die möchten heute nochmal 20 sein. Ich mag auch nicht mehr Fußball spielen.
Anders ist ja auch die Unterbringung. Heute logiert das Team in einem Fünf-Sterne-Luxusresort, Sie waren damals in der spartanischen Sportschule Malente einkaserniert.
Malente, das war nun einmal das Leben 1974. So sind wir erzogen worden, in den Sechziger Jahren. Da war es ganz normal, dass du ein Zimmer hast mit sechs, sieben Quadratmetern hast. Ging ja da nicht darum, jemanden zu schikanieren oder zu bestrafen. Es war einfach das normale Leben. Heute würde das doch kein junger Mensch mehr verstehen.
Möglich aber auch, dass selbst bei all den Annehmlichkeiten heute ein Lagerkoller droht, so wie damals.
Wir hatten keinen Lagerkoller. Da habe ich mich damals schon furchtbar darüber aufgeregt, als davon zu lesen war. Lagerkoller, so ein Schmarrn.
Fünf Wochen können aber lang sein.
Wenn Du fünf Wochen beieinander bist, dann bist Du mindestens im Halbfinale. Da kommt kein Lagerkoller auf, da treibt dich die Euphorie von einem Spiel zum nächsten. Da sehe ich kein Problem, wenn sie so weit kommen.
Und, kommen Sie so weit?
Nur, wenn wir in jedem Spiel den Zusammenhang finden wie im Test gegen Bosnien. Die Mannschaft ist nicht reif genug, um zu taktieren, die müssen einfach marschieren.
Ein Leitwolf Ballack geht nicht ab?
Ballack ist kein Thema mehr. Das ist erledigt, daran denkt keiner mehr. Woran ich überhaupt nicht glaube, dass die Afrikaner irgendwas mit dem Viertel- oder Halbfinale zu tun haben werden.
Trotz Heimvorteil?
Nein. Die spielen zwar alle in Europa, aber in der Nationalmannschaft sind das lauter Individualisten, die nicht imstande sind, eine Mannschaft zu bilden. Eine Taktik, eine Ordnung, das haben sie immer noch nicht gelernt.
Immerhin gibt es einmal eine WM in Afrika. Hätten Sie das 1974 für möglich gehalten?
Natürlich nicht. Damals haben sich Europa und Südamerika abgewechselt. Dann kam 1994 die USA, dann schrien für 2002 die Asiaten, jetzt Afrika, das war die logische Folge.
Begrüßen Sie das?
Das ist kein Thema, über das ich gerne reden möchte.
Warum nicht?
Weil ich denke, dass Afrika was anderes braucht als eine Fußball-Weltmeisterschaft. Aber reden wir nach der WM weiter, warten wir ab, wie sich das Turnier entwickelt. Jetzt zu spekulieren und Szenarien zu konstruieren, das mag ich nicht. Freuen wir uns. Und übrigens, eine Gemeinsamkeit gibt es ja doch.
Die wäre?
Damals waren es drei Spiele in der Vorrunde, jetzt auch.
Nur, dass die DDR nicht mehr mitspielt. Gegen die haben Sie ja damals verloren.
Noch ein Unterschied. Diesmal gehe ich davon aus, dass sie alle Spiele gewinnen.
So zuversichtlich?
Tschuldigung, bei allem Respekt. Serbien, Australien, Ghana. Dann heißt es schon wieder Mördergruppe. Nächstes Mal bekommen wir Aserbaidschan, Turkmenistan und Kirgisien zugelost, und dann heißt es auch: Hammergruppe. Nein, wenn die Mannschaft von der ersten Minute an ins Rollen kommt, dann kann sie weit kommen. Meinetwegen auch ins Finale. Das sind dann die großen Spiele. Solche Spiele waren es auch, warum ich viel trainiert und mich geschunden habe. Aber nicht um eine 1. Runde im DFB-Pokal zu spielen. Oder gegen Australien.