Andi Brehme: "Scusa Italia, wir packen's!"

Hier erklärt AZ-Kolumnist Andreas Brehme, einst bei Inter Mailand, den Halbfinal-Gegner Italien: Warum Pirlo so wichtig ist, was Balotelli ausmacht und wo Schwächen und Stärken liegen
Von Andreas Brehme |
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Andrea Pirlo brachte Italien mit einem spektakulären Elfmeter weiter. Hilft nix: AZ-Experte Andi Brehme sieht Deutschland als Sieger
firo/AZ Andrea Pirlo brachte Italien mit einem spektakulären Elfmeter weiter. Hilft nix: AZ-Experte Andi Brehme sieht Deutschland als Sieger

Junge, Junge, freu’ ich mich! Deutschland gegen Italien im Halbfinale – das wird für mich das Spiel der Spiele. Unsere Jungs gegen die Fußballer aus dem Land, das mich damals so herzlich aufgenommen hat und wo ich die schönste und erfolgreichste Zeit meiner Karriere verbracht habe. Ich bin noch heute oft in Italien, habe dort sehr gute Freunde und von mir wird man sicherlich nicht hören, dass wir gegen Italien noch eine Rechnung offen hätten wegen 2006. Mamma mia, die Italiener haben damals im Halbfinale ihr bestes Spiel gemacht und uns verdient besiegt. So einfach ist das.

Aber natürlich schlägt mein Herz für Deutschland und natürlich werde ich am Donnerstag unsere Jungs anfeuern und nicht die Ragazzi.

Und unabhängig vom Ausgang des Halbfinals bin ich mir sicher, dass wir am Donnerstag ein Wahnsinns-Spiel erleben werden.

Mit Deutschland und Italien treffen die beiden Mannschaften aufeinander, die den interessantesten und aufregendsten Fußball im Turnier spielen. Die Spanier mit ihren ewigen Pass-Orgien reißen mich jedenfalls nicht mehr vom Hocker. Da ist mir zu wenig Passion dabei. Ganz anders bei den Azzurri. Wie sie England auseinandergenommen haben am Sonntag, wie sie immer weiter auf das Tor von Joe Hart angerannt sind, obwohl sie immer müder wurden und Chance um Chance liegen gelassen haben – das war Leidenschaft pur! Und wie dieser Wahnsinnskerl Pirlo dann mit dieser unbeschreiblichen Lässigkeit seinen Elfmeter verwandelt und den Engländern damit mental sozusagen das Genick bricht – Eccezionale! Herausragend!

Trotzdem glaube ich, dass das Turnier für uns nicht zu Ende sein wird am Donnerstag. Scusa Italia, aber wir packen es! Dieses Mal schlagen wir Italien. Mein Gefühl sagt mir: Wir kommen ins Finale!

Wieso ich das glaube? Nun, Italien ist stark, sehr stark sogar, vielleicht als Einheit sogar die stärkste Mannschaft des Turniers. Aber auch sie haben Schwächen. Und wir sind alles in allem besser, haben insgesamt die besseren Spieler in der Mannschaft. Es wird am Donnerstag nur um Nuancen gehen.

Die Köpfe der italienischen Mannschaft: Die Azzurri haben eine Mannschaft voller Charakterköpfe: Gigi Buffon hält mit seinen Krakenhänden alles, was auf seinen Kasten kommt. Ein genialer Torwart, der schon zu Oli Kahns Zeiten weltklasse war und es auch jetzt, wo Manuel Neuer dabei ist, stilbildend zu werden, noch ist. Daniele de Rossi im Mittelfeld ist ein Pitbull mit einer sehr feinen Technik. Sein Außenrist-Knaller vom Sonntag mit seinem schwächeren Fuß wäre das Tor des Jahres geworden, wenn er nicht an den Pfosten gesprungen wäre. De Rossi, durch und durch ein stolzer Römer, ist die Lunge des italienischen Spiels. Noch wichtiger ist aber zweifelsfrei Andrea Pirlo, die Seele der Azzurri. Ein genialer und schweigsamer Querkopf, für mich DER Spielgestalter der EM. Ohne ihn würde das ganze italienische Spiel nicht mehr funktionieren. Pirlo ist ein Spieler, wie es sie heute kaum mehr gibt: Ein Regisseur alter Schule, der alle Freiheiten hat, geniale Pässe spielt und den du als Gegner eigentlich nie ganz aus dem Spiel nehmen kannst. Gut für uns, dass er das aber hin und wieder selbst macht. Pirlo nimmt sich immer wieder seine Pausen. Mit Antonio Cassano und Mario Balotelli hat Coach Cesare Prandelli zudem ein charakterlich sehr schwieriges Stürmerpärchen nominiert. Balotelli hat die Anlagen, auf eine Stufe zu kommen mit Cristiano Ronaldo und Leo Messi. Aber bei ihm scheint im Oberstübchen einiges im Argen zu sein, ich habe Angst, dass er sich durch seine Eskapaden seine Karriere kaputt macht. Cassano galt mit 17 schon als süditalienischer Maradona. Dieses Versprechen konnte er nicht halten. Zwischendurch dachte ich, der landet wegen seines Charakters in den Niederungen der Serie C. Aber er hat sich doch noch gefangen, scheint ruhiger geworden zu sein, seit er Vater geworden ist. Dass er ein halbes Jahr nach seiner Herz-OP wieder so gut Fußball spielen kann, kommt für mich einem Wunder gleich.

Stärken der Italiener: Die Italiener leben in der Offensive vor allem von den genialen Einfällen Pirlos. Sie sind die einzige Top-Mannschaft bei der EM, die nicht nur mit kurzen, flachen Pässen, sondern auch mit halbhohen und langen Zuspielen operiert. Das macht sie so unberechenbar für den Gegner. Vor allem gegen England hat Pirlo ungemein davon profitiert, mit Riccardo Montolivo einen Spieler neben sich gehabt zu haben, der mit ihm rochieren und fast ebenso gute Pässe in den Fuß der sehr schnellen Stürmer schlagen kann. Montolivo, der eine deutsche Mutter hat und „der Deutsche” genannt wird, mag ich sehr gerne. Bayern war immer mal wieder interessiert an ihn, doch er wechselt jetzt zu Milan. Defensiv stehen die Italiener meist perfekt gestaffelt im Raum, die Abwehr bewegt sich wie eine Ziehharmonika hin und her, schnürt damit den Gegner ein.

Die Schwächen: 35 Schüsse haben die Azzurri gegen England abgegeben, davon 20 aufs Tor. Alleine Balotelli hatte elf Torannäherungen. Treffer sprangen dabei aber keine heraus. Die Chancenverwertung ist mehr als mangelhaft. Außerdem scheinen sie mir konditionell nicht auf der Höhe. Bisher ist ihnen nach 75 Minuten immer die Luft ausgegangen. Sollte es am Donnerstag in die Verlängerung gehen, sehe ich gute Chancen für uns.

Die Taktik: Da macht ihnen keiner was vor. Italienische Fußballer sind traditionell taktisch sehr gut ausgebildet. Sie haben ihre Gegner sowohl mit dem 3-5-2-System aus den ersten beiden Spielen und dem 4-3-1-2 zuletzt verwirrt und vor große Probleme gestellt. Trainer Prandelli lässt seine Jungs klassische Spielsysteme mit modernen Mitteln spielen. Das sieht gut aus - und macht die Italiener gefährlich für jeden Gegner. Gegen England haben sie auch bewiesen, dass sie das Spiel machen können. Gegen Deutschland erwarte ich Italien zwar etwas defensiver als gegen England, aber sie werden sich sicher nicht hinten reinstellen. Besiegen kannst du sie am besten, wenn du sie von Anfang über die Flügel unter Druck setzst. Vor allem die linke Abwehrseite mit Balzaretti, der technisch im Vergleich zu den anderen etwas abfällt, ist anfällig.

Der Trainer: Cesare Prandelli ist ein Gentleman, ein sehr sympathischer Typ. Als Fußballer war er ein ganz brauchbarer, aber recht langsamer Mittelfeldspieler. Ich glaube, ich habe in meinem ersten Jahr bei Inter einmal gegen ihn gespielt. Als Trainer stand er schon immer für Offensivfußball. Der Calcio ist sympathischer geworden, seit er die Azzurri coacht. Ich bewundere außerdem seinen Mut. Ich glaube, Jogi hätte sich nicht getraut, zwei verrückte Vögel wie Balotelli und Cassano zu nomnieren und spielen zu lassen.

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