"Alle haben wieder Bammel vor DFB-Elf"
AZ: Herr Breitner, die Nationalelf hat eine beeindruckende Qualifikation gespielt und acht Siege in acht Spielen erzielt. Das hat zuletzt eine Auswahl mit Ihnen im Kader geschafft. Das Team um Trainer Jupp Derwall vor der WM 1982 in Spanien mit Siegen gegen Bulgarien, Österreich, Albanien und Finnland. Wie groß ist Ihre Vorfreude nun auf die EM 2012?
PAUL BREITNER: Groß! Ja, wirklich. Aber noch größer jetzt schon auf die WM 2014 in Brasilien. Da sind dann all die Jungen, die wir nun drin haben, noch zwei Jahre weiter, sind gereift. Die wissen dann, wie der Hase läuft im internationalen Fußball.
Das macht die aktuelle Mannschaft, die zuletzt Österreich mit 6:2 abfieselte und am Dienstag zu einem Test bei EM-Gastgeber Polen in Danzig antritt, aus?
Ich freue mich darüber, dass wir derzeit eine Diskussion darüber führen, dass ein Mario Götze am Freitag in Gelsenkirchen nur auf der Bank saß.
Warum?
Weil das die Qualität des Kaders beweist. Ein Vergleich: Ein Cesc Fabregas wechselt von Arsenal zum FC Barcelona und ist erstmal nicht in der Startelf. Das zeigt doch, was die für ein Potenzial haben. Ein Turnier oder eine Meisterschaft gewinnen ja nicht immer in erster Linie die Stammspieler oder die, die am ersten Gruppenspieltag auflaufen. Es sind oft die Ergänzungsspieler. Wenn wir so weit sind, dass ein Götze, um den völlig zu Recht dieser Hype entstanden ist, nicht in der Startformation steht, dann sind das gigantische Aussichten.
Ist Spanien 2012 zu schlagen?Im EM-Finale 2008 und im WM-Halbfinale 2010 hieß es jeweils 0:1.
Wir sind nach den Spaniern der ganz große Mitfavorit. Wir sind jetzt in der Verfolgergruppe, aber dabei, aufzuschließen.
Was ist mit Holland, die Bundestrainer Jogi Löw genannt hat? Mit Frankreich, Italien, vielleicht sogar England?
Wir sind weiter als alle anderen. Punkt.
Hat das neue deutsche Fußballhochgefühl auch damit zu tun, dass man sich nicht mehr künstlich klein macht?
Ja. Ein gesundes Selbstbewusstsein, dass ausgereizt wird bis an den Punkt der Überheblichkeit, das bringt einem Punkte und Siege. Alle haben wieder Bammel vor unserer Nationalelf – wie früher. So, wie sich das gehört. Die Spielertypen, die wir jetzt haben, die Anführer Lahm und Schweinsteiger, müssen das erkennen und ausnutzen.
Eine Frage der Cleverness und der Mentalität. Dazu kommt diese ungeheure Spielstärke, an der Spitze Mesut Özil.
Wir haben einen Kader, der auch von dem Begriff Multikulti geprägt wird. Ich mag dieses Wort nicht, es geht eher um unterschiedliche Mentalitäten und Einflüsse – das bestimmt unseren aktuellen Spielstil, das bereichert uns. Wir sind auf einem sehr guten Weg, weg von den alten Gewohnheiten und Mythen.
Was meinen Sie konkret?
Endlich spielt unsere Mannschaft nicht mehr diesen Fußball, der von diesen typischen deutschen Komponenten geprägt ist. Gott sei Dank hat das nicht mehr mit früher zu tun, wir sind endlich weggekommen vom sturen Rennen und Kämpfen, vom Dazwischenhauen. Jetzt ist eine Leichtigkeit hineingekommen. Wir spielen mittlerweile einen Fußball, der sich am FC Barcelona orientiert.
Die Katalanen sind das Maß aller Dinge – wohl auch für den FC Bayern in der Champions League.
Wir sind auf einem guten Weg, in ein, zwei, drei Jahren zum FC Barcelona aufzuschließen. Ein Sieg gegen die Spanier wäre für den FC Bayern aber nur dann möglich, wenn wir auf einen FC Barcelona treffen, der nicht 80 oder 85 Prozent seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Das ist Realität.