"Alle haben Angst"

Schmerzhaft für Ohren und Augen: Hier zieht Günter Netzer ein erstes WM-Zwischenfazit. Er erklärt das schwache Niveau der Spiele, die neue Rolle der Deutschen und sein Ende als ARD-Experte
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Sieht die Inneverteidigung der Bayern als Problem: Günter Netzer
Kunz/Augenklick Sieht die Inneverteidigung der Bayern als Problem: Günter Netzer

Schmerzhaft für Ohren und Augen: Hier zieht Günter Netzer ein erstes WM-Zwischenfazit. Er erklärt das schwache Niveau der Spiele, die neue Rolle der Deutschen und sein Ende als ARD-Experte

AZ: Hallo? Herr Netzer? Hören Sie mich?

GÜNTER NETZER: Ja, klar und deutlich.

Erstaunlich, nach einer knappen Woche Vuvuzela-Dauerbeschallung.

Das stellt uns schon auf eine harte Probe. Es ist unerträglich. Das gehört nicht auf den Platz. Aber es ist hier Brauch, also müssen wir damit leben.

Was man in den Stadien hört, tut also weh, noch viel schmerzhafter ist aber, was man dort sieht. Die bisherigen Spiele waren ja nicht zum Mitanschauen, das ist ja erschütternd schwach.

Das Niveau ist nicht gut, wirklich nicht. Aber ein Fazit sollte man besser erst nach der Vorrunde ziehen. Die ersten Spiele sind sehr bedeutungsvoll, da passen alle auf.

Schon, aber all die Mannschaften, auf die man sich seit Monaten wegen ihrer Spielkultur Freude hat, Holland, Brasilien, Frankreich, sie alle rumpeln sich durch die Spiele. Da vergeht vielen ja schon die Lust an der WM.

Alle haben Angst, weil sie wissen, dass eine Niederlage im ersten Spiel ihre Lage in der Gruppe dramatisch verschlechtern würde. Das war doch noch immer so. Eine erfreuliche Ausnahme ist da die deutsche Mannschaft. Die ist meist auch nur schwer ins Turnier gekommen. Was sie gezeigt hat, war schon außergewöhnlich gut. Da stimmte alles punktgenau. Man darf aber auch nicht vergessen, es war nur ein Spiel, und vor allem gegen Australien. Allzu viel Euphorie ist da fehl am Platz.

2002 begann das Turnier ähnlich. 8:0 gegen die Saudis, danach ging es bis ins Finale.

Schon, aber bitte, wegen Saudi-Arabien sollte man sich genauso wenig feiern lassen wie wegen Australien. Die Spieler wissen ganz genau, dass die ganz schweren Aufgaben erst kommen.

Immerhin hat Löw gerade bei Podolski und Klose wieder einmal alles richtig gemacht.

Ich war von Löw schon immer beeindruckt, das wissen Sie. Von seiner Konsequenz, die oft schwer verständlich war, auch für mich. Dass er an zwei Stürmern festhält, von denen der eine gar nicht gespielt hat und der andere im Verein so schlecht, dass man das Vertrauen schon verlieren konnte. Aber Löw ist einer, der sich nicht beirren lässt. Der weiß, was er an seinen Spielern hat. Beeindruckend.

Auch die Welt ist wieder beeindruckt. 2006 begeisterte Deutschland als fröhlicher Gastgeber, 2010 mit einer sympathischen Multi-Kulti-Truppe. Das Bild vom hässlichen Panzer hat ausgedient.

Ich bemühe mich immer, beim Sport zu bleiben und es nicht politisch zu sehen. Ich lebe ja in der Schweiz, da ist es schon seit Jahrzehnten so, dass die Secondos, die in zweiter Generation im Land leben, im Fußball integriert sind. Die geben der Nationalmannschaft ein Flair, eine Vielfalt. Die Jungs tun unserer Nationalmannschaft sehr gut, natürlich auch weil sie gut und attraktiv Fußball spielen.

Aber gerade werden attraktivsten Fußball spielt, hat eine WM noch selten gewonnen, sonst wäre Holland ja Rekord-Weltmeister. Fürchten Sie schon, dass die DFB-Auswahl in Schönheit stirbt?

Nein. Nochmal, das erste Spiel, alles wunderbar. Schön, dass es passiert ist und wie es passiert ist. Australien. So. Und jetzt geht es weiter. Jetzt muss auch genug sein.

Genug haben nun auch Sie als ARD-Experte in der ARD, die WM ist Ihr letztes Turnier. Kommt schon Wehmut auf?

Nein. Mein Charakter ist nicht so, dass ich Wehmut empfinde. Ich habe genug getan, ich habe genug gesagt. Es ist für mich jetzt Zeit. Es waren 13 Jahre, auf die ich gerne und mit Freude zurückschaue.

Mit Gerhard Delling hatten Sie auch eine ideale Ergänzung.

Da muss ich ihm wirklich mal ein Kompliment machen, was mir schwer über die Lippen kommt. Für mich ist er ein Glücksfall gewesen.

Und was kommt danach?

Ich habe nie Planungen gemacht. Das Glück kommt bei uns allen irgendwann vorbei, man muss nur ein Gespür haben, einen Sensor, um im richtigen Moment zuzugreifen. Ich habe meine Chancen immer sehr gut und richtig erkannt. Ich bin dankbar. Ein wunderbares Berufsleben, das Privatleben ist es sowieso, besser kann es nicht sein. Ich bin so privilegiert, dass ich mein Glück gar nicht fassen kann. Ich bin ein Glücksritter.

Interview: Florian Kinast

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