Afrika – ein Wintermärchen
Ein Land platzt vor Stolz und präsentiert sich als Epizentrum der Freundlichkeit: Erst wird gelacht, dann wird’s gemacht.
Von Patrick Strasser
OR Tambo. Nein, das ist kein Name irgendeiner Tröte oder eines Fußballers. Es ist der Name des Mittelkreises dieser WM in Südafrika, zugleich Drehkreuz wie Fröhlichkeitsumschlagplatz.
OR Tambo heißt der Internationale Flughafen in Johannesburg. Sonntagmorgen, 6 Uhr. In einem portugiesischen Café, die Mitarbeiter aus Kamerun, selbstverständlich im Trikot, es herrscht Betrieb wie in Strafräumen vor Eckbällen. Engländer und Amerikaner verdauen die schweren Toasts und ihr 1:1 vom Vorabend. Deutsche, Australier, Brasilianer sind in Vorfreude vor ihrem ersten Auftritt. Zwischendrin Vuvuzelas, Sombreros, italienische Leichtigkeit und japanische Beflissenheit. Ein Jahrmarkt der Farben, der Weltkongress der Heiterkeit. Und immer mittendrin: Afrika, die Südafrikaner und dieses „Gefühl Afrika". Hier und jetzt. Afrika steckt in jeder Bewegung, in jedem Lachen.
Hätten Menschen Info-Laufbänder auf ihrer Stirn wie sonst Nachrichtensender am unteren Bildrand, würde bei den Gastgebern dieser lang ersehnten ersten WM auf dem afrikanischen Kontinent ständig geschrieben stehen: „We are proud. We are happy." Ein Land, ein Stolz.
Seit Freitag ist Afrika der Spielplatz der Welt. Früher war er das auch - Unterdrückung, Sklaverei, dritte Welt. Nun zeigt sich Afrika, die Wiege der Menschheit, als Epizentrum des Lächelns, des Stolzes. Wo man hinkommt, ob als Fan oder Reporter, schlägt einem die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Einheimischen entgegen. Egal, welches Problem es gibt: Erst wird gelacht, dann gemacht.
Vor vier Jahren, während der WM 2006 in Deutschland, dem „Sommermärchen“, wunderten sich viele Gäste, dass Deutsche nicht nur pünktlich sind und organisieren können, dass sie auch lachen und feiern können. Deutschland wurde neu entdeckt. Diesmal ist es ein ganzer Kontinent - und das im Winter auf der Südhalbkugel. Südafrika, ein Wintermärchen.
Natürlich ist vieles Improvisation, manches ein Experiment - doch das wird weggelächelt. Die Stadien, die Straßen, die Flughäfen, nicht alles ist fertig geworden, aber was soll's? Hier und da wird noch gebastelt, vielerorts auf absurd-komische Weise, aber immer: liebevoll. Zwei Beispiele: Die Laptops der Reporter an den Stadien sollen registriert werden. Eine freiwillige Helferin wirkt überfordert mit der Liste, sie verlangt nach dem Namen und einer Unterschrift. Als ich durch bin, hat sie beides. Nur keine Seriennummer des Laptops. Aber sie ist glücklich. Und wenn an den Flughäfen der Scanner nicht funktioniert, wird man durchgelächelt.
Natürlich ist die Sicherheit ein großes Thema: Es gab bewaffnete Überfälle, auf Touristen, auf Reporter. Diese Meldungen dringen durch in die Heimatmedien. So schlimm das für die Ausgeraubten war - die Einheimischen bestehen drauf, dass es vergleichsweise geringe Zahlen sind. Taschendiebstahl-Weltmeisterschaften finden nicht alle vier Jahre, sondern immer und überall statt.
Als Fußball-WM-Ausrichter ist Afrika ein Praktikant, der seine Sache gut macht. Nun blüht Südafrika auf. In Sandton, dem Dubai-ähnlichen Viertel Johannesburgs, oder nicht weit davon in Soweto. Beim 1:1 der Gastgeberelf „Bafana Bafana" („Unsere Jungs") gegen Mexiko fiel in Soweto kurzfristig der Strom aus, das Lächeln blieb.
1,6 Millionen Trikots der Südafrikaner sind schon verkauft, die Städte und Straßen bunt geschmückt, Straßenhändler machen durch. Und gute Geschäfte: bis zu 200 Rand, etwa 20 Euro pro Tag, sagen sie. Zum Vergleich: Eine Näherin verdient rund 50-60 Rand pro Tag.
Die Vuvuzelas bilden den Sound der WM, schon rufen Kommentatoren in Tageszeitungen dazu auf, gemäßigter damit umzugehen - und lieber zu singen. Man lernt eben dazu als Praktikant. Desmond Tutu, der ehemalige Erzbischof von Kapstadt und Kämpfer für Frieden und gegen Rassismus rief den Zuschauern beim Auftakt-Konzert zu: „Wir wollen der Welt für ihre Hilfe danken, dass wir uns zu einem wunderschönen Schmetterling entwickelt haben." Seit Freitag fliegt er. In den schönsten Farben.
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