60 statt 90 Minuten Spielzeit: FIFA diskutiert Fußball-Revolution

Wie wird in den kommenden Jahren Fußball gespielt? Das legt das FIFA-Regelgremium fest. Das Strategiepapier für die nächsten fünf Jahre enthält einige radikale Vorschläge.
von  Christoph Elzer
Besseres Verhalten der Spieler auf dem Platz ist eines der großen Anliegen der Kampagne "Play Fair!".
Besseres Verhalten der Spieler auf dem Platz ist eines der großen Anliegen der Kampagne "Play Fair!". © dpa/IFAB

Zürich – Das International Football Association Board (IFAB) hat zuletzt mit der Einführung der Torkamera eine richtungsweisende und verhältnismäßig revolutionäre Regelneuerung eingeführt. Unter dem Motto "Play Fair" wollen die acht Regelhüter des internationalen Fußballs den Sport nun noch deutlich tiefgreifender verändern.

Die Kampagne "Play Fair" ziele darauf ab, "das Spiel fairer, attraktiver und unterhaltsamer zu machen". Dafür will das Gremium sich an drei zentralen Leitlinien orientieren: "Fairness fördern und schützen", "den Sport für alle Geschlechter, Kulturen, sexuelle Orientierungen und Behinderungen offen gestalten" und "moderne Technologien" setzen. Es gehe darum, "den Ethos des Fußballs durch Regeln so zu verändern, dass das Spiel und die Spieler Vorbildcharakter für die Gesellschaft und vor allem für die Jugend" entwickeln.

Dafür macht das IFAB zahlreiche Vorschläge, die in drei Kategorien unterteilt sind: "Keine Regeländerung benötigt – könnte sofort implementiert werden", "bereit für eine Testphase" und "diskussionwürdig". Besonders in letzterer Kategorie finden sich einige Vorschläge, die sicherlich heftige Diskussionen hervorrufen werden.

Der Schiedsrichter pfeift, die Spieler rasten aus

Eines der offensichtlichsten Probleme im Fußball ist das Hadern (München) mit Schiedsrichterentscheidungen. Ständig wird protestiert und argumentiert, Rudelbildung ist an der Tagesordnung. Daher fordert die Regel-Kommission der FIFA, dass ab sofort nur noch der Mannschaftskapitän in einer strittigen Situation an den Schiedsrichter herantreten darf. Dies sei sofort durchsetzbar, als kleine Regelneuerung werden zudem Gelbe Karten für Spieler gefordert, die sich an Rudelbildung beteiligen. In besonders schlimmen Fällen könnte man auch gegen den Verein oder einzelne Spieler Geldbußen aussprechen.

Auch an der Seitenlinie soll etwas Ruhe einkehren: Das IFAB fordert Gelbe und Rote Karten für Trainer und andere Vereinsangehörige auf der Bank. So wisse jeder genau, wann er kurz davor sei, aus dem Innenraum verwiesen zu werden.

Diese Regeländerungen würden sicherlich vielen Fußballfans aus dem Herzen sprechen. Deutlich radikaler ist da schon der zur Diskussion freigegebene Vorschlag für Rote Karten gegen Einwechselspieler: Wenn ein eingewechselter Spieler direkt Rot sieht, solle die Anzahl der verbliebenen Wechsel seines Teams um eins verringert werden. Falls bereits alle drei Wechsel durchgeführt wurden, solle die Mannschaft im nächsten Spiel einen Wechsel weniger zur Verfügung haben.

Kampf dem Zeitspiel

Ein großes Anliegen des Gremiums ist die effektive Spielzeit während eines Matches. Durch Diskussionen, langes Zögern beim Abschlag oder Einwurf, quälend langsame Ein- beziehungsweise Auswechslungen ist die effektive Spielzeit eines Fußball-Matches schon längst nicht mehr bei 90 Minuten. Das IFAB geht nach eigenen Untersuchungen sogar davon aus, dass der Ball in den meisten Fällen nur noch weniger als 60 Minuten rollt. Um das zu ändern, hat man einige Vorschläge parat.

Die naheliegendste (und bereits durch das aktuelle Regelwerk abgedeckte) Lösung sei, dass die Schiedsrichter gewissenhafter die Zeit anhalten. Dass am Ende der ersten Halbzeit normalerweise eine Minute und am Ende der zweiten zumeist drei Minuten nachgespielt werden, entspreche selten den tatsächlichen Unterbrechungen.

Im Detail soll der Schiedsrichter seine Uhr anhalten:

  • Vom Zeitpunkt eines Elfmeterpfiffs bis zu dem Moment, in dem der Spieler den Ball tatsächlich schießt.
  • Wenn ein Tor geschossen wurde bis zu dem Moment, in dem der Wiederanstoß ausgeführt wurde.
  • Von dem Moment, wo der Schiedsrichter einen verletzten Spieler fragt, ob er ärztliche Hilfe braucht bis zu dem Zeitpunkt, wenn der Ball wieder läuft.
  • Vom Zeitpunkt des Zeigens einer Gelben oder Roten Karte bis zu dem Zeitpunkt, wenn der Ball wieder rollt.
  • Von dem Moment an, wenn der Schiedsrichter einen Wechsel genehmigt, bis zum Fortsetzen des Spiels.
  • Ab dem Augenblick, in dem er das Spray einsetzt und/oder die Distanz zwischen Freistoßpunkt und Mauer abschreitet bis zur Ausführung des Freistoßes.

Außerdem solle beim Abstoß die Sechs-Sekunden-Regel strikt eingehalten werden.

All dies ließe sich ohne Regeländerung mit Beginn der neuen Saison einführen. Zudem wird vorgeschlagen, die Regeln so zu verändern, dass ein Spieler bei der Auswechslung das Spielfeld auf direktem Wege in Richtung Seitenaus verlässt und nicht erst langsam bis zur Mittellinie vortrottet.

Nur noch 60 statt 90 Minuten Spielzeit?

Der Punkt "diskussionswürdig" wartet dann mit Vorschlägen auf, die den Fußball radikal verändern würden. Hier geht es um nichts weniger, als eine echte Regel-Revolution. Ausgehend davon, dass die Nettospielzeit ohnehin nur 60 Minuten betrage, regt man an, ein Match auf zwei Halbzeiten von jeweils dreißig Minuten zu verkürzen.

Die letzten fünf Minuten der ersten Halbzeit und die letzten zehn Minuten der zweiten würden in den meisten Fällen ohnehin mit Zeitspiel verschwendet werden, so die Kommission. Eine Verkürzung der Brutto-Spielzeit um ein Drittel würde massiv Druck auf die Vereine und Spieler ausüben, dieses Vorgehen künftig zu unterlassen.

Die Uhr des Schiedsrichters solle jedes Mal gestoppt werden, wenn der Ball ins Aus geht oder aus irgendeinem anderen Grund gerade nicht rollt. Die Spielzeit würde also ausschließlich dann gezählt werden, wenn der Ball auch in Bewegung ist. Zusätzlich könne man die Uhr des Schiedsrichters mit der Stadionuhr koppeln, die auch immer angehalten werde, wenn der Schiedsrichter dies tut. So würden auch alle Zuschauer genau sehen, wie viel Zeit tatsächlich gespielt wurde.

Außerdem ließe sich der Spielfluss beschleunigen, wenn ein Spieler nach einem Freistoß den Ball erneut berühren dürfe, ein gefoulter Angreifer mit einem schnell ausgeführten Freistoß also beispielsweise sein Dribbling fast ohne Unterbrechung fortsetzen könnte. Zudem sollte der Ball beim Abstoß auch in Bewegung sein dürfen, eine Wiederholung des Abstoßes, weil der Ball nicht komplett ruhte, nerve alle Beteiligten nur und trage nichts zum Spiel bei. Auch soll der Torwart verpflichtet werden, den Abstoß auf der Seite des Sechzehners durchzuführen, auf der der Ball ins Aus ging. So soll verhindert werden, dass der Kepper erst zur einen Seite läuft, sich vom Balljungen den Ball geben lässt und dann gemütlich durch seinen Strafraum marschiert, bevor er am anderen Ende den Abstoß ausführt.

ABBA in jedem Stadion

In Sachen Elfmeter setzt man auf das "ABBA"-Prinzip, das derzeit auch schon bei der U17-EM durch dei UEFA erprobt wird: Kommt es zum Elfmeterschießen, wird nicht mehr, wie seit den 1970er-Jahren üblich, abwechselnd geschossen. Aus der Reihenfolge A, B, A, B und so weiter wird A, B, B, A und so weiter.

Im Klartext: Zunächst schießt Mannschaft A einen Elfmeter, dann treten zwei Schützen von Mannschaft B an, dann zwei Schützen von Mannschaft A - bis jeweils fünf Spieler geschossen haben. Steht nach je fünf Schützen kein Sieger fest, geht es einfach weiter, das bedeutet: Mannschaft B schießt einen weiteren Elfmeter, dann wäre zweimal Mannschaft A dran.

Und warum das Ganze? Man hofft auf mehr Gerechtigkeit. Untersuchungen haben ergeben, dass nach dem bisherigen Modus zu 60 Prozent jene Mannschaft gewinnt, die zuerst schießen darf. Die Mannschaft, die nachlegen muss, ist angeblich benachteiligt, weil sie unter einem größeren mentalen Druck steht.

Härteres Vorgehen gegen Handspiel

Handspiel ist sicherlich einer der größten Streitpunkte in der Regelauslegung. Auch hier bittet das IFAB um Diskussionen, allerdings geht es weniger um strittige Szenen, als um absichtliches Handspiel. Wer beispielsweise mit der Hand ein Tor erziele, solle zwangsläufig mit Rot in die Kabine geschickt werden, genau wie jemand, der mit der Hand ein Tor verhindert hat.

Ein absichtliches Rückspiel oder ein Einwurf eines Mannschaftskameraden, die ein Torwart mit der Hand aufnimmt, sollen mit einem Elfmeter statt mit indirektem Freistoß bestraft werden. Und besonders diskussionswürdig: Ein durch ein Handspiel verhindertes Tor soll dem mit der Hand agierenden Spieler nicht nur (wie bislang) die Rote Karte einbringen, sondern zusätzlich auch zählen. Der bislang stattdessen gegebene Elfmeter würde entfallen.

Aus ist erst, wenn der Ball im Aus ist

Für spannendere Schlussphasen hat das Regel-Gremium auch noch einen ziemlich außergewöhnlichen Vorschlag parat: Am Ende der ersten und zweiten Halbzeit dürfe erst abgepfiffen werden, wenn der Ball im Aus ist. So solle nicht nur verhindert werden, dass ein Angriff kurz vor dem Torschuss plötzlich abgepfiffen werde, sondern zudem will man den Teams Anreiz bieten, in den letzten Sekunden nochmal so richtig Gas zu geben, da der Angriff definitiv ausgespielt werden kann.

Beim Elfmeter stört die Regelwächter, dass viele Spieler schon in den Strafraum rennen, bevor der Schütze den Ball tatsächlich getreten hat. Um den Anreiz für solches Verhalten zu nehmen, schlagen sie vor, jeden Elfer im Spiel wie einen im Elfmeterschießen zu behandeln, also einen Nachschuss zu verbieten. So müssten weder Angreifer noch Verteidiger in den Elfmeter-Prozess eingreifen. Entweder der Schütze trifft, oder nicht – die Aktion ist damit beendet.

Wie viele dieser potentiellen Regeländerungen tatsächlich irgendwann zum Einsatz kommen, ist aktuell unklar. IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud ist sich aber sicher: "Das Strategiepapier ist ein Meilenstein für den Fußball!"  

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