Frommert im Interview: Wenn Männer sich schämen

Christian Frommert hat die Krankheit am eigenen Leib erlebt. Und ein Buch darüber geschrieben. „Ich bin noch lange nicht geheilt“, sagt Hoffenheims Pressechef. Und erklärt, was er dagegen unternimmt.
AZ: Herr Frommert, Sie haben letztes Jahr in Ihrem Buch „Dann iss halt was“ Ihre Magersucht schonungslos beschrieben. Wie geht es Ihnen heute?
CHRISTIAN FROMMERT: Ganz wunderbar. Ich bin auf dem Weg der Besserung, bin aber noch lange nicht geheilt. Ich bin immer noch in meinen Zwängen verhaftet: Ich stehe sehr früh auf, um Sport zu treiben. Ich esse nur einmal am Tag. Doch das Ganze hat sich ritualisiert. Früher habe ich manchmal mehrere Tage nacheinander nichts gegessen. Das mache ich jetzt nicht mehr.
Sondern? Wie viel essen Sie?
Nach wie vor ausschließlich Gemüse, Obst und Magerquark oder Joghurt. Zu besonderen Anlässen wie an Geburtstagen oder Weihnachten dünste ich mir einen ganz mageren Fisch. Was aber wichtig ist: Ich esse jetzt regelmäßig. Früher habe ich in einen Apfel gebissen und das war das Abendessen. Jetzt esse ich drei Äpfel oder einen schönen Gemüseteller. Deswegen geht es mir auch besser.
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Wie und wann hat die Krankheit bei Ihnen angefangen?
Ich bin magersüchtig seit 2008. Nachdem ich bei der Telekom gekündigt habe (Frommert war Kommunikationschef beim Radteam Telekom mit Jan Ullrich, die Red.), habe ich mich selbständig gemacht. Ich war verunsichert, weil ich wusste, dass ich perfekt funktionieren musste. Der Auslöser war also ein gewisser Selbstzweifel.
Waren Sie sich bewusst, krank zu sein?
Letztlich bis heute nicht. Magersüchtige glauben immer, alles im Griff zu haben. Nur als ich das Buch geschrieben habe, stellte ich fest, dass ich durch die Magersucht mein Leben verschenke.
Sie haben 2008 angefangen, sehr viel Sport zu treiben. Waren Sie vielleicht sogar zuerst süchtig nach Sport?
Nein. Sport ist für mich keine Sucht. Ich bin süchtig nach Bewegung. Ich will einfach Kalorien abbauen. Sport ist also nicht die Ursache für die Krankheit, sondern ein Mittel.
Wie war das, als Sie nur 39 Kilo gewogen haben? Konnten Sie da überhaupt noch aufs Fahrrad?
Ja, natürlich. Seit 2008 fahre ich jeden Tag Fahrrad. Ich kann es einfach nicht lassen. Ich habe damals viele Haare verloren und hatte Probleme mit den Knochen. Aber trotzdem bin ich aufs Rad. Weil ich wusste: Wenn es mir schlecht geht, dann geht es der Krankheit gut.
Haben magersüchtige Männer es schwerer als Frauen?
Ja, definitiv. Viele Männer wollen ihre Krankheit nicht zugeben, sie schämen sich. Magersucht gilt nach wie vor als Kleinmädchenkrankheit.
Sie arbeiten im Sportbereich. Welche Sportarten können Magersucht befördern?
Bei allen Ausdauersportarten wie Radfahren oder Laufen sehe ich die Gefahr. Auch Skispringer und Formel-1-Fahrer sind gefährdet.
Hat Ihre Arbeit unter Ihrer Krankheit gelitten?
Von der Qualität her nicht. Doch die Auftragslage hat sich damals deutlich verschlechtert. Ich musste von zu Hause aus arbeiten, weil ich keine Kraft mehr hatte, rauszugehen. Wenn ich damals doch jemanden getroffen habe, habe ich den Auftrag nicht mehr bekommen. Es hieß immer: „Werd’ erstmal gesund!“
Wie würden Sie anderen Magersüchtigen Mut machen?
Jeder muss seinen eigenen Weg aus der Krankheit finden. Das ist wichtig. Erstmal muss die Erkenntnis kommen: Ich will gesund werden. Erst dann kann der Heilungsprozess anfangen. Eines kann ich sagen: Es tut nicht weh, zu leben – es lohnt sich, gesund zu werden.
Wie sieht heute Ihr Tagesablauf aus?
Ich stehe zwischen vier und halb fünf auf und mache Dehnübungen, fünfzehn Minuten lang. Dann gehe ich aufs Fahrrad, bis zu drei Stunden lang, je nachdem, wie viele Termine ich habe. Dann laufe ich noch zwanzig Minuten. Dann in die Arbeit. Gegen halb sieben fahre ich nach Hause und esse.