Felix Neureuther im AZ-Interview: "Es gibt bald keine Gletscher mehr"

Der 37 Jahre alte ehemalige Skirennläufer war auf Slalom und Riesenslalom spezialisiert. Bei Weltmeisterschaften gewann er fünf Medaillen und holte 2005 mit der Mannschaft Gold.
AZ: Herr Neureuther, mit National Geographic haben Sie die Doku "Rettung für die Alpen - Unterwegs mit Felix Neureuther" gedreht und mit dem Bruckmann Verlag den Bildband "Unsere Alpen - Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können" veröffentlicht. Worum geht's?
FELIX NEUREUTHER: Um die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Alpen. Diese legen wir sowohl in der Dokumentation als auch im Buch dar und zeigen zudem Lösungen auf, was gegen den Klimawandel getan werden kann. Dafür habe ich verschiedene Wissenschaftler besucht: Permafrostler, Glaziologen. Im Wallis zum Beispiel gibt es aufgrund der Klimaerwärmung mittlerweile so wenig Niederschlag, dass Tannen und Kiefern aussterben, was noch kaum jemanden bewusst ist. Das bedeutet, dass viele Menschen in den Tälern umgesiedelt werden müssen. Mit der Douglasie hat man in dieser Region nun einen Ersatzbaum gefunden, der diesen natürlichen Lawinenschutz gewährleistet.

Sie haben die Veränderung der Alpen viele Jahre lang aus nächster Nähe erlebt. Wo war das besonders markant?
Saas-Fee. Brutal! Da konnte man jedes Jahr zuschauen, wie der Gletscher kürzer wurde. Was ich an der Uni Eichstätt über den aktuellen Gletscherschwund gelernt habe: Das ist schon der Wahnsinn. Noch nie in den vergangenen zehntausend Jahren hat die Gletscherschmelze so schnell stattgefunden wie jetzt. In Europa wird es bald keine Gletscher mehr geben. Was zum nächsten Problem führt: Die Alpen sind das größte Süßwasserreservoir Europas, und wenn der Wasserspeicher Gletscher nicht mehr vorhanden ist, hat das enorme Auswirkungen auf die Täler.
Neureuther: "Man muss viel langfristiger und größer denken"
Es ist ja nicht so, dass der Mensch nicht wüsste, dass er dringend etwas tun muss, um seinen Planeten zu retten - allein: Allzu viel geschieht immer noch nicht. Sehen Sie in der Politik bei irgendwem Anzeichen oder den glaubhaften Willen, da etwas zu ändern?
Was mich nervt: Dass immer zu parteipolitisch gedacht wird, dass es kein Miteinander gibt, dass nicht gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Stattdessen versucht nur jeder, für seine Partei ein paar Prozentpunkte herauszuholen. Das ist der große Verhinderer, auch in der Klimathematik. Es gibt gute Lösungsansätze, aber es muss viel schneller viel, viel mehr getan werden, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Wir müssen versuchen, den CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren - nur dann können wir auch was verändern. Das Problem ist: Die Auswirkungen des CO2-Ausstoßes spüren wir nicht unmittelbar, sondern erst in 20 bis 30 Jahren. Man muss viel langfristiger und größer denken, nicht nur im Hier und Jetzt.
Ein junges Mädchen namens Greta hat schon ziemlich viel erreicht mit ihrem entschlossenen Auftreten - ein Vorbild auch für Ihre Kinder?
Ich finde diese ganze Bewegung toll. Da sieht man, dass die Jugendlichen ein Bewusstsein für diese Thematik haben. Es ist das Thema der Gegenwart und wird das Thema der Zukunft sein. Was ich nicht verstehe: Warum gibt es noch kein Schulfach "Umwelt und Natur"? Einfach um den Kindern bewusst zu machen, was sie verändern können. Das lässt sich wunderbar mit dem Thema Bewegung verbinden: Man muss die Kinder raus in die Natur bringen - damit sie wissen, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Das passiert aber noch nicht. Deswegen haben wir diesen Film und dieses Buch gemacht: um die Menschen zu emotionalisieren. Man muss die Menschen erreichen, damit jeder für sich selbst etwas verändert, und wenn das jeder macht, kann man schon Großes bewirken.

Neureuther: Auftakt in Sölden "viel zu früh"
Nochmal zurück zu den Gletschern: Ohne das Sommertraining dort hätte Ihre Karriere anders ausgesehen. Wie wird das bei den Rennläufern der Zukunft aussehen?
Das habe ich ja schon lange angeprangert: Es ist nicht mehr zeitgemäß, im Sommer auf einem Gletscher Ski zu fahren. Ich hab's früher schon nicht verstanden und verstehe es heute noch weniger. Es macht einfach keinen Sinn mehr. Der Skisport muss die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen - denn wenn er so weitermacht, verliert er sie komplett. Das wäre schade, weil dieser Sport eben so wichtig ist. Es ist auch nicht mehr zeitgemäß, neue Skigebiete zu generieren oder zusammenzuführen, damit noch mehr Massen in die Orte kommen. Man muss sich vielmehr die Frage stellen: Geht es um den Kommerz oder die Sache an sich? Der Sport muss wieder im Vordergrund stehen.
Dann hat ein Weltcup-Auftakt in Sölden im Oktober auch keine Berechtigung mehr.
Klar, das ist viel zu früh. Das sage ich aber auch schon seit Jahren. Aber es passiert einfach nichts. Ich versteh's nicht. Es geht ja nicht nur um uns, sondern um die nächsten Generationen. Das liegt in unserer unsere Verantwortung. Da darf man nicht egoistisch sein und sagen: Nach mir die Sintflut! Wir leben ja nicht nur für uns selber, sondern für unsere Kinder. Wenn's denen gut geht, ist alles fein.