Andrea Trinchieri im AZ-Interview: "Meine Vertragsunterschrift ist nur noch eine Frage von Tagen"
München - AZ-Interview mit Andrea Trinchieri: Der 52-jährige Italiener ist seit dieser Saison Chefcoach des FC Bayern Basketball.
AZ: Herr Trinchieri, verraten Sie uns, wie Ihr Plan aussieht, um die heute Abend (20.30 Uhr) beginnende Finalserie mit bis zu fünf Spielen in sieben Tagen zu bewältigen?
ANDREA TRINCHIERI: Das Wichtigste wird sein, durch dieses für alle neue Format zu navigieren. Dabei werden sich Dinge ergeben, die wir jetzt noch nicht kennen. Das Allerwichtigste ist für mich dabei die Gesundheit meiner Spieler. Alles andere ist sekundär.
Ist eine solche Finalwoche nach 86 Saisonspielen nicht unverantwortlich gegenüber den Spielern?
Wenn du alles willst, das Pokalturnier, die volle Anzahl an Playoff-Spielen und noch zu einem bestimmten Datum fertig sein, gibt es zwangsläufig Verluste. Die sehe ich zwar nicht bei den Leuten, die darüber entscheiden - bei der Qualität der Show, des Spiels, bei den Spielern in Form von Verletzungsrisiken dagegen schon. Auch die Schiedsrichter werden unter enormem Stress stehen. Wenn das der einzige Parameter sein sollte - natürlich ist es dann unverantwortlich. Was kann das zweite Spiel sein ohne Ruhepause? Besser als das erste? Schwierig! Ich habe keine richtige Antwort. Ich schaue mich nur um und sehe andere Ligen mit anderen Herangehensweisen. In Italien haben sie die Back-to-back-Spiele im Finale gecancelt. Aber Flexibilität ist eine große Sache.

FCBB-Coach sieht Alba Berlin als Favorit
Was für einen Final-Gegner erwarten Sie?
Alba Berlin ist ganz sicher der große Favorit, wird stark starten und sein Spiel spielen. Wir haben ein paar Probleme in der Rotation mit den deutschen Spielern. Sie waren in der regulären BBL-Saison besser, wir dafür in der Euroleague und im Pokalfinale.
Sie sehen Alba tatsächlich als "großen Favoriten"?
Natürlich. Denn wir wissen nicht, mit welchem Team wir überhaupt spielen können. Auch Berlin hat mit Verletzungen zu kämpfen, aber bei ihrem System, das sie schon lange spielen, wirkt sich das mit ihrem tiefen Kader nicht so sehr aus wie bei uns. Albas größter Vorteil ist, dass sie bei den deutschen Spielern tiefer besetzt sind. Den Unterschied wird aber nur die Energie ausmachen. Und die Fähigkeit, sich an das neue Format anzupassen. Ich wünschte, wir hätten den Kader zur Verfügung, den ich für die Finals im Kopf hatte. Aber wir werden trotzdem kämpfen.
Fan-Rückkehr kann dem Team einen Boost geben
Berlin darf vor 2000 Fans spielen, in den Audi Dome dürfen 1000 Zuschauer. Wie wird sich das auswirken?
Ich weiß schon gar nicht mehr, wie eine Tribüne mit Fans aussieht. Es ist eine großartige Sache. Diesen Lärm wieder in der Halle zu hören, wird überwältigend für jeden sein. Das kann den Finals einen Boost geben.
Werden Sie eine ihrer speziellen Glücksuhren anlegen?
Ich bin mit der Uhr, die ich aktuell trage, ganz zufrieden. Sie hat einen fantastischen Job gemacht. (lacht) Und bei 86 Spielen ist es etwas schwierig, jedes Mal zu wechseln, denn ich habe keine 86 Uhren. Mittlerweile trage ich die Uhren mit ihren Energien für bestimmte Zeitspannen. (grinst) Nach Titelgewinnen lege ich mir gerne eine neue zu. Als eine Art persönlicher Belohnung für mich.
Beste Saison der Klubgeschichte möglich
Sie tragen auch spezielle Socken, die Ihnen Glück bringen?
Ja, aber ich glaube nicht an Glück. Doch schon daran, wenn du dich auf gewisse Details fokussieren kannst, dass du diese Uhr und jene Socken für ein bestimmtes Spiel haben möchtest. Es ist wie ein kleines Spiel, das du mit dir selbst spielst.
Ihre Brillen wechseln Sie dabei nicht mehr so oft wie früher.
Ich habe mehr als 86 Brillen! Es sind aber einfach zu viele Spiele, um dem Ganzen so viel Energie widmen zu können.

Mit dem Meistertitel könnten sie die Saison nun endgültig zur besten der Klubgeschichte machen. . .
Das ist sie doch längst! Für mich ist es eine unglaubliche Saison, in die wir ja mit einem komplett neuen Team, in einer Pandemie und mit reduziertem Etat gestartet sind. Dann trotzdem so eine Saison zu spielen: Nur einen Wurf vom Final Four entfernt, den Pokal trotz der enormen Belastung zu gewinnen, nach einem Halbfinale mit 50 Minuten, nach denen uns keiner mehr etwas zutraute. Ich bin stolz auf meine Spieler.
Trinchieri beweist Durchhaltevermögen
Haben Sie erwartet, dass die Dinge sich so entwickeln?
Mit Erwartungen bin ich grundsätzlich vorsichtig, weil sie etwas sehr Gefährliches sind. Ich bin selbst das Risiko mit einem Ein-Jahres-Deal und einer komplett neuen Mannschaft, die aus keiner guten Saison kam, eingegangen, ohne einen Tag zu überlegen. Weil ich weiß, dass ich einen guten Job machen kann. Aber es dann wirklich zu tun, ist ein Unterschied. Den haben meine Spieler dadurch gemacht, dass sie unserem Pfad bedingungslos gefolgt sind.
Zu Herbert Hainer sagten Sie, als sie nach München kamen: "Ich zeige Ihnen zuerst, dass ich es kann und danach können wir über einen langfristigen Vertrag sprechen." Haben Sie das mittlerweile getan?
Wir sind sehr, sehr nah dran. Ich glaube, meine Vertragsunterschrift ist nur noch eine Frage von Tagen. Diese Saison gibt dir fast keinen Raum, um dich zusammenzusetzen. Du suchst natürlich trotzdem nach Möglichkeiten. Jetzt sind wir sehr nah an einer Einigung.
Bayern Basketball nach dem SAP Garden
Wie sehen Ihre gemeinsamen Zukunftspläne aus?
Nach den Gesprächen mit Herrn Hainer bin ich überzeugt, dass es einen FC Bayern Basketball vor dem SAP Garden geben wird und einen danach. Die Arena wird eine der besten und modernsten in Europa sein und dem Verein einen enormen Schub geben. Wir müssen dafür bereit sein, dieser Tag wird bald kommen. Dann werden wir das wirkliche Potenzial dieses Klubs erst richtig erkennen. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten.
Wie ist es für Sie, bei Bayern wieder mit Daniele Baiesi zu arbeiten, mit dem Sie sich in Bamberg überworfen hatten?
Dazu muss ich gar nichts sagen, man kann es täglich auf dem Feld sehen. Nur der, der nichts tut, macht keine Fehler. Ich mache Fehler, er macht welche. Daniele weiß, wie ich arbeite, ich weiß, wie er arbeitet. Wir hatten beim Kader nicht viel Spielraum, sind gewisse Risiken eingegangen. Aber die rechte Hand wusste immer, was die linke tut. Und oftmals waren wir dazu fähig, uns die Hände zu reichen und zusammenzuarbeiten - sogar auf einem höheren Level als in der Vergangenheit.
Baiesi sagte kürzlich, Sie seien nun ein Teddybär im Vergleich zu ihrer Zeit in Bamberg.
Das ist Evolution. Mein größtes persönliches Ziel ist es nicht, einen bestimmten Titel zu gewinnen, sondern die beste Version von mir selbst zu sein. Und es ist der größte Triumph zu sehen, dass du dich selbst verändert hast. Weil das die schwierigste Sache ist.
Treffen mit Nagelsmann geplant
Inwiefern hat Sie Fußball in Ihrer Trainer-Karriere beeinflusst? Sie zählen ja auch Pep Guardiola zu Ihren Vorbildern.
Das ist er definitiv für mich. Er liebt Details und ist voller Leidenschaft. Ich komme aus Mailand. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich zum ersten Mal mit meinem Vater ins San Siro gegangen. Er war Milan-Fan, also war ich das auch. Wir hatten Dauerkarten für Milan und Inter und er erklärte mir: "Zu Milan gehen wir, um sie siegen zu sehen, zu Inter, um sie verlieren zu sehen." In Wahrheit liebte mein Vater einfach den Sport, auch Basketball. Wir sind zu allen großen Endspielen gereist. Ich kam 1993 nach München ins Olympiastadion, wo wir 0:1 gegen Marseille verloren haben. Kopfball Basile Boli - bumm. Ich war in Athen, wo wir 1994 4:0 gegen Barcelona gewonnen haben. Und in Wien, wo ich eine großartige Sachertorte hatte und wir 1:0 gegen Ajax gewonnen haben. Und dann kam noch Arrigo Sacchi.
Der 1987-91 sowie 1996-97 den AC Milan trainierte. . .
Richtig. Er war wie ein verrückter Ingenieur, aber er hatte eine Vision. Er war ein Schuhverkäufer, kam aus der achten Liga und gewann plötzlich den Europapokal der Landesmeister und den Weltpokal. Er war ein Maniac, ein Besessener. Sein Werdegang hat mich sehr beeinflusst. Auch ich wollte schon immer das höchste Level erreichen. Ich wollte ein Euroleague-Coach sein, aber ich war in der sechsten italienischen Liga. (lacht) Menschen können aufgeben - oder weitermachen.
Gibt es beim FC Bayern einen Austausch mit den Fußballtrainern?
Das hoffe ich sehr. Covid hat das schwierig gemacht, aber es wurde mir zugesagt, dass es demnächst ein Treffen mit Julian Nagelsmann geben wird. Ich bin von seinem Training beeindruckt. Es kann ein guter Mix sein zwischen der Energie eines jungen Trainers mit großartiger Kommunikation, Modernisierung auf der einen und einer gewissen Erfahrung auf der anderen Seite. Die Interaktion zwischen der Basketball- und der Fußballabteilung kann etwas sehr Wichtiges und für beide nur gut sein. Wir haben es mit den gleichen Dingen und Problemen zu tun, nur in einer etwas anderen Situation.

Trinchieri: München ähnlich wie Mailand
Sie leben nun erneut in einer großen Fußballstadt. Gibt es noch mehr Gemeinsamkeiten?
Über Mailand sagen sie, dass die Leute die Nase etwas oben haben. Und über München sagen sie dasselbe. Ich fühle mich hier also zu Hause. (lacht)
Das FC-Bayern-Vereinsmotto lautet ja auch "Mia san mia".
Auch das kenne ich ähnlich aus Mailand. Dort sagen wir "Milan l'e semper Milan", Mailand ist immer Mailand. Das sagt alles.
Ist es für Sie immer noch ein Ziel, irgendwann Chefcoach in der NBA zu werden?
Die NBA ist überwältigend, das höchste Level. Wenn die Möglichkeit einmal kommen sollte, werde ich sie mit großem Respekt vor der NBA bewerten. Wenn sie nicht kommt, bin ich trotzdem zufrieden mit dem, was ich jeden Tag habe. Geben Sie mir einen Court und 15 Spieler und ich bin glücklich.