Wer trifft bald die Transfer-Entscheidungen beim FC Bayern? Die Antwort überrascht

Immer mehr Fußballvereine setzen beim Scouting und in der Spielanalyse auf Künstliche Intelligenz. Auch beim FC Bayern wird das Thema präsenter. Die KI kann mittlerweile sogar Einschätzungen zu Transfer wie bei Florian Wirtz und Jonathan Tah geben.
von  Kilian Kreitmair
Wird in Zukunft immer mehr Hilfe von Künstlicher Intelligenz bekommen: Bayern-Trainer Vincent Kompany und sein Team.
Wird in Zukunft immer mehr Hilfe von Künstlicher Intelligenz bekommen: Bayern-Trainer Vincent Kompany und sein Team. © IMAGO

In den Büroräumen an der Säbener Straße wird in diesen Tagen hitzig diskutiert, Ausschau nach dem nächsten Transfer-Coup gehalten und verhandelt. Dabei stellt man sich beim FC Bayern die große Frage: Wer hat das Potenzial, ein prägendes Gesicht des Rekordmeisters zu werden? Welcher Spieler hat die Bayern-DNA in sich? Am Ende urteilt darüber in der Regel der Ehrenpräsident und Baron vom Tegernsee. 

Premier League ist Vorreiter im Einsatz von Künstlicher Intelligenz 

Doch wird Uli Hoeneß, der große Bayern-Macher, schon bald von der Künstlichen Intelligenz abgelöst? So weit kommen wird es in den nächsten Jahren wohl noch (!) nicht. Klar ist aber auch: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat längst Einzug in die Arbeit der Bundesliga-Klubs gefunden. Mit KI-Tools wie "PLAIER" sondieren Sportvorstände, Sportdirektoren und Chefscouts den Spielermarkt, bekommen Einschätzungen zu potenziellen Neuzugängen. 

Auch beim FC Bayern verschließt man sich dem Thema nicht. Immerhin will man weiterhin der Branchenprimus der Bundesliga bleiben und im internationalen Geschäft nicht den Anschluss verlieren. Einfach ist das nicht, sagt Markus Brunnschneider. "Man merkt in England schon, welche infrastrukturellen Möglichkeiten sich dort aufgrund der eigentümerbasierten Strukturen auftun", erklärt der Head of Technical Recruitment von Holstein Kiel der AZ. In seiner Zeit bei Darmstadt 98 war er maßgeblich daran beteiligt, dass die Lilien als einer der ersten deutschen Klubs im Scouting auf Künstliche Intelligenz setzten. 

Erfolgreich mit Künstlicher Intelligenz: Mohamed Salah und der FC Liverpool.
Erfolgreich mit Künstlicher Intelligenz: Mohamed Salah und der FC Liverpool. © IMAGO

Liverpool hat Astrophysiker für Datenanalyse

Liverpool nutzt zum Beispiel KI-gestützte Modelle, die Leistungsdaten und die taktische Ausrichtung der Mannschaft in Echtzeit analysieren. Für solche Metriken ist allerdings nicht der Trainerstab um Arne Slot zuständig. Die Reds haben dafür unter anderem im April den Astrophysiker Laurie Shaw von Manchester City abgeworben. Aber schon davor arbeitete man bei LFC erfolgreich mit Daten. Das zeigt nicht zuletzt der Gewinn der Premier League. 

Auch in Spanien wurde der Einsatz von KI mit Titeln belohnt. Hansi Flick und der FC Barcelona lassen von der Künstlichen Intelligenz Bewegungsdaten und Belastungen von Spielern analysieren. Mit den resultierenden individuellen Trainingsplänen können die Katalanen das Verletzungsrisiko von Robert Lewandowski und Co. minimieren. Im Bereich Scouting gilt Atalanta Bergamo als Vorreiter. 

Wendt: "KI sucht nach Mustern, die ein Team erfolgreich machen"

Die Norditaliener, lange Zeit Mittelklasseteam der Serie A, haben sogar extra den Posten des Direktors of Football Intelligence geschaffen. Sudarshan Gopaladesikan, ein indischer Mathematiker, erstellt dort verschiedenste Datenmodelle mit KI. Die spucken die Wahrscheinlichkeit aus, ob ein Spieler ins System passt. Laut AZ-Information hat der Tabellendritte aus Italien zum Beispiel Leistungsträger Ademola Lookman mittels Football Intelligence gescoutet. 

Wie das genau funktioniert, weiß Jan Wendt. Über seine Plattform "PLAIER" können Profivereine Wunschspieler auf der ganzen Welt bewerten. Das Unternehmen kauft dafür unter anderem Leistungsdaten, die Klubs wie der FCB eh immer detaillierter erheben. Bei einem Bundesligaspiel fallen zum Beispiel rund 1.600 Ereignisdaten an. "Anschließend sucht die KI nach Mustern, die ein Team oder einen Spieler erfolgreich machen", erklärt der CEO. Das geschieht durch Milliarden von Rechnungen. 

Startete bei Atalanta Bergamo durch: Ademola Lookman.
Startete bei Atalanta Bergamo durch: Ademola Lookman. © IMAGO

Tah würde das Torverhältnis des FC Bayern nicht verbessern

Im Falle PLAIER erhält man so eine konkrete Zahl, die den sportlichen Wert des Spielers auf einen Blick zeigt. Es geht dann darum, ob ein Spieler mit seinem Score den Verein verbessert. "Bei Transfers sind wir bei neun von zehn Spielern richtig", sagt Wendt stolz. Weil die KI von Spieler zu Spieler dazulernt, wird die Genauigkeit in den nächsten Jahren weiter steigen. 

"Das rüttelt natürlich an allen Grundfesten des Fußballs", ist sich der KI-Experte bewusst. Wie sein Werkzeug die möglichen Neuzugänge des FC Bayern bewertet? "Jonathan Tah würde das Torverhältnis des FC Bayern nicht verbessern", meint Wendt. In der Skala hat der Verteidiger von Bayer Leverkusen nur eine Bewertung von 4.600 (Durchschnittswert Bayern-Kader: 5.500). 

Wendt: "Dass Wirtz die Bayern in eine neue Liga schießt, sehen wir im Moment nicht"

Zum Vergleich: Min-jae Kim kommt auf rund 6.100. Auch Dayot Upamecano wird von der KI deutlich höher gerankt. Für eine Verbesserung der Verteidigung würde sein Tool unter anderem Reds-Verteidiger Ibrahima Konaté empfehlen. Manko bei der Bewertung. Die psychologische Komponente, die im Profifußball freilich eine entscheidende Rolle spielt, kann nicht gemessen werden. Nur einen Mentalitätswert kann die KI berechnen.

Min-jae Kim hat den besten PLAIER-Wert von allen Verteidigern des FC Bayern.
Min-jae Kim hat den besten PLAIER-Wert von allen Verteidigern des FC Bayern. © PLAIER

Der ist bei Florian Wirtz übrigens sehr hoch. "Er ist kein Spieler, der sich bei Rückständen fallen lässt", so Wendt. Zweifel, dass der Youngster beim Rekordmeister eingeschlagen wäre, hat er trotzdem: "Dass er die Bayern in eine neue Liga schießt, sehen wir im Moment nicht." Das liegt mitunter daran, dass die Münchner mit Jamal Musiala, Michael Olise und Harry Kane schon eine Angriffsriege auf Weltklasse-Niveau haben. 

FC Bayern arbeitet bei KI-Lösungen mit SAP zusammen

Insgesamt wäre Wirtz im aktuellen Bayern-Kader in Bezug auf die systematische Effizienz nur der zwölftbeste Spieler. "Leverkusen ist keine absolute Weltspitze, deshalb sticht er dort mehr heraus", erklärt Wendt, der von einer Leistungsstagnation des 21-Jährigen ausgeht. Auch sein Marktwert beträgt laut der KI nur rund die Hälfte (74,21 Millionen) von dem, was Leverkusen verlangt. Haben sich also Hoeneß und die Bayern-Bosse von ihrem berühmt-berüchtigten Bauchgefühl täuschen lassen im Kampf um Wirtz?

Florian Wirtz hat laut dem KI-Tool PLAIER einen Score von 5.444.
Florian Wirtz hat laut dem KI-Tool PLAIER einen Score von 5.444. © PLAIER

Nein. Denn auch die Bayern setzen laut IT-Leiter Michael Fichtner auf KI im Scouting. Der Software-Gigant SAP arbeitet mit dem Klub zusammen. Und ganz auf die sportliche Expertise der Führungsetage kann man bei einem Transfer sowieso nicht verzichten. "Die Daten geben nur Hinweise, um falsche Interpretationen auf einer subjektiven Ebene nochmal zu hinterfragen", ordnet Brunnschneider, der auch am Internationalen Fußball Institut als Spielanalyst arbeitet, die Situation ein.

Künstliche Intelligenz kann bei kleinen Vereinen eine größere Wirkung entfachen

Es geht dabei also um eine Effizienzsteigerung durch eine erste Selektion mittels Daten. In einem nächsten Schritt machen die Vereine in der Regel ein Videoscouting, Vorortscouting und treffen sich mit dem Spieler. Man will den möglichen Neuzugang auch menschlich kennenlernen. Vor allem kleinere Klubs wie Darmstadt oder Kiel beziehen in der Bewertung auch die Followerzahlen auf den Sozialen Medien mit ein. "Das ist mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor", betont Brunnschneider.  Bestes Beispiel: Influencer Nader Jindaoui, der sogar sein Profidebüt für Hertha BSC gab.

Generell kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Scouting bei Mittelklasseklubs eine größere Wirkung entfachen. "Für Bayern München kommt von vornherein eine deutlich geringere Anzahl an Spielern überhaupt infrage", meint der Datenspezialist: "Uns hat das datenbasierte Scouting in Darmstadt geholfen, weil wir schneller mehr Märkte in der Breite abdecken und uns früher auf relevante Spieler fokussieren konnten."

Grenzen von KI im Profifußball sind grenzenlos

Denn wenn der Akteur einmal sein Potenzial aufblitzen lässt, können ihn sich Vereine wie Augsburg oder Union Berlin oft nicht mehr leisten. Ob die KI letztlich die Bundesliga dadurch sogar wieder ausgeglichener machen kann? Die Möglichkeiten mit Künstlicher Intelligenz scheinen zumindest grenzenlos. Wobei: Eine Grenze gibt es dann doch. Das Gespür von Hoeneß kann vorerst keine Künstliche Intelligenz ablösen. 

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