Van Gaals Gladiolen sind verwelkt

Sie tanzten mit ihm auf dem Rathausbalkon und träumten vom Triumph in der Champions League. Nun gilt der holländische Coach als gescheitert– auch an seiner eigenen Sturheit.
Gunnar Jans |
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Sie tanzten mit ihm auf dem Rathausbalkon und träumten vom Triumph in der Champions League. Nun gilt der holländische Coach als gescheitert – auch an seiner eigenen Sturheit.

München - Wie dieser Trainer tickt, wird deutlich, als das Spiel abgepfiffen ist. Abgepfiffen für den FC Bayern, nicht nur hier beim peinlichen 1:3 in der AWD-Arena von Hannover, einem fußballhistorischen Niemandsland, sondern wohl auch im verzweifelten Bemühen, im kommenden Jahr noch in Camp Nou und Old Trafford antreten zu dürfen, sich also in der Champions League mit Barcelona und Manchester zu messen. Doch dass damit auch für ihn persönlich das Spiel abgepfiffen sein dürfte, kommt nicht vor im Selbstverständnis des Aloysius Paulus Maria Louis van Gaal.

 

„Sie haben ja auch heute gesehen“, belehrt Louis van Gaal die Reporter, „dass die Spieler sehr gut auf mich reagieren“. „Unchlaublich!“, möchte man ihm entgegenschreien, das ist van Gaals Lieblingswort auf Deutsch-Holländisch und tatsächlich Ausdruck dessen, wie groß das Unverständnis ist zwischen dem narzisstischen Niederländer, der sich immer noch mit dem Oberbürgermeister schunkelnd und grölend auf dem Rathausbalkon wähnt („die Besten von Europa: FC Bay-ern!“) und seinen Vorgesetzten, die sich angesichts von Platz 5 in der Liga mit dem befremdlichen Gedanken vertraut machen, 2011 eine Dienstreise nach Charkow in der Ukraine auf sich nehmen zu müssen. Charkow, Synonym für die verfluchte Europa League, früher Uefa- Cup, vulgo: „Cup der Verlierer“.

Wer könnte Nachfolger werden?

 

Van Gaal hat mit Niederlagen so seine Probleme: Er nimmt sie nicht persönlich. Mal ist der Schiedsrichter schuld, mal ein Spieler, nie der Trainer. Was er persönlich nimmt, sind Fragen, wie es nun weitergeht. In dieser Woche der Wahrheit wurde das sehr deutlich. Nach der Heim-Niederlage amvorvergangenen Samstag gegen So-Gut-wie-Meister Dortmund, als die Borussen ausrechnet in der roten Bayern-Heimat den schwarzgelben Veitstanz aufführten, brüskierte van Gaal im „Sportstudio“ den ZDF-Reporter, der ihn auf das Aus im Meisterschaftskampf angesprochen hatte: „Sie provozieren! Ich muss Antworten geben. Ich kann auch weglaufen – das ist vielleicht besser.“ Und gefragt, wie er seine Mannschaft nach dieser Demütigung nun auf das schwere Pokalspiel gegen Schalke einstelle, blaffte er: „Das sind immer dieselben Fragen. Wir Trainer machen das.“ 

Nach der dann am folgenden Pokal-Pleite gegen Felix Magaths Schalker sagte er auf die Frage nach seiner Situation: „Ich mache meine Arbeit. Und ich denke, dass ich sie gut mache.“ Und jetzt, nachdem innerhalb einer Woche nach Meisterschaft und Pokal nun auch die Chance auf die Champions-League-Teilnahme verspielt scheint, will er seinen Vorgesetzten ein Schweigegelübde abringen: „Ich denke nicht, dass das der Moment ist, etwas zu sagen.“ Wenige Momente später sagt Uli Hoeneß: „Wir müssen nicht reden, sondern handeln.“ Deutlicher konnte der Dissens der Alphatiere nicht werden.

Was ist passiert zwischen Sommer 2010, als die Granden nach dem Double und trotz des verlorenen Champions-League-Finals ihrem Trainer am liebsten einen Vertrag auf Lebenszeit gegeben hätten, und diesem frostigen Frühjahr 2011, in dem die Gladiole, das Sinnbild van Gaals, verwelkt ist und es nur noch eine Frage von Stunden, vielleicht Tagen zu sein scheint, bis er sie wieder daheim in Amsterdam anpflanzen kann. Von „Tod oder Gladiolen“ hat van Gaal gerne gesprochen, als er die wichtigen Spiele noch gewann; nun hat er drei entscheidende Spiele hintereinander verloren – das riecht nach Tod.

Drei Niederlagen in Serie, das gab es beim FC Bayern zuletzt im Herbst 2000, Paris St. Germain, Hansa Rostock und Energie Cottbus hießen damals die Gegner; doch es war erst Oktober, und der Trainer, der im Laufe der Saison noch Meisterschaft und Champions League gewinnen sollte, hieß Ottmar Hitzfeld, vom Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zur „persona gratissima“ geadelt.

Der beratungsresistente Fußball-Lehrer

Van Gaal aber gilt als „beratungsresistent“, so hat ihn Präsident Hoeneß schon im Herbst abgestempelt – und damit den Prozess der Entfremdung öffentlich gemacht, den Coach gewissermaßen schon zum schleichenden Abschuss freigegeben. Natürlich haben sie gewusst, auf was und wen sie sich einlassen, als sie die Ich- AG unter den Trainern mit dem mannschaftsstarken Gehilfenstab im Sommer 2009 verpflichteten und glücklich waren, nach dem gescheiterten Experiment mit einem Zauberlehrling namens Klinsmann „endlich einen richtigen Fußball-Lehrer“, noch dazu von internationalem Renommee, nach München gelockt zu haben.

Sicherlich haben sie sich erkundigt, wie jämmerlich es mit ihm zu Ende ging, beim zweiten Mal in Barcelona oder bei seiner einzigen Nationaltrainer-Berufung, als Bondscoach in Holland. Und gewiss haben sie sich auch geärgert über die großspurigen Auftritte etwa bei den Jubelfeiern auf dem Marienplatz, als er seine Waden übern Rathausbalkon streckte, oder bei seiner Buchvorstellung „Biographie und Vision“ Anfang Oktober, als er dem versammelten Vorstand empfahl: „Das sollten Sie auch lesen!“ Im Erfolgsfall verzeiht man alles, bei Misserfolg nichts – so einfach ist das im Fußball und beim FC Bayern erst recht. Jetzt, da der Gladiolen-General gescheitert ist, erinnern sie sich, wie es war im Sommer, als er sichwehrte gegen hochkarätige Neuverpflichtungen, mit denen sie den Kader aufmischen wollten, so wie es üblich ist nach einer WM-Saison.

Und sie ärgern sich, dass sie ihn gewähren ließen, mit der gleichen (ja: erfolgreichen) Mannschaft weiterzumachen – weil sie ihm vertrauten. Längst werten sie es als Vertrauensmissbrauch, wie er im Wintertrainingslager ohne ersichtlichen Grund (und vor allem: ohne Rücksprache!) den bewährten Stammtorhüter Butt degradierte, trotz dessen Verdiensten, und den jungen Thomas Kraft berief, obwohl sie doch ihre Nummer 1 der Zukunft längst auserkoren hatten: Manuel Neuer, den Nationaltorwart. Sie hinterfragen seinen Charakter; dabei hat sich van Gaal nicht geändert. Er hat in ihren Augen allerdings auch: nichts dazugelernt. Er ist gescheitert an der eigenen Sturheit.

Bayern berechenbar, Van Gaal unberechenbar

Das Missverständnis ist inzwischen auch ein sportliches. Sicherlich hat van Gaal ein durchdachtes Konzept, er mag den offensiven, den spektakulären Fußball, er setzt auf die Jugend, die eigenen Talente. Doch: Der FC Bayern ist berechenbar geworden, man muss nur Robben und Ribéry, ihre beiden besten Offensivkräfte, aus dem Spiel nehmen. Und van Gaal ist unberechenbar geworden, er hat in dieser Saison schon 14 Mal seine Abwehrformation geändert und im Winter ohne Not Mark van Bommel vergrault, seinen Kapitän und Defensiv-Stabilisator. Überhaupt argumentieren sie nun, dass ein System fragwürdig ist, das die Abwehr vernachlässigt. 61 Seiten in seiner „Biographie und Vision“ hat van Gaal dem schönen Spiel gewidmet – über die Defensive steht da nichts. Oliver Kahn, Kapitän der Helden von 2001, sagte dieser Tage: „Die ganz großen Titel gewinnst du nur von hinten raus.“ Vielleicht ist es beim Fußballlehrer van Gaal und den Bayern aber auch nur wie im wirklichen Leben: Der wahre Wert der Beziehung zeigt sich nicht in der Phase des Verliebtseins, sondern in der Krise. Im „Doppelpass“, einem Fußball- Talk auf „Sport1“ mit dem Slogan „die Krombacher-Runde“, hat der Weißbier- und Bayern- Experte Waldemar Hartmann gestern den Stammtisch bedient: „Wer sich beim FC Bayern offen mit Uli Hoeneß anlegt, hat entweder Suizid- Gedanken oder keinen Blick für Realitäten.“ Und das Urteil kennt der Waldi auch schon: „Bald wird der fliegende Holländer aufgeführt!“ Man wartet nur noch drauf, dass der Vorstand den Vorhang öffnet. Für van Gaals letzte Vorstellung.

 

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