Schalke-Fan ohrfeigt Manuel Neuer

Der Poker um Manuel Neuer geht weiter: Schalke-Boss Tönnies will den Torwart nicht zum FC Bayern ziehen lassen. Bei der Pokal-Jubelfahrt dreht ein Anhänger durch.
München - Während der 90 Minuten im Berliner Olympiastadion und auch nach Spielschluss in den Katakomben wehrte die Schalker Verteidigung alle Angriffe locker ab. Die Reporter, die kurz vor Mitternacht endlich den Vollzug des Neuer-Transfers vermelden wollten, waren ebenso chancenlos wie zuvor Duisburger Spieler beim 0:5 im Pokalfinale. Ob Vereinschef Clemens Tönnies, Manager Horst Heldt oder Trainer Ralf Rangnick – ihre Botschaft war dieselbe: Trotz der Quasi-Bestätigung aus München sei ein sofortiger Wechsel des Nationaltorwarts zum FC Bayern keineswegs gesichert.
Am Sonntagnachmittag aber war zumindest bei Neuer selbst keine Gegenwehr vorhanden: Zu perplex war der Torwart, zu überrascht von diesem Schlag aus den eigenen Reihen. Ausgerechnet beim Autokorso durch Gelsenkirchen, der Jubelfahrt der Schalker Pokalhelden, kassierte Neuer eine Watschn. Ein Fan war es, der Neuer aus dem Hinterhalt ins Gesicht schlug. Eine Ohrfeige als Demütigung – weil der Kapitän sich absetzen will? Der Täter entkam, Watschnmann Neuer blieb düpiert zurück – und wurde später von Polizisten durch die Menge eskortiert.
Der Vorfall verdeutlicht, wie überfällig eine Entscheidung im Transfertheater ist. Doch Schalke zockt weiter. Für Montag nächster Woche kündigte Vereinsboss Clemens Tönnies eine Sondersitzung des Aufsichtsrates an, der mächtige Funktionär hat sich bereits festgelegt: „Ich bin dagegen, dass Neuer geht”, sagt Tönnies. Die Vermutung, dass die klammen Schalker mehr als die angeblich vereinbarten 18 Millionen Euro plus Sonderzahlungen herausholen wollen, weist Manager Horst Heldt von sich. Schalke pokere nicht, beteuert er, sondern bedenke sorgsam die Vor- und Nachteile eines Weggangs ein Jahr vor Vertragsende: Jetzt viel Geld oder im Sommer 2012 nichts, dafür aber noch eine Saison Neuer im Tor. Doch ob Neuer selbst sich das noch antun mag in Anbetracht der Fan-Reaktionen?
Am Samstag jedenfalls geriet das Rührstück vom jungen Wandersmann, der die geliebte Heimat verlässt, um in der Fremde sein Glück zu machen, nicht ganz nach Drehbuch. Statt, wie erwartet, Abschiedstränen zu vergießen, zuckte Manuel Neuer mit den Schultern, wenn er gefragt wurde: Ob das sein letztes Spiel für Schalke gewesen wäre? „Da müssen wir jetzt alle abwarten, welche Entscheidung getroffen wird”, sagte er und blickte ratlos in die Runde. Falls Schalke darauf bestehe, dass er den Vertrag erfülle, sei das für ihn „kein Problem”.
Neuer (25) war es wohl ganz recht, dass der schönste Tag seiner 20-jährigen Vereinszugehörigkeit nicht vom endgültigen Abschied verdüstert wurde. „Ich liebe Schalke, dieser Verein wird immer ein Stück Heimat für mich bleiben”, hat er unter der Woche versichert, als ihn seine einstigen Verehrer im Internet als „Judas” oder „charakterlos” niedermachten. Dass man gerade in seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen die Aufstiegschance nicht wahrhaben will, die ein Engagement beim Branchenführer FC Bayern bietet, hat Neuer zugesetzt. Er hatte nicht erwartet, dass Schalker Fans ihn so respektlos behandeln könnten. Wo er sich doch im Grunde genommen als einer von ihnen fühlt.
Seine Leistungen wurden zuletzt schwächer. „Das ist doch kein Wunder bei allem, was auf den Jungen eingestürmt ist”, sagt Jupp Heynckes. Der künftige Bayern-Coach ist überzeugt, dass Neuer die wichtigste Voraussetzung für einen Bayern-Torwart mitbringt: Druck aushalten zu können. Wie einst Olli Kahn.
Die besondere Anspannung, unter der Neuer im Finale stand, war nicht zu übersehen. Nach Schalker Toren stürmte er zur Trainerbank, umarmte die Ersatzspieler. Doch bei aller Spontaneität hatten Neuers Gesten auch etwas Zögerliches, als sei er nicht sicher, wie die 40000 Schalke-Fans im Olympiastadion darauf reagieren würden. Die straften ihr einstiges Idol weiter mit Liebesentzug. Wie tief die Kränkung sitzt, verdeutlichten Transparente mit den Namen Szepan und Kuzorra, Urväter des Schalke-Mythos. Der Name Neuer daneben war durchgestrichen.
Es klang wie eine Friedensbotschaft, dass Neuer sagte: „Auch die Fans haben großen Anteil daran, dass wir es geschafft haben.” Er wolle den Moment genießen, erzählte er, in der Kabine habe man Lieder gesungen, ein paar Bier getrunken, ein Kindheitstraum habe sich erfüllt – „jetzt kann ich zum Partybiest werden”.
Dass die Party mit einer Watschn jäh endete, hatte er nicht erwartet.