Raus aus dem Schatten

Noch witzelt man in seiner Heimat über Andries Jonker, den Interimscoach des FC Bayern, als „Laufjunge von van Gaal“. Nun hat der 48-Jährige die Chance, sich zu emanzipieren.
Thomas Becker |
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Noch witzelt man in seiner holländischen Heimat über Andries Jonker, den Interimscoach des FC Bayern, als „Laufjunge von van Gaal“. Nun hat der 48-Jährige die große Chance, sich von seinem Mentor zu emanzipieren.

München - Louis van Gaal ist ein massiger Typ, ein Schwergewicht auch in beruflicher Hinsicht. Andries Jonker, sein Interims-Nachfolger beim FC Bayern, wirkt wie das Gegenmodell: schmal, schlank, drahtig. Und was das berufliche Standing angeht: am Scheideweg. Der 48-Jährige beginnt gerade, sich von seinem Mentor zu emanzipieren. Nicht ganz freiwillig, denn bis vor zehn Tagen hätte er selbst es wohl nicht für möglich gehalten, als Cheftrainer des FC Bayern in eine Partie zu gehen. Am Sonntag hat er das getan – und wie! 5:1 gegen den Tabellenzweiten Leverkusen: ein gelungener erster Schritt raus aus dem großen Schatten von Louis van Gaal.

Jonker ist derzeit in seiner Heimat Amsterdam, wo seine 73-jährige Mutter schwer erkrankt ist. Hier trat er einst selbst gegen den Ball, jedoch bei keinem der großen Klubs, sondern beim Amateurverein „Amsterdamsche Sport Club de Volewijckers“. Schon mit 28 Jahren wurde er Nachwuchskoordinator beim niederländischen Fußballverband. Mitte der 90er Jahre absolvierte er eine Hospitanz bei Ajax Amsterdam – bei einem Trainer namens Louis van Gaal, 1995 Champions-League-Sieger mit Ajax. Der Kontakt war geknüpft und sollte das weitere Berufsleben Jonkers nicht unerheblich beeinflussen.

Seine erste Station: zwei Jahre Co-Trainer und nach dem Abstieg aus der Eredivisie Chef-Trainer beim FC Volendam. Allerdings war nach nur einer mageren Saison auch schon wieder Schluss. Es dauerte zwei Jahre, bis sich van Gaal an seinen Ex-Hospitanten erinnerte und Jonker als Assistent zum FC Barcelona mitnahm – ein Engagement, das ebenfalls von kurzer Dauer war: Nach einem halben Jahr flog van Gaal raus und Jonker mit ihm. Holländische Journalisten erzählen, dass van Gaal Mitleid mit seinem Co-Trainer hatte und Jonker damals versprochen habe, ihn mitzunehmen, falls er noch mal einen großen Vertrag bekomme.

Das tat er dann auch, als das Angebot aus München kam – sehr zur Verwunderung seiner Assistenten bei seinem damaligen Klub AZ Alkmaar. Co-Trainer Schota Arweladse hatte fest damit gerechnet, dass van Gaal ihn zum FC Bayern mitnimmt. Heute coacht er UD Levante in Spaniens Primera Division.

Jonker hatte in der Zeit nach Barcelona als Trainer bei MVV Maastricht und bei Willem II Tilburg als Co-Trainer, Trainer und schließlich als technischer Direktor gearbeitet. Eine Zeit, die auch nicht frei von Wirbel und Komplikationen war. Generell scheint Jonker in seiner Heimat einen eher mäßig guten Ruf zu genießen. Vielen gilt er dort offenbar als „der Klon von van Gaal“. In der jeden Montag und Donnerstag im holländischen Fernsehen laufenden Show „Voetbal International“ machte man sich unlängst gar über ihn lustig. In der von dem Ex-Kicker Johan Derksen moderierten Show war der ehemalige National-Linksaußen Rene vander Gijp zu Gast, der Jonker gesten- und wortreich verhöhnte: „Wenn van Gaal die Spieler mit dem Arm nach vorne winkt, dann macht Jonker dasselbe – wie ein Papagei. Er ist der Laufjunge von van Gaal.“ Rene vander Gijp steht allerdings in dem Ruf, selbst am lautesten über seine eigenen Witze zu lachen.

Andries Jonker hat nur fünf Spiele, um aus dem Schatten des Super-Egos zu treten. Nummer eins war schon mal nicht übel, und sollten die nächsten vier ähnlich fulminant geraten, dürfte manche Lobeshymne erklingen und vielleicht das ein oder andere Angebot ins Haus flattern, das attraktiver ist als Regionalliga mit Bayern II.

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