Pfaff-Interview: Als "Großer" muss Neuer da durch

Es gab einen Torwart, dessen Debüt für Bayern noch schlechter verlief als bei Manuel Neuer: Jean-Marie Pfaff wurde trotzdem zur Legende. Hier erklärt der Belgier, warum so ein Start stärkt.
von  Patrick Strasser

 

AZ: Herr Pfaff, Manuel Neuer hat einen Albtraum-Start erlebt. Erstes Bundesliga-Spiel für den FC Bayern am ersten Spieltag – und der erste Patzer. Daher rufen wir Sie an.

JEAN-MARIE PFAFF (unschuldig): Ja, wieso das denn? Sie wollen sicher wissen, wie es mir geht.

Natürlich.

Danke, gut.

Und wie es Ihnen geht, wenn Sie einen Patzer wie den von Neuer sehen, der zum 0:1 gegen Gladbach führte?

Ja, das tut weh. Nicht nur ihm, auch mir. Das war hart für ihn. Wenn ein Torhüter so weit rauskommt, muss er den Ball haben – sonst sieht das immer komisch aus. Aber ich habe damals auch gedacht, ich komme an den Ball. Deshalb rufen Sie doch an, geben Sie’s zu.

Korrekt. Bremen, der 21. August 1982. Sie kamen vom SK Beveren aus Belgien, hatten die WM in Spanien gespielt, wurden Bayern neue Nummer eins – und dann...

...habe ich mir selbst ein Ei reingelegt.

Einen Einwurf von Uwe Reinders.

Ich sage Ihnen was: So ein Tor passiert in 1000 Jahren nicht mehr.

Und Sie waren dabei!

Ja, so ist das Leben. Schön, aber manchmal hart. Das war wie ein Unfall, Pech. Sonst habe ich immer gesagt: Alle Tore, die ich in meiner Karriere kassiert habe, waren unhaltbar.

Na, klar.


War doch ein Spaß. Damals war es unglücklich. Beim Einwurf von Reinders gehe ich raus, will den Ball wegboxen. Dann berührt Augenthaler meinen linken Ellenbogen. Ich verliere das Gleichgewicht und der Ball trudelt ins Tor. In der Pause schimpfte Trainer Pal Csernai: „Du bist nicht mehr in Belgien!” Paul Breitner meinte nach dem Spiel: „Wir machen alle Fehler. Bleib ruhig, du schaffst das.” So sehe ich das auch bei Neuer.


Was hat er in der Szene, als de Camargo trifft, falsch gemacht?


Es geht ums exakte Timing. Als Torwart musst du zwei, drei verschiedene Lösungen im Kopf haben. Was passiert, wenn ich zu früh komme? Oder zu spät? Du musst brüllen, der Spieler muss zur Seite. Dann packst du den Ball. Oder Ball und Gegner gleichzeitig. Wie Toni Schumacher damals.


Er hat bei der WM in Spanien gleich auch den Franzosen Battiston mit abgeräumt.


Ein Torwart kann nicht immer Rücksicht nehmen. Ich habe solche Situationen mit den langen Bällen im Training mit Augenthaler, Nachtweih, Grobe, Eder geübt. Na ja. Das Leben geht weiter, als Großer musst du da durch. Neuer wird reifen. Jetzt wird er ein Großer.

Warum genau jetzt?


Weil er bei Bayern spielt. Weil er den Druck spürt. Bei Schalke gewinnst du ein paar Spiele, du verlierst auch mal, aber das ist nicht so schlimm wie beim FC Bayern. Neuer wird sich mit seiner Abwehr einspielen und dann Erfolg haben. Ganz sicher.


Sie haben nach dem Einwurf-Eigentor von 1982 ab dem zweiten Spieltag die nächsten drei Spiele zu Null gewonnen.

Ja, und als ich 1988 gegangen bin, haben die Fans mich auf Händen getragen.

Bei Neuer ist das jetzt noch nicht vorstellbar...

Das kommt schon. Er ist ein exzellenter Torwart, natürlich. Groß, kräftig, charakterlich stark. Aber der Weltbeste? Er ist noch jung. Dafür muss er erst ein paar Jahre bei den Bayern auf konstant hohem Niveau halten. Aber er bekommt von den Bayern-Verantwortlichen die volle Unterstützung. Dazu kommt noch etwas, was ich ihm nicht wünsche.

Was denn, bitte?

Neuer hatte Glück, er hatte noch nie in seiner Karriere eine schwere Verletzung. Wenn er das alles übersteht, dann ist es angebracht, ihn als besten Torhüter der Welt zu bezeichnen.

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