Lina Magull: "Der Mehrwert von Frauenfußball für die Gesellschaft ist sehr hoch"
München - AZ-Interview mit Lina Magull: Die Mittelfeldspielerin (28) startet jetzt in ihre vierte Bundesliga-Saison mit dem FC Bayern. Mit der DFB-Elf wurde sie heuer in England Vize-Europameister.
AZ: Frau Magull, die vergangenen Monate war für Sie persönlich, aber auch den Frauenfußball generell viel los. Hätten Sie gern ein bisschen mehr entspannt?
Lina Magull: Wir waren nach der EM direkt mit dem FC Bayern für ein Trainingslager in Italien, dann in Frankreich. Dann hatten wir Länderspiele in der Türkei und in Bulgarien. Viel Zeit war da nicht, um mal runterzufahren. Jetzt haben wir zwar viele Spiele vor uns, aber es ist gut, zumindest wieder regelmäßiger in München zu sein. Mit neuem Trainer und neuen Spielerinnen ist es wichtig, schnell zusammenzukommen, sich als Team zu finden. Wir hatten nach der EM ein paar Tage frei, aber das reicht nicht, um komplett durchatmen zu können. Vielleicht ist es aber auch besser so, wie es ist, um im Flow zu bleiben.
Woher nehmen Sie eigentlich Ihre Energie?
Die Mädels geben mir die meiste Energie. Wir haben eine tolle Mannschaft, es läuft sehr gut bisher mit dem neuen Trainer. Da denke ich nicht darüber nach, ob ich eine Pause brauche. Wie eine Maschine, die weiterläuft. (lacht)
"Ich hatte oft in der Nationalmannschaft das Gefühl, dass ich nicht gesetzt bin"
Was haben Sie aus dem EM-Sommer mitgenommen?
Der Sommer hat mir gezeigt, wozu man als Team in der Lage sein kann. Man ist für jede Spielerin da, gibt alles für seine Mitspielerinnen. Diese Kraft hat der Fußball. Es ist schön zu sehen, dass dies nicht nur im Männer-, sondern auch im Frauenfußball möglich ist. Für mich hat die EM gezeigt, dass man nicht zu oft an der eigenen Leistung zweifeln sollte, sondern seinen Weg weitergehen und immer an sich glauben soll. Ich bin auf einem Niveau angekommen, auf dem sich die international besten Spielerinnen messen. Das ist ein schönes Gefühl, weil ich in meiner Karriere viele Hindernisse zu überwinden hatte und nun auch in der Nationalmannschaft bei einem Turnier zeigen konnte, wozu ich persönlich in der Lage bin.
Dabei hatten Sie vor der EM auch Erfolge vorzuweisen.
Ich habe viele Erfolge in meiner Karriere gefeiert, war mal ein größerer, mal ein kleinerer Teil davon. Ich hatte aber früher oft in der Nationalmannschaft das Gefühl, dass ich nicht zu hundert Prozent gesetzt bin, sondern mich immer wieder beweisen muss. Bei diesem Turnier dachte ich, dass mir alle vertrauen und ich niemanden überzeugen muss, dass ich gut bin.
Frankfurt empfängt Bayern zum Auftakt im großen Waldstadion
Sie haben erzählt, dass Sie inzwischen so oft erkannt werden. Gefällt Ihnen das?
Ja, irgendwie schon. (lacht) Natürlich war es am Anfang ungewohnt, weil ich ja ein ganz normaler Mensch bin und mich nicht wie ein Idol fühle. Ich bin aber sehr froh darüber, dass Frauenfußball mehr geschätzt wird. Nach dem Turnier sind Leute zu mir gekommen und haben sich dafür bedankt, dass wir ihnen so viel Freude bereitet haben. Diese Dankbarkeit hat mich insgesamt viel mehr gefreut als die Tatsache, dass man erkannt wird.
Teil dieser neuen Popularität ist auch, dass Sie zum Bundesliga-Auftakt gegen Eintracht Frankfurt im Waldstadion spielen. Was erwarten Sie von dem Spiel und der Stimmung?
Es ist supercool. Für uns ist es etwas Besonderes, in einem großen Stadion zu spielen, weil dann mehr Zuschauerinnen und Zuschauer kommen können. Das Spiel hat eine enorme Strahlkraft und sorgt hoffentlich dafür, dass viele Leute dabei sein werden. Ich hoffe, dass künftig mehr Highlight-Spiele in großen Stadien ausgetragen werden. Es ist ein gutes Zeichen in Sachen Wertschätzung für den Frauenfußball und zeigt, was alles möglich ist.
Neulich hat eine Umfrage ergeben, dass trotz der überragenden EM nicht mehr Menschen die Bundesliga verfolgen wollen. Woran liegt das?
Ich kenne diese Umfrage nicht und bin überzeugt, dass die EM eine nachhaltige Wirkung hat. Vielleicht nicht in jedem einzelnen Ligaspiel, aber daran müssen wir eben alle gemeinsam arbeiten. Die reformierte Champions League und auch die Topspiele in der Bundesliga zeigen, dass Frauenfußball eine enorme Reichweite erzielen kann. Jeder Verein und der DFB müssen überlegen, wie man den Frauenfußball besser fördern - und in die Öffentlichkeit transportieren kann.
Der deutsche Frauenfußball kann sich ein Beispiel an England nehmen
Wenn nur die großen Klubs für mehr Reichweite sorgen können, besteht die Gefahr, dass die Zweiklassengesellschaft extremer wird. Wie kann man entgegenwirken?
Es geht um Struktur und Aufbau der Liga. Dazu ging ein Zitat von mir rum, in dem ich eingefordert habe, dass wir ein gewisses Grundgehalt brauchen. Die Spielerinnen müssen so bezahlt werden, dass sie sich auf diesen einen Job konzentrieren können. Das ist noch viel zu selten der Fall und ist im Frauenbereich eine kleine Katastrophe. Wenn alle großen Männer-Vereine wie in England eine Frauenmannschaft führen, die in der Ersten oder Zweiten Liga spielt, könnte das in Sachen Attraktivität, Leistungsdichte und Wettbewerb sehr viel bewirken.
Immerhin könnte man das Problem der Finanzierung besser in den Griff kriegen, wenn große Vereine dahinterstehen.
Man könnte in jedem Fall von den bereits bestehenden Strukturen des bereits etablierten Vereins profitieren.
Was würden Sie machen - oder verändern - wenn Sie DFB-Präsidentin wären?
Oh, ein Job, den ich nicht gern hätte. (lacht) In der Position muss man sicher gegen viele Widerstände kämpfen. Es geht generell darum, durch gewisse Rahmenbedingungen und Regulierungen dazu beizutragen, dass mehr und mehr Vereine merken, wie lohnenswert es ist, in den Frauenfußball zu investieren. Es muss grundsätzlich mehr Chancengleichheit hergestellt werden. Der Mehrwert von Frauenfußball für die Gesellschaft ist sehr hoch.
Magull: " Ich denke, alle Gegner wissen, dass wir eine gute Mannschaft haben"
Welchen FC Bayern sehen wir in der kommenden Saison?
Wir haben eine Top-Mannschaft, mit der wir bei Belastung öfter rotieren können. Wir haben eine gute Stimmung, gute Qualität im Training, gute Spiele in der Vorbereitung bestritten, unter anderem gegen den FC Barcelona und Manchester United gewonnen. Gegen Frankfurt wird es ein schwieriges Spiel, und dann müssen wir uns in der Champions-League-Qualifikation durchsetzen. Ich denke, alle Gegner wissen, dass wir eine gute Mannschaft haben.
Wie sind Ihre ersten Eindrücke vom neuen Trainer Alexander Straus?
Sehr positiv. Er kam nicht hierher und hat gesagt, wir machen alles anders, sondern er hat uns klar gemacht, dass vieles gut läuft. Er hat seinen eigenen Stil, vor allem durch seinen Charakter und seine Philosophie, wie er gern Fußballspielen möchte. Die kommt uns sehr gelegen. Wir wollen viel Ballbesitz haben, viele Chancen kreieren, das Spiel beherrschen. Wir trainieren lange und intensiv, arbeiten viel an taktischen Sachen. Wir agieren mit Dreierkette und haben viele Spielerinnen vorn, wollen vorne pressen. Er spricht sehr viel mit uns, was ich sehr gut finde.
So will der FC Bayern den VfL Wolfsburg vom Thron stoßen
Welchen Einfluss haben Sie als Kapitänin in diesem Prozess?
Ich nehme mich nicht so wichtig. Wenn ein Team funktionieren soll, liegt es nicht an ein, zwei Spielerinnen, die vorangehen. Neben mir gibt es zwei weitere Kapitäninnen und einen Mannschaftsrat. Wir gewährleisten, dass mehrere Spielerinnen Verantwortung übernehmen und einen direkten Draht zum Trainer haben. Das erste Gespräch mit dem Trainer ging fast zwei Stunden. Aber klar, jede kann mit ihren Problemen zu mir kommen.
Der FC Bayern hat mit Georgia Stanway eine Europameisterin neu im Team. Dauerrivale Wolfsburg hat aber auch aufgerüstet. Was ist nötig, um die Wölfinnen endlich wieder schlagen zu können?
Wir schauen nur auf uns. Ich mag es nicht, immer vom Duell Bayern gegen Wolfsburg zu sprechen. Es kommt auch sehr darauf an, wie wir die restlichen Spiele bestreiten. In der letzten Saison haben wir zu viele Punkte gegen andere Gegner liegen lassen. Wir müssen in jedem Spiel unsere Leistung abrufen. Gegen Wolfsburg ist und bleibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.