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Kompany, der Häuptlingssohn: Wie dem Bayern-Coach eine Reise in den Kongo einst die Augen öffnete

Dem Rekordmeister hat er die Schale nach München zurückgebracht. Aber wie tickt der stille Belgier privat? In Teil eins der neuen AZ-Serie über den FCB-Coach kehrt Kompany in die Heimat seines Vaters zurück.
von  Thomas Becker
Die Wurzeln im Blick: Bayern-Trainer Vincent Kompany.
Die Wurzeln im Blick: Bayern-Trainer Vincent Kompany. © IMAGO/Thomas Voelker

Anfang Juni 2006. Während in der Allianz Arena eine Fußball-WM beginnt, die später zum Sommermärchen wird, macht sich ein gerade 20 Jahre alt gewordener Belgier auf die Suche nach den Wurzeln seiner Familie – im Kongo. Vincent Kompany ist gerade zum zweiten Mal mit RSC Anderlecht belgischer Meister geworden, wird bald zum HSV wechseln, hat mit dem Nationalteam gegen Spanien und Serbien-Montenegro die WM-Qualifikation verpasst – und hat nun Urlaub.

Statt in der Karibik oder auf einer Angeber-Yacht verbringt er seine freie Zeit dort, wo seine Vorfahren herkommen. Was er bis dahin über die Demokratische Republik Kongo weiß? "Ein jahrzehntelanger Teufelskreis aus Krieg, Korruption, Gesetzlosigkeit und schlechter Regierungsführung gipfelt dort in bitterer Armut", schreibt er in seiner unlängst erschienenen Autobiografie "Der Teamplayer", "es ist ein lautes Land. Alle singen, reden und sind überzeugt, dass sie etwas zu sagen haben. Und die Leute machen weiter, und ich bin da keine Ausnahme."

Eine Reise zu den Wurzeln

Es ist eine Studienreise im Auftrag der SOS-Kinderdörfer, die ihn erstmals in die Heimat seiner Eltern bringt. Erste Station: Bukavu, die Grenzstadt an den Hügeln nahe Ruanda, die für ihre wunderschöne Natur bekannt ist.

Er fliegt dabei über den Kivu-See, dessen Schönheit einen wirklich schwindlig machen kann und dem man die Gräuel des Völkermords Mitte der 90er-Jahre natürlich nicht ansieht. Drei Tage wird er in dieser fremden Welt verbringen, zuletzt in der rauen, schwülen Hauptstadt Kinshasa am anderen Ende des Landes.

Bildung als Schlüssel

Im Jahr darauf kommt er gleich nochmal, diesmal mit der Presse im Schlepptau, die dort vom sogenannten Artikel 15 erfährt: "Eine beliebte Phrase im Kongo", schreibt Kompany, "oftmals der allerletzte Hoffnungsschimmer, die besagt, dass von staatlicher Hilfe keine Hilfe zu erwarten ist, sodass man selbst die Initiative ergreifen und sich durchwurschteln muss."

Ein Knirps fragt den Fußball-Star aus Europa dort: "Wie schaffe ich es nach Belgien?" Kompanys Antwort könnte im Lehrbuch für angehende Entwicklungshelfer stehen: "Es ist viel besser, wenn du alle Chancen nutzt, die du hier bekommst. Versuch lieber, einen guten Abschluss zu machen, mit dem du später Geld verdienen kannst, damit ihr alle nach und nach euer Land wieder aufbauen könnt." Eine typische Kompany-Antwort: ein Plädoyer für Bildung als Hebel für mehr Selbstständigkeit und Verantwortung.

Kritik an Ausbeutung

Er isst die Kost der Einheimischen: Bohnen, Reis und Saka Saka, ein Gericht aus gehackten Maniokblättern, und er fragt sich: "Wie kann es sein, dass andere Länder Milliarden von Dollar aus Kongos Bodenschätzen scheffeln, während es vor Ort so viel Armut gibt? Ich verstehe die grassierende Korruption nicht. Die großen Unternehmen dort sind in der Hand von multinationalen Konzernen, die keinen Cent Steuern zahlen. Und dann ist auch kein Geld für das Bildungswesen oder die Gesundheitsversorgung da. Ich wünschte, ich könnte der Ausbeutung ein Ende setzen. Das habe ich von meiner Mutter und meinem Vater geerbt: eine Abneigung gegen Ungerechtigkeit."

Die Baluba und ihre Geschichte

Die Kompanys gehören zur Ethnie der Baluba, einem Bantu-Volk aus dem Kasai, der Diamantenregion des Kongo. Die Spuren dieses überwiegend christlichen Volkes reichen bis ins fünfte Jahrhundert vor Christus und ist gezeichnet von Verfolgung und Flucht, aber auch enormer Widerstandsfähigkeit und Tatendrang, was ihnen die Bezeichnung "Juden des Kongo" einbrachte.

Die Familie von Vincent Kompany.
Die Familie von Vincent Kompany. © imago sportfotodienst

Die Baluba-Kasayi, die für ihre Intelligenz, Belastbarkeit, Ehrgeiz und Flexibilität bekannt sind, aber auch als hochmütig, arrogant oder herrschsüchtig gelten, schickten ihre Kinder in die von den belgischen Missionaren geleiteten Schulen, stiegen beruflich in die höchstmöglichen Positionen für Schwarze in der Kolonialgesellschaft auf und erlangten damit eine Vormachtstellung gegenüber anderen schwarzen Bevölkerungsgruppen. Dieser Überlegenheitskomplex gegenüber den Bena Luluwa, ihren einstigen Herren, ist einer der Gründe, die 1960 am Vorabend der Unabhängigkeit zum Rassenkrieg führen. 30.000 Baluba-Kasayi müssen fliehen, aus Angst vor Repressalien seitens der neuen Machthaber.

Familiengeschichte der Kompanys

Kompanys Vater Pierre – sein voller Name lautet Ntalaja-Kabanza Tshimanga – stammt aus dem Dorf Bena-Kazadi in der Region Kasai. Sein Vorfahre Kabanza war dort Dorfvorsteher, und Pierre sagt: "Wir sind schon immer Chefs gewesen." Er sagt auch, dass Vincent diesen Titel erben wird: "Wenn man mit der Erkenntnis aufwächst, dass man ein Nachfahre eines Häuptlings ist, beeinflusst das unweigerlich das Leben und die Entscheidungen."

Kompanys Vater ist für alle Handelsstützpunkte einer Minengesellschaft zuständig, sammelt dort das Geld ein, und so hieß es immer, dass die Compagnie oder die Gesellschaft vorbeikam. So wurde aus Compagny schließlich Kompany.

Alte Aufnahmen von Kompanys Familie.
Alte Aufnahmen von Kompanys Familie. © imago sportfotodienst

Vater Pierre Kompanys Weg nach Belgien

Der Bayern-Coach erinnert sich: "Uns fehlte es nie an Geld. Mein Vater war ein évolué, einer der gebildeten Kongolesen, die Geld verdienten und in die Stadt zogen, um dort zu leben. Ihre Lebensweise war die der Europäer sehr ähnlich." Als Vater Pierre sein Studium in Kinshasa beginnt, spielt er mit den Nachbarn, gilt als guter Dribbler und lässt sich überreden, bei einem Drittligisten mitzukicken, mit dem er prompt Meister und Torschützenkönig wird. Als Stürmer in der Uni-Mannschaft fällt er auf und schließt sich dem FC Englebert an, später Tout Puissant Mazembe genannt, ein kongolesischer Top-Verein, der 1966, 1967 und 1969 den nationalen Titel holt und 1967 und 1968 auch den Afrika-Pokal der Landesmeister gewinnt. Kompany kickt in den frühen 70ern ein Jahr lang für diesen Klub, konzentriert sich aber doch lieber auf sein Studium, auch weil er fürchtet, dass seine Fußballkarriere wegen seines politischen Engagements am seidenen Faden hängt.

Vater Pierre neben dem jungen Vincent Kompany.
Vater Pierre neben dem jungen Vincent Kompany. © imago/Reporters

Pierre Kompany sieht nämlich keinen Sinn darin, in einer Diktatur ohne Aussicht auf Besserung und einen anständigen Job zu leben. Und er weiß auch, was zu tun ist: Dass man in Kinshasa eine Bescheinigung erhält, die besagt, dass er an einer "Krankheit" leide, für deren "Behandlung" nur Belgien infrage käme. Den Namen der "Krankheit", die ihn damals befallen habe, hat er vergessen, sagt Pierre Kompany, "aber so gelangte ich 1975 nach Belgien." Elf Jahre später kommt Vincent zur Welt, der Häuptlingssohn.

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