Kalle Riedle im AZ-Interview: "Anfield ist ein besonderes Highlight"
AZ-Interview mit Ex-Stürmer Karl-Heinz Riedle über den Kracher des FC Bayern bei seinem Ex-Klub FC Liverpool.
München - Karl-Heinz Riedle spricht in der AZ über den Kracher des FC Bayern bei seinem Ex-Klub, den Mythos Liverpool, seine "traumhafte" Zeit dort und Trainer Klopp: "Er hat eine Gabe, die Zuschauer mitzureißen".
AZ: Herr Riedle, der FC Bayern tritt am Dienstag (21 Uhr/Sky) beim FC Liverpool an. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
KARL-HEINZ RIEDLE: Das ist ein Klassiker. Liverpool und dann auch noch mit Jürgen Klopp als Trainer. Es ist für beide Mannschaften ein besonderes Spiel, für beide geht es ja auch um viel. Jeder erwartet das mit Spannung. Ich hatte eine tolle Zeit in Liverpool. Deshalb werde ich ihnen die Daumen drücken.

Ist Liverpool auch Ihr Favorit?
Liverpool macht einen super Eindruck. Und Bayern ist auf dem Weg, wieder wesentlich besser zu spielen als in der Vorrunde und hat mehr Erfahrung in der Champions League. Für mich ist es ein Fifty-Fifty-Spiel.
Hat Liverpool mit Mohamed Salah, Roberto Firmino und Sadio Mané den aktuell besten Sturm der Welt?
Es ist auf jeden Fall ein Super-Sturm und zumindest eine der besten Sturmreihen, die es derzeit gibt.
Wo ordnen Sie Bayerns Robert Lewandowski ein?
Robert ist für mich immer noch der beste Mittelstürmer der Welt. Mit ihm hat Bayern eine Waffe. Aber er alleine wird es nicht richten können. Liverpool ist sehr stark und unberechenbar. Es hängt nicht nur alles an Salah – Mané oder Firmino können das Ding genauso entscheiden. Bei Bayern ist dagegen schon relativ viel davon abhängig, dass Lewandowski in Topform ist.
Sehen Sie die Gefahr, dass die anfällige Münchner Abwehr an der Anfield Road überrannt werden könnte?
Liverpool wird draufgehen und versuchen, viel Druck zu machen – aber jetzt nicht Harakiri spielen. Aber klar ist: Liverpool hat vorne ziemlich viel Geschwindigkeit und das wird eine ordentliche Aufgabe für Bayerns Abwehr werden.
Kann diese außergewöhnliche Kulisse vielleicht auch die Bayern noch beeindrucken?
Die Jungs haben schon überall auf der Welt in allen Topstadien gespielt. Anfield Road ist noch mal ein besonderes Highlight. Ich glaube aber nicht, dass sich die Spieler da in die Hose machen. Die wissen, was es heißt, auf diesem Niveau in so einem Stadion zu spielen.
Eine solche Atmosphäre im Rücken kann einen als Spieler aber schon tragen, oder?
Wir haben das ja auch vor zwei Jahren mit Borussia Dortmund im Viertelfinale der Europa League erlebt, als wir 3:2 geführt und geglaubt haben, das Rückspiel in Liverpool eigentlich schon in der Tasche zu haben. Dann wurden sie von den Zuschauern noch mal nach vorne gepeitscht und haben das Ding noch gedreht und 4:3 gewonnen. Jürgen Klopp hat da natürlich auch eine Gabe, die Zuschauer mitzureißen. Das war schon erstaunlich. So extrem habe ich das zu meiner Zeit in Liverpool selten erlebt.
Wie war es für Sie, vor der legendären Fankurve "The Kop" einen Treffer zu erzielen?
Das war schon sehr emotional für mich, aber eigentlich auch genauso, wenn ich ein Tor in Dortmund geschossen habe.
Die "You’ll Never Walk Alone"-Hymne in Liverpool ist legendär. Was macht für Sie den Mythos Liverpool darüber hinaus aus?
Das ist ein Verein mit wahnsinnig viel Historie. Das beeindruckt dich als Spieler direkt. Das habe ich selbst erlebt, als ich zum ersten Mal dort in den Katakomben war oder oben in den Räumen – da hängt eine Trophäe, ein Europapokal neben dem anderen. Auch durch die Stadionkatastrophen von Heysel und Hillsborough ist der Verein sehr eng mit seinen Fans zusammengewachsen. Es war immer wahnsinnig emotional – und die Leute stehen hundertprozentig hinter ihrem Verein. Das ist schon ausgeprägter als bei vielen anderen Klubs. Wobei ich auch hier sagen muss: Dortmund steht dem in nichts nach.
Welche Bedeutung hatte der Wechsel von Dortmund nach Liverpool für Sie?
Damit hat sich schon ein Kindheitstraum für mich erfüllt. Kenny Dalglish, Graeme Souness, Kevin Keegan, Ian Rush – das waren Helden meiner Jugend. Ihnen habe ich in den ganz großen Europapokalspielen zugesehen und gedacht: "Mein Gott, das wäre mal toll, da zu spielen."
War es für Sie als erster Deutscher in Liverpool schwieriger als für Hamann, Babbel und Co., die ihnen später folgten?
Ich habe die Bühne für die Jungs freigemacht (lacht). Ich wurde aber trotz der Vergangenheit, dem Krieg und allem total nett aufgenommen und habe in Liverpool zwei traumhafte Jahre verbracht.
Mit einer interessanten Mannschaft, zu der zwei 17-Jährige gehörten: Steven Gerrard und Michael Owen.
Ich kann mich noch gut an unsere erste Begegnung erinnern. Unser Coach Roy Evans sagte uns, dass ein paar Jugendspieler bei uns mitmachen. Dann ging das Trainingsspiel – acht gegen acht – mit uns arrivierten Spielern los. Und der Steven Gerrard grätscht Paul Ince direkt aber so was von weg – so eine Grätsche habe ich noch von niemandem zuvor gesehen. Da habe ich gleich gedacht: "Mein Gott, das wird mal ein ganz Großer, wenn du schon mit 17 so frech bist und den Captain gleich mal so wegräumst." Er und Michael waren schon in dem Alter Ausnahmetalente. Das hat dann einfach Spaß gemacht mit den Jungs.

Seit 2015 trainiert Jürgen Klopp nun den FC Liverpool.
Ich habe schon damals gesagt: Das passt wie ein Deckel auf einen Topf. Auch er war von Kind auf Liverpool-Fan – und auch für ihn ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Jürgen ist genau der Trainer, den sie gebraucht haben, der sie wieder mitreißt, die Philosophie, wie Liverpool früher gespielt hat, wieder reinbringt. Und er will natürlich Titel gewinnen. In der Meisterschaft und der Champions League ist er voll im Rennen dabei.
Welchen Stellenwert hätte der erste Liverpooler Meistertitel seit 1990 für ihn?
Wenn er aussuchen dürfte zwischen Champions-League- und Meistertitel, würde er immer die Meisterschaft nehmen – das wäre das Allerhöchste für ihn. In England die Liga zu gewinnen, ist viel schwieriger als überall sonst auf der Welt, weil es einfach fünf, sechs Teams gibt, die vom Potenzial her fast alle gleich stark sind.
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