Interview

"Heutzutage vergessen wir das oft": Was Bayern-Star Tah persönlich am wichtigsten ist

Teil 1 des exklusiven Weihnachts-Interviews mit Jonathan Tah: Der Bayern-Verteidiger spricht mit der AZ über sein persönliches Weihnachtsfest, seinen Glauben und französischen Rap.
von  Maximilian Koch
Spricht in der AZ über seinen Glauben: Bayern-Verteidiger Jonathan Tah.
Spricht in der AZ über seinen Glauben: Bayern-Verteidiger Jonathan Tah. © Daniel Loeper

AZ: Herr Tah, wie wird bei Ihnen zu Hause Weihnachten gefeiert?
JONATHAN TAH: Wir sind in den Bergen, nicht weit weg von München. Ich liebe die Berge, dort kann ich abschalten und habe das Gefühl, weg von allem zu sein. Ich freue mich immer sehr auf Weihnachten, weil es für mich bedeutet, Zeit mit der Familie zu verbringen. Und dem Jona, der nichts mit Fußball zu tun hat, Raum zu geben und meinen Glauben auszuleben.

Tah: "Die Online-Kirche ist eine gute Option für mich"

Wie machen Sie das, gehen Sie in die Kirche?
Ja, ich versuche in die Kirche zu gehen. Jetzt im Urlaub werde ich es wohl nicht schaffen an Heiligabend, aber es gibt ja auch die Online-Kirche. Das ist eine gute Option für mich. Ich lese rund um Weihnachten mehr in der Bibel und klar: Ich bete auch.

Was gibt es bei Familie Tah denn an Heiligabend zu essen?
Wir haben nicht so das eine Weihnachtsessen, das es immer gibt. Nicht immer die Gans. Mir ist ein Essen wichtig, das so ein bisschen dieses Weihnachtsgefühl und diese Wärme widerspiegelt.

Mir ist, ein Essen wichtig, das so ein bisschen dieses Weihnachtsgefühl und diese Wärme widerspiegelt.

Jonathan Tah

Bayern-Verteidiger gönnt sich zu Weihnachten auch mal ein Plätzchen

Kochen Sie selbst?
Das ist eher nicht so mein Ding (lacht). Ich mag es eigentlich, es macht mir Spaß, mit meiner Frau zusammen auch mal in der Küche zu stehen. Aber meistens schickt sie mich wieder raus, weil ich es nicht so mache, wie sie sich das vorstellt.

Fußballprofis haben auch in der freien Zeit Ihre Trainingspläne dabei und müssen sehr diszipliniert leben. Gönnen Sie sich trotzdem eine kleine kulinarische Sünde in der Weihnachtszeit?
Ja, schon. Das Weihnachtsgebäck, die Kekse - das ist schon alles sehr, sehr lecker. Und Schokolade gehört für mich auch dazu in dieser Zeit.

Jonathan Tah im Interview mit AZ-Chefreporter Maximilian Koch.
Jonathan Tah im Interview mit AZ-Chefreporter Maximilian Koch. © Daniel Loeper

"Ich versuche, mir bewusst mehr Zeit für meinen Glauben zu nehmen"

Sie haben Ihren Glauben bereits angesprochen. Halten Sie rund um Weihnachten noch mehr inne als sonst im Jahr?
Definitiv. Ich versuche, mir bewusst mehr Zeit für meinen Glauben zu nehmen. Zum Glück haben wir in der Bundesliga jetzt keine Spiele, da kann man wirklich mal auf die Bremse treten und sich auf andere Dinge konzentrieren. Das Schönste ist das Zusammenkommen mit meinen Liebsten, da geht es mir immer besonders gut. Heutzutage vergessen wir das oft, weil wir auf unsere Karriere fokussiert sind und jeder etwas anderes macht. An Weihnachten geht es nur um die Familie. Ich spüre in dieser Zeit vor allem Dankbarkeit, das ist der wichtigste Wert für mich. Und den kann auch jeder leben – egal, welchen Glauben man hat.

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Beten Sie jeden Morgen?
Ja, wenn ich morgens aufstehe, habe ich mein Morgenritual. Ein Teil davon ist, zu beten. Und da geht es mir auch sehr viel um Dankbarkeit: Für das Leben, das ich leben darf, dafür, wie ich aufwachsen durfte, welche Möglichkeiten ich habe. Ich bete natürlich auch für andere Menschen.

Ich liebe Musik und die Energie, die durch sie entsteht. Musik kann einen großen Einfluss auf den Gemütszustand haben. 

Jonathan Tah

Tahs' Großvater hat eine Kirchengemeinde gegründet

Wie sind Sie zu Ihrem Glauben gekommen?
Als Kind vor allem durch die Seite meines Vaters. Mein Opa hat eine eigene Kirchengemeinde gegründet. Für mich selbst habe ich meinen Glauben dann noch mal ein bisschen anders entwickelt. Heute kann ich in jedem Moment darauf zurückgreifen, in guten wie in schweren Zeiten. Es gibt diese Basis, dieses Fundament, an dem ich mich immer wieder festhalten kann. Und der Glaube gibt mir gewisse Werte, wie ich leben möchte. Damit kann man ein sehr erfülltes Leben führen.

Auch vor Spielen gehört für Sie ein Gebet dazu – und französischer Rap.
Stimmt. Das passt eigentlich gar nicht so richtig zusammen. Aber es gehört beides zu meinem Ritual. Ich liebe Musik und die Energie, die durch sie entsteht. Musik kann einen großen Einfluss auf den Gemütszustand haben. Französischer Rap pusht mich einfach.

Kein Zeichen der Verzweiflung: FC-Bayern-Kicker Jonathan Tah und sein Ritual der Ruhe vor dem Anstoß.
Kein Zeichen der Verzweiflung: FC-Bayern-Kicker Jonathan Tah und sein Ritual der Ruhe vor dem Anstoß. © Imago

"Für mich war immer wichtig, zu verstehen, dass ich nicht nur Fußballer bin"

Was Sie auch beschäftigt, ist das Thema mentale Gesundheit. Sie arbeiten mit einer Psychologin und einem Performance-Coach zusammen. Wie oft holen Sie sich da Unterstützung zur Seite?
Mit meiner Psychologin und mit meinem Performance-Coach spreche ich sehr regelmäßig. Es geht dabei um Balance in meinem Leben. Für mich war immer wichtig, zu verstehen, dass ich nicht nur Fußballer bin. Ich bin jetzt auch Ehemann, ich bin Sohn, ich habe Freunde, also einfach auch andere Bereiche. Und ich definiere mich selbst nicht nur über den Fußball, weil es den Zeitpunkt geben wird, an dem ich keinen Fußball mehr spielen werde.

Anders als vor einigen Jahren ist es im Spitzenfußball inzwischen Usus, dass Mentaltrainer und Psychologen hinzugezogen werden. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das sollte normal sein. Und da hat sich im Fußball sowie in der Gesellschaft insgesamt etwas verändert. Gerade im Fußball, finde ich, geht aber noch viel mehr. Ich ziehe gerne dieses Beispiel heran: Wenn dein hinterer Oberschenkel nicht so stark ist, weil du vielleicht mal verletzt warst, dann trainierst du den. Und genauso kannst du dein Gehirn oder deine mentale Gesundheit verbessern. Manchmal sind es Erlebnisse aus der Kindheit, die dich später einholen und belasten. Ich kenne Spieler, denen es total leichtfällt, in einer neuen Mannschaft anzukommen und sich in einem neuen sozialen Umfeld schnell zurechtzufinden. Und es gibt andere, denen es extrem schwerfällt, weil sie vielleicht in der Schule gemobbt wurden oder andere schlechte Erfahrungen gemacht haben. Daran zu arbeiten, das aufzuarbeiten - das kann dir enorm helfen. Und das ist auch kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.

Jeder Spieler fokussiert sich anders. Mit der AZ hat Jonathan Tah über seine Ausgleichsrituale und seinen Glauben gesprochen – hier beim Spiel gegen Heidenheim.
Jeder Spieler fokussiert sich anders. Mit der AZ hat Jonathan Tah über seine Ausgleichsrituale und seinen Glauben gesprochen – hier beim Spiel gegen Heidenheim. © IMAGO/Pressefoto Rudel/Nico Bauhof (www.imago-images.de)

Tah setzt sich bei der Egidius-Braun-Stiftung ein

Sie setzen sich gesellschaftlich ein, etwa bei der Egidius-Braun-Stiftung, die unter anderem krebskranke Kinder unterstützt. Was ist Ihre Motivation dafür?
Das bedeutet mir extrem viel. Aber es geht dabei nicht um mich. Ich kann den Kindern zeigen: Ihr werdet gesehen. Und durch meine Stellung als Nationalspieler werden vielleicht auch andere darauf aufmerksam und engagieren sich – vielleicht auch in der Fußballbranche. Ich glaube, wenn wir das alle so ein bisschen in uns haben und jeder ein Prozent einbringt, dann können wir viel bewirken, damit die Welt schöner wird.

Manchmal sind es Erlebnisse aus der Kindheit, die dich später einholen und belasten.

Jonathan Tah

Es gab auch in dieser Saison wieder rassistische Vorfälle in den Stadien, in der Gesellschaft sieht man bedenkliche Entwicklungen. Sie wurden als Jugendspieler beim Hamburger SV selbst rassistisch beleidigt. Haben wir im Fußball immer noch – oder wieder – ein Rassismus-Problem?
Ich mag es nicht, immer zu sagen: Rassismus-Problem. Aber es gibt natürlich viel zu viele Situationen, in denen Menschen Rassismus erfahren und man das Gefühl hat: Okay, eigentlich sollten wir in unserer Gesellschaft doch schon viel weiter sein. Auf der anderen Seite gibt es auch viele positive Beispiele, wo ich sage: Cool, das hätte es früher so nicht gegeben.

"Ich weiß nicht, ob das vor 30 oder 40 Jahren möglich gewesen wäre"

Was meinen Sie genau?
Dass ich im Länderspiel gegen Luxemburg als Kapitän für die deutsche Nationalmannschaft aufgelaufen bin. Ich weiß nicht, ob das vor 30 Jahren oder 40 Jahren möglich gewesen wäre für einen deutschen Spieler mit meiner Hautfarbe. Ob das als normal angesehen worden wäre und mir viele Leute gratuliert hätten. Ich glaube nicht.

Trug im Länderspiel gegen Luxemburg die Kapitänsbinde: Jonathan Tah.
Trug im Länderspiel gegen Luxemburg die Kapitänsbinde: Jonathan Tah. © IMAGO

Was kann man im Fußball und gesellschaftlich tun, um gegen Rassismus anzukämpfen?
Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Es ist wichtig, im Austausch zu bleiben, denn nur so versteht jemand auch, was es überhaupt bedeutet: Wieso hat das gerade jemanden verletzt oder wieso war das rassistisch? Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die Leute nicht so richtig trauen, zu fragen. Da könnten wir noch mehr erreichen und mehr verbessern.

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