FC Bayern: Deutscher Stammtisch in den USA mit Klinsmann und Müller? "Das fände ich genial"

Audio von Carbonatix
AZ: Herr Klinsmann, wenn Sie Thomas Müller jetzt anrufen, denken Sie, er geht ran?
JÜRGEN KLINSMANN: Das weiß ich nicht. Aber wenn ich den Thomas jetzt anrufen müsste, würde ich ihm Amerika so schmackhaft wie möglich zu machen (lacht).
Die Frage deshalb: Als Sie ihn im Sommer 2008 anriefen, um ihn ins Trainingslager mit zu den Profis zu nehmen, ging er nicht ran, weil er gerade auf dem Abiball war.
Ich erinnere mich natürlich noch daran (lacht). Ich hatte ihm davor auf dem Trainingsplatz und in den Spielen oft angeschaut. Die Bayern-Amateure haben damals immer ein bisschen später als wir trainiert. Ich bin öfter zu meinem Idol Gerd Müller, der dort Co-Trainer war, gelaufen. Ich wollte einfach mit ihm quatschen und er hat dann geschwärmt, er habe ein paar Gute. Einer davon war natürlich der Thomas. Aber auch Holger Badstuber und Diego Contento waren dabei. Der Thomas stach aber mit seiner Lockerheit und seiner fußballerischen Intelligenz heraus. Deswegen haben wir ihn und den Holger gleich hochgezogen.
"War es einfach schön, so ein Ausnahmetalent zu sehen"
Waren Sie sofort überzeugt von Müller oder haben Sie sich nicht mal gedacht, so ein schlackiger Stürmer?
Ich schaue bei jungen Spielern mehr auf die Spielanlage und das Talent als auf die Physis. Die Physis kommt mit der Zeit. Der Thomas war schon unglaublich selbstbewusst. Und er war beidfüßig und konnte von der Spielanlage eigentlich alles umsetzen. Wenn er im Strafraum war, dann brauchte er keinen Blick, der wusste, wo das Tor steht. Der hat einen 360-Grad-Scanner in seinem Gehirn. Da war es einfach schön, so ein Ausnahmetalent zu sehen.

War er damals in den ersten Trainingseinheiten schon Radio Müller, der er immer für einen Spruch gut war, oder war er da eher noch zurückhaltend?
Er war schon eher zurückhaltend. Wobei ich nicht sagen kann, ob er gegenüber den Mitspielern anders war, weil ich nicht durch die Kabine gegangen bin. Aber sein Vorteil war immer, dass er beim FC Bayern zu Hause war. Und dann kann es schnell gehen. Wenn man schaut, 2010 war er bei der Weltmeisterschaft in Südafrika und wurde Torschützenkönig. Das ist schon ein kleines Märchen, das er erlebt hat.
"Thomas hat sich da ohne große Worte in die Mannschaft eingefügt "
Direkt am 1. Spieltag, ein 2:2 gegen HSV, durfte er als 18-Jähriger sein Debüt feiern. Konnte er in der Vorbereitung überzeugen?
Mir ging es damals mehr und das Gesamtmannschaftliche. Wir hatten in dieser Saison große Verletzungsprobleme. Franck Ribéry, Miroslav Klose und Luca Toni waren lange verletzt. Thomas hat sich da ohne große Worte in die Mannschaft eingefügt und ist Woche für Woche gewachsen. Gleichzeitig haben wir ihm auch nie Stress gemacht. Und dafür steht die Bundesliga heute noch. Es wird jungen Kerlen recht früh eine Chance gegeben. Deswegen sage ich den amerikanischen Talenten immer, dass sie Angebote aus der Bundesliga annehmen sollen.
Sie gelten als Talententdecker. Er stand danach bis zum 24. Spieltag nicht mehr im Kader, Sie hätten ihm sogar die Wechselfreigabe zur TSG Hoffenheim gegeben. Was hat Sie damals nicht so ganz überzeugt?
Die Leistungen waren fein, aber der Konkurrenzdruck war hoch. Gleichzeitig willst du, dass ein Talent Spielzeit bekommt. Aber an Diskussionen über Wechselfreigaben habe ich nicht teilgenommen, das war Uli Hoeneß sein Bereich. Deswegen habe ich ihm die Wechselfreigabe gegeben. Aber da hat sich Uli Hoeneß genauere Gedanken darüber gemacht. An den Diskussionen habe ich nicht teilgenommen.

FC Bayern verliert "einen Anführer"
Schauen wir auf die Gegenwart: Nun hat er in den USA, ihre Wahlheimat, sein letztes Spiel für den FC Bayern geben. Was verliert der FC Bayern mit ihm?
Natürlich einen Anführer. Müller hat die Kabine zusammengehalten und war das absolute Aushängeschild des FC Bayern. Er ist bayerisch, münchnerisch durch und durch. Er strahlt immer Freude aus und macht den Mund auf, wenn es mal schlecht läuft. Es ist schon bewundernswert, welche Treue er gegenüber dem FC Bayern hatte. Das findet man selten im Profifußball. Er kann wirklich stolz sein, was er für den Verein geleistet hat. Aber jetzt geht das Leben weiter. Es kommt das nächste Kapitel. Ich hoffe, dass er jetzt den Blick aufmacht und schaut, was außerhalb von Deutschland passiert. Er spricht sehr gut Englisch und eine Auslandserfahrung ist für jeden Menschen eine Bereicherung. Man sieht Dinge von anderen Perspektiven.
Sehen Sie ihn wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge irgendwann in einer Managerposition beim FC Bayern?
Er ist ein wacher Kopf und auch gewillt, in einen anderen Bereich zu gehen. Aber wenn du ins Management willst, musst du dich mit Finanzen und Verhandlungsmethoden auskennen. Dafür braucht es eine Ausbildung. Ich bin mir sicher, die Leute beim FC Bayern oder auch bei Adidas könnten ihn da schulen. Die würden ihn mit offenen Armen empfangen. Aber es braucht die Offenheit, ein neues Kapital von vorne zu schreiben. Du lebst dann nicht mehr mit deinem tollen Spielernamen, sondern musst Schritt für Schritt lernen, was im Managementbereich wichtig ist.

Klinsmann über Müllers Zukunft: "MLS wäre ein super Übergang"
Bietet sich da nicht jetzt auch der Wechsel in die USA gut an, um sich neben dem Kicken schon im Managementsektor weiterzubilden?
Bei ihm ist jetzt ein ganz langes Kapitel zu Ende gegangen. Der Übergang zum Managementbereich wäre da sicherlich leichter, wenn er das zwei bis drei Jahre noch mit Fußball verbindet. Und klar, die MLS wäre ein super Übergang.
Ein Wechsel zu Bayern-Partnerklub LAFC ist eine Option. Sie leben seit Jahren in Los Angeles, haben die Stadt lieben gelernt. Passt der Lifestyle zu Müller?
Allemal. Los Angeles ist eine Weltstadt. Das Trainingsgelände von LAFC ist klein, aber fein. Das Stadion ist neben der Universität und wunderschön. Dort ist auch nebenan das Olympiastadion für 2028. Los Angeles ist außerdem die Sportstadt der nächsten Jahre. Die WM kommt 2026 und zwei Jahre später kommt Olympia. Es wird so viel neu gebaut und renoviert. Und der Vorteil für ihn: Der Fußball hat hier nicht ganz den Stellenwert, den er in Europa genießt. Er kann gemütlich in den Supermarkt gehen und einkaufen. Da wird er total in Ruhe gelassen.

Müller in der MLS: "Er würde dann den FC Bayern und die Bundesliga vertreten"
Bei der Klub-WM hat man gesehen, dass die Amerikaner noch nicht so recht auf den Geschmack gekommen sind, was Fußball betrifft. Könnte Müller dafür sorgen, dass es bei der WM im kommenden Jahr anders ist?
Er würde auf jeden Fall helfen, den Fußball medial noch mehr zu transportieren. Er würde dann den FC Bayern und die Bundesliga vertreten. Denn medial wird er immer der Thomas Müller vom FC Bayern sein. Und gerade in diesen Jahren, in denen Los Angeles durch die WM und Olympia zum Mittelpunkt der Welt wird, wäre es sehr gutes Timing.
Mit welchen Ligen kann man das Niveau der MLS vergleichen?
Natürlich ist die Liga eine Stufe unter den fünf Top-Ligen in Europa. Sie ist auf der Stufe mit der mexikanischen Liga. In Europa kann man sie vielleicht mit Holland, der Schweiz und Österreich vergleichen, die Talente in den Topf mitreinfüttern. Die Vereine holen viele junge Talente aus Südamerika, die die MLS als Sprungbrett für Europa nutzen. Und von der Infrastruktur ist alles top mittlerweile. Es sind 30 Mannschaften mit fantastischen Fußballarenen, die meisten mit einer Kapazität von 20.000 bis 30.000 Zuschauern. Die Trainingsgelände können sich auch sehen lassen. Und die Liga läuft auch nicht mehr Gefahr, wie damals mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller, dass sie Konkurs geht. Die Eigentümer der MLS-Klubs sind dafür viel zu wohlhabend. Das sind Unternehmen, die neben den Vereinen noch große Football- und Basketballteams haben. Da ist der Fußballklub ein Teil des Portfolios.

Auch Marco Reus ist in den USA. Wäre dann nicht ein deutscher Stammtisch möglich, ähnlich wie es in Monaco einst Volland, Nübel und Hülkenberg hatten?
Das fände ich genial. Ich weiß nur nicht, welche Flagge da auf dem Tisch stehen würde (lacht). Wobei, am Ende wird es einfach die deutsche Fahne. Was ich sagen kann: Marco hat auch ganz viel Freude hier. Ich hatte Gelegenheit, ihn ganz am Anfang zu treffen und hab ihm ein paar Ecken gezeigt, weil ich unterhalb von Los Angeles wohne. Jetzt kennt er sich schon bestens aus, nicht nur auf der Autobahn. Beim Thomas wäre das mit LAFC etwas anders, weil der Klub im Norden der Stadt liegt. Aber Thomas könnte sich immer bei mir melden, wenn er Tipps braucht.