Deutliche Kritik trotz zweier Siege: Tuchel macht in England dieselben Fehler wie beim FC Bayern

München/London – Allzu lange hat der Burgfrieden nicht gehalten, den sich die englische Presse bei der Inthronisierung von Thomas Tuchel auferlegt hat.
Es wollen doch alle nach der Weltmeisterschaft 1966 wieder einen Titel und wenn es sein muss, dann holen wir ihn halt mit dem Deutschen. So der gefühlte Tenor in der gefürchteten Yellow Press, die sich nach der Ernennung von Tuchel als Nationaltrainer ungewohnt zahm gab. Gemeinsam zum WM-Titel 2026 - irgendwie wird das schon hinhauen.
Tuchel feiert mit England zwei Siege – und steht trotzdem in der Kritik
An den Ergebnissen lag es nicht, dass die Medien die Samthandschuhe nun schon wieder beiseitegelegt haben. Zum Auftakt in die WM-Qualifikation gab es am vergangenen Freitag einen 2:0-Sieg über Albanien, am Montag folgte ein souveräner 3:0-Erfolg gegen Lettland. Und doch ging die englische Presse mit ihrer Nationalmannschaft und deren Trainer hart ins Gericht.
Laut BBC habe der Arbeitssieg gegen Lettland gezeigt, dass Tuchels angestrebte Veränderung "keine schnelle Lösung sein wird – denn es war mehr das alte, mühsame England, das man so oft unter Southgate (Tuchels Vorgänger, d.Red.) gesehen hat."
Für den "Daily Star" scheint die WM für Tuchels "schläfrige Löwen" nach einem "frustrierenden Abend noch in weiter Ferne zu liegen". Tuchels England sei "langweilig und träge" gewesen, schrieb die "Daily Mail": "Wenig hat sich seit dem Abschied von Gareth Southgate geändert".
Die "Sun" titelte, dass das Traumtor von Reece James dem ehemaligen Bayern-Cheftrainer "die Schamesröte ersparte, als die Three Lions sich abmühten, den Außenseiter auf Platz 140 der Weltrangliste zu besiegen". Angesichts zweier Siege zum Einstand ein bemerkenswertes Zeugnis!
Tuchel trat heftig gegen Vorgänger Southgate nach
Dass Tuchel seine Kreditlinie bei den britischen Medien in Rekordzeit ausgereizt zu haben scheint, hat er sich nicht zuletzt auch selbst zuzuschreiben. Schon vor seinem ersten Spiel an der Seitenlinie der "Three Lions" sorgte der 51-Jährige mit ungewöhnlich deutlicher Kritik an seinem Vorgänger Southgate für hochgezogene Augenbrauen.
Unter ihm habe der Mannschaft bei der EM im vergangenen Sommer Hunger und Biss gefehlt, auch eine wirkliche Spielidee sei nicht erkennbar gewesen. Die Spieler hätten mehr Angst vor dem Ausscheiden als Lust auf den Titel ausgestrahlt, so Tuchel. Eingedenk der Tatsache, dass Southgate mit England ins EM-Finale eingezogen war, während er selbst bei den Bayern die erste titellose Saison seit 2012 zu verantworten hatte, eine mutige Aussage.
Die feine englische Art geht anders, das wurde auf der Insel genau registriert. Southgate selbst ersparte sich übrigens eine Replik. Ein Gentleman halt.
Tuchel sorgte beim FC Bayern für unnötige Schlagzeilen
Wie schnell der gebürtige Krumbacher ins Visier der britischen Medien geraten ist, wird beim FC Bayern wohl nur die wenigsten verwundern. Während seiner nicht einmal anderthalb Jahre andauernden Amtszeit beim Rekordmeister hatte Tuchel schließlich regelmäßig mit eigenwilligen öffentlichen Äußerungen für Schlagzeilen gesorgt.
Sei es bei den Personalien Joshua Kimmich und Leon Goretzka, denen er die Eignung für die Rolle der "Holding Six" absprach, beim Live-TV-Zoff mit Rekordnationalspieler Lothar Matthäus oder bei einem der jährlichen vorweihnachtlichen Fanklub-Besuche, in dessen Rahmen er nonchalant von seinem Traum sprach, Trainer in Spanien zu werden. Alles unnötige Aussagen, die im Verein nicht gut ankamen und mit denen sich Tuchel selbst schadete.
Matthäus: Tuchel "sollte die Fehler auch mal bei sich selbst suchen"
Von Matthäus, seinem Intimfeind aus Bayern-Zeiten, setzt es nun heftige Kritik. "Das gehört sich nicht. Da kriegt ein Trainer normalerweise die Rote Karte", sagte der Rekordnationalspieler über Tuchels Kritik an Southgate: "Er sollte die Fehler auch mal bei sich selbst suchen und sich so zeigen, dass er über den Dingen steht. Er soll zeigen, dass sein Weg besser ist als der seines Vorgängers."
Doch damit nicht genug: "Aber das ist typischer Thomas Tuchel: Der hat auch in München Fässer aufgemacht, die eigentlich zu waren. Er musste immer etwas sagen oder machen."
Ähnlich sieht es Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm. "Egal, wo er gearbeitet hat, irgendwann scheint es immer zu Spannungen zu kommen", sagt die Bayern-Legende gegenüber "The Athletic": "Es läuft nicht immer gut für ihn, und wenn es scheitert, liegt es nie an der Taktik, sondern eher an den zwischenmenschlichen Beziehungen."