Dante: "Und Pokal auch!"

VON DANTE
Ich wache auf, schrecke hoch. Wo bin ich? Wie viel Uhr ist es? Hab ich verschlafen? Training? Abfahrt zum Spiel? Hab ich was verpasst? Hektisch greife ich zur Uhr. Ah, alles okay. Erst sechs Uhr früh. Aber dieses Hotelzimmer? Richtig. Ich bin in Rio de Janeiro. Mit meiner Nationalmannschaft, der Seleção.
Draußen wird es langsam hell. In mir auch. Die Erinnerung ist schneller als die Dämmerung. Heute steht ein ganz wichtiges Spiel an. Vielleicht das wichtigste überhaupt, weil es eine einmalige Chance ist – für den FC Bayern München, meine Mannschaft. Im DFB-Pokal-Finale von Berlin können meine Jungs den letzten Schritt zum Triple machen, am Abend heißt der Endspielgegner VfB Stuttgart.
Heute ist der 1. Juni 2013, es könnte ein historisches Datum werden. Nie zuvor in 113 Jahren Vereinsgeschichte ist es dem FC Bayern München gelungen, alle drei großen Wettbewerbe einer Saison zu gewinnen: Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League. Ich kann nicht mehr schlafen, bin jetzt schon nervös. Es arbeitet in mir. Was tun? Ich fühle mich so weit weg und so machtlos. Aber ich will etwas tun, helfen, irgendwie dabei sein. Eine SMS, klar. Noch besser: ein Video! Auf jeden Fall irgendwas zur Motivation. Ich war und bin doch immer einer, der die Jungs pusht.
Meine Gedanken schweifen ab, die Augen fallen mir wieder zu. Gerade eine Woche ist es her, dass wir in London gefeiert haben. Das 2:1 im Champions-League-Finale gegen Dortmund im Wembley-Stadion war der größte Erfolg in der Karriere aller Spieler – doch die größte Party der Saison hatten wir uns für Berlin, für die Nacht nach dem DFB-Pokal-Finale, aufgehoben. Und ausgerechnet diese Superfeier sollte ich verpassen. (...)
Dass ich die Idee zu dem Video schon vor dem Finale hatte und es dann auch gleich verschickt habe, wollten wir damals nicht verraten. Bisher habe ich behauptet, ich hätte es danach gesendet – als Gratulation. Aber das stimmt nicht. Ich sollte das vielleicht nicht zugeben, damit es nicht so aussieht, als wäre ich so überheblich gewesen, schon vor dem Anpfiff gegen Stuttgart von „Pokal auch“ zu singen. Dabei war es als Motivation gedacht.
Lesen Sie hier Teil drei der Dante-Auszüge über seine Vereinssuche als Jugendlicher.
Mein 38-Sekunden-Video entstand so: Wegen der Zeitverschiebung zu Deutschland und dem Jetlag kann ich nicht gut schlafen, außerdem bin ich unruhig wegen all der Sachen, die passiert sind, wegen des heutigen Pokalfinales. Ich wache also an diesem Samstag ganz früh um sechs Uhr morgens in Rio de Janeiro auf, in Deutschland ist es schon zehn Uhr – das verdanke ich meinem Biorhythmus. Meine Gedanken sind beim Pokalfinale, beim FC Bayern. Wie kann ich trotz der Entfernung helfen? Ich muss etwas für die Jungs machen, ihnen eine Botschaft schicken.
Zuerst drehe ich ein ganz normales Video. „Hallo, Jungs!“ Mit der Handykamera nehme ich die Uhrzeit auf: kurz nach sechs Uhr morgens. „Ich bin leider nicht persönlich da, aber mit meinem Herzen bin ich bei euch. Und ich bin überzeugt, dass wir es schaffen, das Triple endlich zu holen. Ich will auf jeden Fall hier in Brasilien das Triple feiern.“
So in der Art, einfach so drauflosgesprochen. Aber ganz zufrieden bin ich nicht, das reicht mir noch nicht. Mein Bauch, mein Herz sagen mir, dass ich etwas Besonderes machen muss. Plötzlich habe ich eine Melodie im Kopf, einen Rhythmus, ein Lied. Später hat man mir erzählt, dass mein Song dem Hit Rivers of Babylon der Gruppe Boney M. ähnelt. Auch, dass die Bayern-Fans ab und zu in den Stadien diese Melodie mit einem anderen Text singen, ist mir nicht bewusst. Vielleicht schwirrte mir die Melodie dadurch aber unterbewusst im Kopf herum.
Ich sitze also da, singe den Song leise vor mich hin, klopfe den Rhythmus mit und denke mir: Hey, das ist gar nicht so schlecht. Ich probiere ein paar Varianten. Ja – so. Nein – so nicht. Hm. Etwa so? Oder so? Bis es passt. Handy zur Hand, ich stelle mich hin, ziehe eines der Bayern-Trikots an, die ich dabeihabe. Selbstaufnahme. Video läuft. Mit dem ersten Versuch bin ich nicht zufrieden. Okay, noch mal, das geht sicher besser. Zweiter Versuch. Ach, ich weiß nicht. Zwischendrin muss ich immer lachen. Fünf Mal nehme ich das Ganze auf, bis ich endlich beschließe, dass es gut ist.
An meine Frisur habe ich dabei allerdings nicht gedacht, auf dem Video sieht man daher meine völlig zerzausten Haare. Klar, ich war ja noch nicht wirklich aufgestanden und im Bad gewesen.
Da wir eine WhatsApp-Gruppe haben, in der alle Spieler zusammengefasst sind, kann ich meine Sachen auf einmal – zack – an alle gleichzeitig verschicken. Auf meine erste kurze Videobotschaft haben schon einige meiner Mitspieler geantwortet: „Hey, super!“, „Danke, Dante!“ oder „Wir schaffen das zusammen. Keine Sorge!“ Sie haben auch Smileys geschickt.
Nach dem ersten nur gesprochenen Video beginne ich deshalb das zweite gesungene Video mit: „Hallo, Jungs! Servus! Wieder, bin da.“ (...)
Nachdem ich das Video mit dem Song verschickt habe, gehe ich frühstücken. Ich kann sowieso nicht mehr einschlafen, bin auch den ganzen Tag über aufgeregt und nervös. Als ich einigen Mitspielern der Seleção meine Performance zeige, amüsieren die sich prächtig.
Ich habe auch in München immer versucht, meine Mitspieler anzuspornen, sie zu motivieren. Das hilft. Ganz sicher. Vor jedem Spiel. Du darfst eben nicht nachlassen. Es müssen immer Spieler in einer Mannschaft sein, die diese Aufgabe übernehmen, die den Rest der Truppe motivieren. Damit alle wach sind.
Arjen Robben ist der Erste, der reagiert, ganz schnell. Er schreibt, er habe sich kaputtgelacht. Und auch Basti Schweinsteiger antwortet sofort, dass er sich sehr Freude habe. Die meisten schicken Nachrichten: „Ja, super! Geile Sache!“ Oder sie senden Smileys.
Basti mag diese Sachen besonders gerne, diese kleinen Filmchen, die wir uns zuschicken. Wir machen dann gerne ein bisschen Quatsch. Das bringt gute Stimmung, das motiviert.