Architekt der Allianz Arena erinnert sich: "Beckenbauer war die treibende Kraft"
AZ: Schlauchboot, Autoreifen oder Luftkissen. Die Allianz Arena hat so viele Spitznamen bekommen. Was ist Ihr Lieblingsspitzname für das Stadion?
JACQUES HERZOG: Ich habe keinen Lieblingsspitznamen (lacht). Aber ich schätze es sehr, wenn die Leute unseren Gebäuden Spitznahmen geben. Es ist immer ein gutes Zeichen, weil die Leute das Gebäude dann mögen. Wir konnten mehrere von solchen Gebäuden zum Beispiel in Hamburg oder Peking bauen. Die sollen den Menschen gefallen, idealerweise sogar von ihnen geliebt werden. Ich finde das sympathisch.
Die Arena wird 20 Jahre alt. Trotzdem wird sie noch als eine der modernsten Sportstätten der Welt bezeichnet. Wie ist das möglich?
Das ist ein Paradox. Es ist eine klassische Arena, fast wie das Colosseum vor 2000 Jahren. Das ist ein Ideal für Architektur. Sie sollte nicht modisch sein, dass man das Stadion nach zwei Jahren wieder abreißt. Besonders im Fußball finde ich es wichtig, dass Stadien Heimstetten für Klubs und ihre Fans sind. Die Anhänger wollen nicht alle paar Jahre ein neues Stadion, sondern wollen ihre persönliche Heimstätte. Sie sind da vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich bin da ähnlich. Ich hatte vor wenigen Wochen das Vergnügen, wieder ins Stadion zu gehen. Das war an einem Nachmittag als es leer war. Dieser Innenraum ist unglaublich eindrücklich und ziemlich nah an der Idealvorstellung dessen, was wir immer wollten. Ein Stadion ist wie ein Kochtopf. Durch die Emotionen und Fangesänge sollte es geschlossen sein. Die Zuschauer sollen gleichzeitig die Nähe zum Platz spüren.
"In Basel steht der kleine Bruder der Allianz Arena"
Wie kamen Sie damals auf die Idee für das Design der Arena?
Wir haben zuerst den St. Jakob-Park in Basel gebaut. Der steht nicht auf einem freien Feld, sondern in der Stadt. Aber ich wollte damals schon die Idee des Leuchtkörpers verwirklichen. Das konnten wir aber nur in Teilen umsetzen. In München ist das perfekt umgesetzt, weil es ein Freistellungsobjekt ist. Die Idee des Leuchtens, diese Lichtenergie, die von innen nach außen dringt, war deshalb sehr früh auf dem Tisch. Und man muss sagen, dass das bis heute sehr gut funktioniert. Mit LED hat man nochmal mehr Möglichkeiten.
Welche Ideen sind Ihnen damals noch durch den Kopf gegangen, als Sie sich an das Design der Allianz Arena gemacht haben?
Das verlief damals alles sehr gradlinig. Es war ein Wettbewerb und man hat gar nicht so viel Zeit, sich viele Alternativen zu überlegen. Ich hatte mich aber schon vorher intensiv mit Stadien auseinandergesetzt. In Basel steht der kleine Bruder der Allianz Arena, weil wir dort die ganzen Themen mit dem Innenraum und der Farbigkeit testen konnten. Bei beiden Stadien hat sich das am Ende extrem gut bewährt. Wobei man sagen muss, dass die Gefäßform in München besonders ausgeprägt ist. Es wie ein Topf. Das Innere ist geschlossen, fast eine runde Form. Es gibt viele Stadien, die Wände haben, die dann vor den Zuschauern plötzlich auftauchen. Das wollte ich nicht.

Allianz-Arena-Architekt über Beckenbauer: "Er war ein sehr positiver Mensch und hat das Projekt gefördert"
Am 21. Oktober 2002 wurde der Grundstein gelegt. Inhalt ist unter anderem eine Ausgabe der Abendzeitung. Wie groß war die Freude bei Ihnen, als Sie mit dem Bau loslegen durften?
Wir wussten, dass das kommen musste. Es gab die Weltmeisterschaft und all diesen Druck. Aber wir waren von Anfang an in einem richtigen Flow. Franz Beckenbauer war da eine treibende Kraft. Ich muss sagen, dass der FC Bayern bis heute ein vorbildlicher Klub ist, der diese Architektur sehr schätzt. Sie kommen regelmäßig auf uns zu, wenn es Änderungen gibt, damit das große Bild erhalten bleibt.
Bleiben wir bei Franz Beckenbauer. Hat er gesagt "Geht’s raus und baut´s ein Stadion" oder war er da eher penibel?
Mit ihm war es immer einfach. Er war ein sehr positiver Mensch und hat das Projekt gefördert. Er hat damals auch den legendären Satz gesagt: "Wenn sie nicht noch einen Neandertaler finden, sollte dem Projekt nichts mehr im Wege stehen." Zum Glück wurde kein Neandertaler gefunden (lacht).
"Haben beim Bau auf jedes kleinste Detail geachtet"
Der FC Bayern war nicht der einzige Bauherr, sondern auch der TSV 1860. Wie oft kam es da zu unterschiedlichen Wünschen an Sie?
Eigentlich nie. Die Idee des Leuchtens ist auch der Idee geschuldet, mit den unterschiedlichen Heimstätten. Die hellblaue Farbe für Sechzig, das rot für die Bayern und weiß für die Nationalmannschaft. Das hat gut funktioniert und bewährt sich bis heute, auch wenn der TSV 1860 nicht mehr im Stadion spielt.
Dazu passt, dass der Bau nur knapp drei Jahre gedauert hat. 700 Bauarbeiter haben im Zweischichtbetrieb von 6.30 bis 24 Uhr durchgearbeitet. Beim Bau der Esplanade wurde sogar durchgebaut. Was hat Ihnen beim Bau am meisten Sorgen bereitet?
Ich habe mich um die konzeptionelle Arbeit gekümmert. Wie sollen die Details sein? Das war ein ziemlich flüssiger Ablauf. Wie Sie gesagt haben: Drei Jahre Bauzeit sind nicht viel für so ein großes Projekt. Aber wir hatten schon Erfahrung mit Stadien, deswegen waren wir auch auf die kleineren Sachen vorbereitet. Zum Beispiel die Sitze, die wir in einer speziellen Form wollten. Wenn die Fans auf ihrem Sitz saßen, sollte es wie eine eigene Heimstätte sein. Außerdem: Wenn der Sitz nicht ins Gesamtbild passt, ist das auch nicht gut. Er ist ein Teil der Identität eines Stadions. Deswegen haben wir beim Bau auf jedes kleinste Detail geachtet.

"Wenn ich mir die Arena heute anschaue, sieht sie aus wie am ersten Tag"
Das unterstreicht die Fassade, die aus 2.784 luftgefüllten Membrankissen besteht. Nur zwei der Rauten sind gleich groß. Hätte man das nicht einfacher machen können?
Vielleicht schon (lacht). Mit digitalen Tools, die es mittlerweile gibt, wäre das keine große Sache gewesen. Aber wir sind heutzutage nicht mehr in einer industriellen Fertigung, wo alles gleich groß ist. Außerdem hat es sich bewährt, weil es sehr robust ist. Das ist für einen Architekten immer eine relevante Frage. Wenn es sich nicht bewährt hätte, wäre es längst geändert worden. Dann wäre das eine Ruine von unseren Vorstellungen. Aber wenn ich mir die Arena heute anschaue, sieht sie aus wie am ersten Tag. Das ist schon toll.
Hatten Sie mal Sorgen, dass die Arena bei diesen ganzen Details nicht rechtzeitig fertig wird?
Die Bauprozesse sind sehr komplex und sehr schwer immer vorherzusehen. Aber eine gute Bauorganisation, die an einer Zeitschiene antizipiert, wann man was und bestellt, kann das. Das Gegenteil sieht man gerade in Deutschland bei öffentlichen Gebäuden, bei denen der Staat als Bauherr fungiert. Da klappt das nicht immer. Die Räder müssen ineinandergreifen.
Gab es beim Bau der Arena trotzdem etwas, das Sie gerne umgesetzt hätten, aber nicht geklappt hat?
Als Architekt denkt man immer noch dazu. Wenn man auf die neusten Stadien schaut, könnte die Kommerzialisierung der Allianz Arena noch größer sein. Andererseits ist das etwas, das wir als Architekten nicht unbedingt wollen. Trotzdem müssen wir eine Antwort liefern, wenn der Wunsch aufkommt. Und im Stadion gibt es noch genug Platz, um Dinge zu ändern. Damals kam zum Beispiel die Frage auf, ob man die Öffnung schließt, sodass die Allianz Arena zum Indoor-Stadion wird. Es wäre dann wie ein Luftkissen gewesen, das man als Flugplatz für VIP-Gäste hätte nutzen können. Also diese hätten dann mit dem Helikopter auf der Öffnung landen können. Das wäre schon ein exotisches Detail gewesen, wurde aber wieder verworfen.
Architekt über erstes Spiel in der Allianz Arena: "War sehr berührt"
Hätten Sie denn Umbauideen, die man in den kommenden Jahren umsetzen könnte?
Man kann immer sagen, dass man ein Stadion für 100.000 Zuschauer möchte. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Wir haben die Zuschauerkapazität schon einmal wesentlich erhöht. Aus architektonischer Sicht habe ich aber keine Wünsche. Ich würde das Stadion immer in der klassischen Form erhalten. Wenn der Verein allerdings mit der Arena mehr in die Richtung Kommerzialisierung gehen möchte, um mehr Einnahmen zu generieren, kann man durchaus Antworten finden. Man muss sich dann überlegen, was typisch für München ist. Auch die Fans spielen eine wichtige Rolle. Sie haben ein sensibles Gespür dafür, was sie wollen. Und das ist neben sportlichen und finanziellen Erfolg eine unverwechselbare eigene Spielstätte.
Am 30. Mai 2005 wurde in der Allianz Arena das erste Mal Fußball gespielt. Was war das für ein Gefühl?
Das war für mich schon sehr emotional. Der FC Bayern ist nicht mein Heimklub, aber ich war sehr berührt. Es hat einen unglaublichen Eindruck gemacht, als das Stadion das erste Mal mit Menschen gefüllt war. Die Menschen sind in der Allianz Arena so dicht aneinander, dass der Raum nur aus Menschen besteht. Das ist ein ganz anderes Erlebnis als im leeren Stadionraum.
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