Eric Frenzel im AZ-Interview: "Ich habe mein persönliches Erfolgsrezept gefunden"

München - AZ-Interview mit Eric Frenzel: Der 32-jährige Kombinierer war sieben Mal Weltmeister, drei Mal Olympiasieger und holte fünf Mal den Gesamtweltcup. Er gehört zu den großen Favoriten bei der Heim-WM in Oberstdorf/Allgäu.
AZ: Herr Frenzel, endlich dürfen Sie in Ihrer illustren Karriere als Kombinierer eine Heim-WM erleben und dann ist aufgrund von Corona eine Geister-WM. Hat man da überhaupt einen Heimvorteil?
ERIC FRENZEL: Das ist schon eine komische Situation, man ist zwar bei einer Heim-WM, aber von Heimvorteil würde ich unter diesen Umständen nicht groß sprechen. Es ist schon bitter und traurig, denn ich kann mich noch erinnern, wie ich bei der Heim-WM 2005 in Oberstdorf als junger Athlet nur als Zuschauer dabei war, aber die Atmosphäre, das Flair, das war schon großartig. Gerade in Momenten, wo man wirklich am Anschlag ist, wo man denkt, es geht eigentlich nicht mehr, kann einen die Unterstützung der Fans den nötigen Kick geben und einen über diese Grenze pushen, die darüber entscheiden kann, ob man eine Medaille holt. Aber in erster Linie bin ich froh, dass wir die WM überhaupt austragen können, dass ich hier die Chance habe, um den Sieg zu kämpfen. Aber die Umstände sind ohne Frage ganz besonders.
Frenzel: "Ich habe für mich mein persönliches Erfolgsrezept gefunden"
Ihre Saison war gut, aber nicht überragend. Wie sehr ziehen Sie daraus Kraft, dass Sie bei der WM vor zwei Jahren in Seefeld nach einer Saison zum Vergessen sich zwei Mal zum Weltmeister krönen konnten?
Das hilft mir ganz sicher. Ich verfüge über die Erfahrung und das Wissen, dass ich bei Großereignissen abliefern, dass ich eben unter Druck meine besten Leistungen bringen kann. Ich habe für mich mein persönliches Erfolgsrezept gefunden. Das geht natürlich nicht immer auf, aber eben doch zum Glück recht oft. Für mich selber ist es nicht wirklich entscheidend, ob ich in der Saison vor so einer WM alles gewinnen konnte - oder ob es eher eine enttäuschende Saison war. Für mich ist einzig und allein wichtig, dass ich in dem Moment fit bin, gut drauf bin und gut trainiert habe. Nur das zählt.

Dann gehen wir Recht in der Annahme, dass Sie fit und gut drauf sind und zudem gut trainiert haben?
(lacht) Von meiner Seite gibt es keinen Widerspruch, der Rest wird und muss sich zeigen.
Wie sind Sie denn ganz persönlich durch die Corona-Krise gekommen? Mir drei Kindern ist das sicher auch nicht so einfach.
Das stimmt ganz sicher, aber ich will da auch nicht jammern. Es gibt so viele Menschen, dennen es viel schlechter geht als uns. Wir haben immer versucht, das Beste draus zu machen - und das tun wir weiter. Witzigerweise hatte ich eh im Herbst 2019 angefangen, mir den Traum von einem Trainingspavillon im eigenen Garten zu erfüllen, das Projekt ist dann im Februar, März fertig geworden - genau zu dem Zeitpunkt, als es mit Corona Richtung Lockdown ging, die Sportschulen geschlossen wurden.
Vor dem Lockdown einen Trainingspavillon im eigenen Garten errichtet
Verschwörungstheoretiker würden sagen, der Frenzel, hat also davon gewusst. . .
(lacht) Genau, jetzt ist es endlich raus.
Also konnten Sie sozusagen Ihr Home Office im Garten erledigen.
Genau. Wir haben den Pavillon extra im Garten angelegt, damit man leicht sagen kann, der Papa geht jetzt arbeiten, ist aber trotzdem nur ein paar Schritte entfernt. So konnte ich Beruf und Privates etwas trennen und trotzdem immer da sein.
Wenn Sie so zurückblicken: Sie sind mit 18 Vater geworden, Ihre Frau war 15. Damals hätten Sie sich sicher nicht vorstellen können, dass Sie 14 Jahre später mit all diesen Erfolgen dastehen würden.
Ganz sicher nicht. Damals ging es darum, wie bringen wir unser Leben irgendwie auf die Reihe. Der Sport war da in dem Moment keine Priorität. Zum Glück hatten wir immer große Unterstützung unserer Eltern, dass wir das alles managen konnten. Es war sicher keine leichte Zeit, aber sie hat uns alle stärker gemacht.
Glauben Sie, dass es für Ihre Karriere wichtig war, dass Sie in so jungen Jahren gezwungen waren, Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für eine Klein-Familie zu übernehmen?
Ich denke, das war ein entscheidender Punkt. Bei allem, was ich tat, war mir klar: Es geht nicht nur um mich, sondern eben die Familie. Ich war mir immer sehr bewusst, dass ich all die Zeit, die ich in den Sport investiere, auch in etwas anderes einbringen könnte. Zeit und Energie, mit der ich Geld verdienen, für meine Familie sorgen könnte. Deswegen habe ich den Sport auch mit aller Konsequenz verfolgt. Ich konnte es nur vor mir und der Familie rechtfertigen, dass ich so viel für den Sport aufopfere, wenn es sich dann am Ende für uns alle lohnt. Alles, was ich getan habe, habe ich nicht nur für mich, sondern auch die Familie getan. Die Gegner hatten es also im Wettkampf nicht nur mit Eric, sondern immer mit der ganzen Familie Frenzel zu tun (lacht). Und für mich selber war es immer gut und wichtig, dass ich nach Hause kommen konnte, und andere Dinge in den Vordergrund gerückt sind, dass ich im Kopf auch mal vom Sport abschalten konnte.
Mit Ihren Triumphen bei den Olympischen Spielen 2018 und der Ehre, dort in Pyeongchang als Fahnenträger der deutschen Mannschaft einzulaufen, haben Sie etwas erreicht, was Sie nicht nur Ihren Kindern, sondern auch den Enkeln erzählen können.
Ich bin sehr froh und dankbar, dass nicht nur ich das erleben durfte, sondern auch die Familie. Gerade unser Großer bekommt das natürlich alles mit. Und es macht vieles auch leichtern, wenn man den Kindern sagen kann: Der Papa muss jetzt wieder auf Reisen gehen, aber morgen könnt ihr ihn dafür im Fernsehen bei der Arbeit sehen. Es gibt viele Momente, in denen ich Kraft aus meiner Familie ziehen konnte - und weiter kann. Der Gedanke an sie gibt mir immer Power, gerade in Momenten, wo man über sich hinauswachsen muss.
Frenzel: "Eine Bevorzugung beim Impfen wäre für mich moralisch nur schwer vertretbar"
Hand aufs Sportlerherz, was hat Ihnen mehr bedeutet: Fahnenträger zu sein oder Olympiasieger zu werden?
Das ist mit die schwerste Frage, die ich je gestellt bekommen habe. Die beiden Dinge sind ja irgendwo miteinander verbunden, aber eben doch ganz anders, jedes auf seine Art absolut einzigartig. Wenn einem die Ehre zuteilwird, als Fahnenträger einlaufen zu dürfen, dann ist das eine unglaubliche Anerkennung, denn man wurde ja von den anderen Sportlern und den Fans gewählt. Da weiß man schon, dass man in seinem Leben vielleicht doch einige sehr gute Entscheidungen getroffen hat. Man kämpft dabei dann mehr mit den Tränen, als dem Gewicht der Fahne (lacht). Das Ganze dauert nicht ewig, nur ein paar Minuten, aber es ist ein Moment für die Ewigkeit. Trotzdem sind für mich persönlich die Olympiasiege vielleicht noch wichtiger. Nach all dem Rummel um meine Person, weil ich eben die Fahne tragen durfte, wollte ich unbedingt beweisen, dass mir die Ehre zu Recht zuteilwurde. Dann Gold zu holen war eine Befreiung. Auf der anderen Seite gibt es viel mehr Olympiasieger als Fahnenträger. Sie sehen schon, ich bin hin- und hergerissen. Zum Glück muss ich mich nicht entscheiden, ich durfte beides erleben. . .
Was halten Sie von der Idee, dass Sportler, die bei Olympia antreten, bei Impfungen bevorzugt werden sollen?
Das ist eine ganz schwere Thematik. Olympische Spiele sind eben nur alle vier Jahre. Ich verstehe jeden, der unbedingt daran teilnehmen will, der seinen Traum verwirklicht sehen will. Viele richten ihr Leben danach aus, gehen etwa die Familienplanung danach an. Da werden enorme Opfer erbracht. Aber: Wir Sportler sind damit nicht allein. Für jeden, für den der Olympia-Traum platzt, ist das einen Tragödie. Aber die Menschen überall erleben diese Dramen und Tragödien, sie kämpfen um ihre Existenzen, das Überleben. Daher bin ich persönlich nicht der Meinung, dass Sportler bei den Impfungen bevorzugt werden sollten. Unser Schicksal als Sportler ist für mich nicht wichtiger als das Schicksal eines jeden anderen Menschen. Eine Bevorzugung wäre für mich moralisch nur schwer vertretbar.