"Er hat keine Zweifel gelassen": Schwimm-Legende Groß in der AZ über Märtens' Olympiasieg
AZ: Herr Groß, dieses Interview hat sich um 20 Minuten verschoben – Sie wollten noch das Tennis-Match mit Angelique Kerber fertigschauen. Verständlich, was für ein Krimi!
MICHAEL GROSS: Besser geht es nicht, als so die Karriere zu beenden – bei Olympia, mit so einem Match.
Man hört heraus: Sie hat als Fan das Olympia-Virus gepackt?
Ja, ich verfolge die Spiele, wenn auch nicht den ganzen Tag, man hat ja auch andere Dinge zu tun. Das Schwimmen kommt praktischerweise abends.
Der Sport also, in dem Sieg unter anderen Erfolgen dreimal olympisches Gold holten. Wie zufrieden sind Sie mit dem Abschneiden des deutschen Schwimm-Teams bislang?
Erst einmal ist es egal, ob ich zufrieden bin oder nicht. Nun, nicht nur wegen der wohlverdienten Goldmedaille Lukas Märtens' ist es ein gutes Abschneiden, gerade auch wegen der vielen Deutschen Rekorde, die in diesem Becken nicht einfach zu schwimmen sind – tendenziell sind die Zeiten dort langsamer. Zwei deutsche Schwimmer in einem Finale, das gab es 20 Jahre nicht mehr. Das Wichtige ist: Wer im Finale unterwegs ist, kann eine Medaille holen oder sogar gewinnen.
Groß über Märtens' Olympiasieg: "Souverän gestaltet und seine Stärken ausgespielt"
Was macht aus Schwimmersicht Märtens hervorragend?
Ich kann es ehrlich gesagt nicht sagen. Das Rennen, das ich gesehen habe, hat er souverän gestaltet und seine Stärken ausgespielt. Auf den letzten 50 Metern weiß man nie, aber er hat keine Zweifel gelassen.
Sie waren während Ihrer Karriere nie Schwimmprofi. Auch heute schlagen sich viele Schwimmerinnen und Schwimmer eher durchs Leben bei gleichzeitigem hohen Aufwand für den Sport. Wie ist Ihnen damals der Spagat gelungen, in Beruf und Sport gleichermaßen erfolgreich zu sein?
Das gilt auch für andere Athleten, gerade bei den Sommerspielen. Viele sind Studenten, das war bei mir schon so. Heute trainieren viele in den USA und Australien, dort kann man Studium und Sport besser verbinden. Verständlich also. Einige schlagen sich durch, in Anführungszeichen. Das fängt bei Hockey an. Richtig leben vom Sport fällt schwer, geschweige denn lässt sich damit Geld verdienen. Die Profis bei Olympia, die meisten Ballsportler oder Reiter mal außen vor.
Andererseits bringt diese Doppelfunktion auch Vorteile. Sie haben mal sinngemäß gesagt, dass Sie es bereicherte und dass es gut ist, nicht von nur einer emotional abhängig zu sein.
Das gilt für uns alle: Auch wenn Sie finanziell auf einem Bein stehen, ist es dennoch wichtig, dass es emotional zwei sind. Auch für Sportler ist das extrem wichtig, da kann über Nacht das eine Bein ja wegbrechen. Wegen einer Verletzung. . .
Groß in der AZ: "Habe nie leistungsbezogene Sponsorenverträge abgeschlossen"
. . . oder wie jetzt bei Kerber durch das Karriereende.
Ja, sie wird sich sicher ein paar Vorstellungen gemacht haben, was sie im Anschluss macht.
Hat man als Olympiasieger wie nun Märtens im Kopf, dass es finanziell nun leichter wird?
Daran denkt man gar nicht. Dann hat man schon verloren auf dem Startblock, wenn an die finanziellen Folgen gedacht wird. Jedenfalls war das mein Credo: Ich habe nie leistungsbezogene Sponsorenverträge abgeschlossen. Vor vierzig Jahren waren meine Werbeverträge allerdings lächerlich – im Vergleich zu heute. Heute gibt es zudem neue Möglichkeiten mit den sozialen Medien, Stichwort Follower.

Dort kann ein Sportler heute auf seinen eigenen Kanälen Produkte bewerben. Ist es insofern leichter geworden für Sportler?
Ich stelle mir das anspruchsvoll vor mit dem ganzen Social-Media-Kram. Die Medaillengewinner machen bereits bei der Siegerehrung Selfies. Wir sind damals aus dem Schwimmbad oder bei den Spielen aus der Interview-Zone und hatten unsere Ruhe.
Hat sich auch das Erlebnis Olympiasieg unter diesen Rahmenbedingungen verändert?
Das eigentliche Erlebnis, das sportliche, ist ein sehr persönliches und sehr emotionales. Das hat man bei Lukas Märtens im TV auch gesehen. Das ändert sich nicht.
Michael Groß in der AZ: "Olympiasieger bleibt man ein Leben lang"
Es kullerten einige Tränen.
Bei mir war es eine persönliche Zufriedenheit, die sich eingestellt hat. Da kommt man in die Bude - wir waren in Los Angeles in einem Studentenwohnheim in kleinen Zimmern untergebracht -, man hängt seine Badehose zum Trockenen auf und dann liegt da in der Tasche auch noch eine Goldmedaille.
Das Auspacken der Tasche war also der ruhige Moment, in dem Sie nach der Siegerehrung realisierten, Sie sind Olympiasieger?
Ja, die Siegerehrung müssen Sie sich vorstellen wie einen Film. Die Siegerehrung fand bei uns direkt nach dem Rennen statt. Und Olympiasieger bleibt man ein Leben lang. Dass nach 36 Jahren endlich ein deutscher Schwimmer wieder Olympiagold holte, das kriegt man dann mit. Man lebt sonst ja sein Leben, beruflich habe ich mit dem Sport gar nix zu tun.

Sie arbeiten als selbstständiger Unternehmensberater und Honorarprofessor. Sie haben ein Fachbuch mit dem Titel "KI-Revolution der Arbeitswelt" herausgegeben. Wie wird die KI die Sportwelt beeinflussen mit allen Vor- und Nachteilen?
Die Bereiche im Sport sind offensichtlich. Bei der KI geht es darum, aus einem Satz an Daten Muster zu erkennen, die ein Mensch nicht erkannt hätte. Das kann beispielsweise zur Analyse des Gegners beitragen und Impulse fürs Training geben. Die KI versucht, Vorhersagen zu treffen, und gibt Empfehlungen. Am Ende des Tages aber entscheidet der Mensch. Es gibt einige Risiken, darunter Verzerrungen. Letztlich begründet die KI nicht, warum sie eine Empfehlung ausspricht. In Studien wurde bereits verglichen, was die KI rät und was passiert, wenn man es laufenlässt, wenn ein Mensch entscheidet. Man hat festgestellt, dass die KI tendenziell zu optimistisch ist und bestehende Muster verstärkt.
Das hört sich also nicht danach an, als bestimmte die KI 2028 in Los Angeles den Sport.
Das unkalkulierbare Menschliche - das ist das Spannende am Sport. Die KI kann Ihnen zum Beispiel im Fußball eine angepasste Taktik empfehlen, die in einer vergleichbaren Situation Erfolg brachte. Das kann man in Realzeit machen - doch das kann der Gegner auch. Dann ergibt sich eine Pattsituation. Dann kann der Mensch, der querdenkt, sich durchsetzen. Ich bin felsenfest überzeugt, dass im Sport der menschliche Faktor weiterhin den Ausschlag geben wird. Der Mensch ist kreativer als die KI.
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