Ein Muster namens Melzer
Lange galt der Österreicher eher als Herzensbrecher denn als Siegertyp. Jetzt hat er offenbar die richtige Frau gefunden – und erreicht mit 29 Jahren den Höhepunkt seiner Karriere.
PARIS Tja, da hat es tatsächlich ein einziger Mann geschafft, das Programm des ORF gehörig umzuschmeißen. Weil Jürgen Melzer, Österreichs bester Tennisprofi, pausenlos neue Coups im roten Sand der French Open fabriziert, schmeißt der ORF alle zwei Tage seine Sendeplanung komplett durcheinander und funkt stundenlang aus Paris. „Es ist wunderschön, dass in Österreich wieder so eine Euphorie herrscht“, sagt Melzer (29), der nach seiner letzten, wundersam gewonnenen Fünf-Satz-Schlacht gegen den Weltranglistendritten Novak Djokovic (3:6, 2:6, 6:2, 7:6, 6:4) am Freitag auf Rafael Nadal trifft – im ersten Grand-Slam-Halbfinale seiner Karriere.
Melzer ist, mehr noch als Federer-Bezwinger Robin Söderling, der Mann der Stunde bei diesem Turnier. Denn während der hünenhafte Schwede schon im Vorjahr in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, als Rausschmeißer von Rafael Nadal, geriet Melzer nun erstmals auf den Radar: Der Unentwegte, der in seinem Berufsleben bisher schon elf Mal über viele Jahre vergeblich versucht hatte, wenigstens einmal in ein Achtelfinale vorzupreschen. Und nun steht er in Paris in der Runde der letzten Vier. „Zum Glück ist´s kein schöner Traum“, sagt Melzer, „ich habe es mir aber auch verdient. Weil ich nie, nie, nie aufgegeben habe, auch als mich alle abgeschrieben haben.“
Seine Beharrlichkeit hätte er in Paris nicht eindrucksvoller demonstrieren können. Gegen Djokovic lag Melzer hoffnungslos zurück, zwei Sätze und 0:2 im dritten Durchgang, doch dann lieferte er eine Aufholjagd, wie man sie in diesem Jahr noch nicht erlebt hat auf diesem Tennis-Niveau. „Es war das Match meines Lebens“, sagte er nach dem 258-Minuten-Kampf.
So wie Melzer sich in diesem Schlüsselspiel niemals aufgab, so ließ er auch alle Schmähredner und Pessimisten in den Jahren zuvor ins Leere laufen, vertraute auf die eigenen Fähigkeiten: „Ich hab’ immer an mich geglaubt und weiter gekämpft. Und gewusst, dass ich ein sehr guter Tennisspieler bin, der noch viel Gutes vor sich hat.“
Als man ihn unlängst nach seinem Lebensmotto fragte, den eleganten Techniker mit dem feinen Händchen, da hat Melzer gesagt: „Go for it.“ Doch seine Chancen in späten Karrierejahren entschlossen zu suchen, bedeutete auch, sich aus der Wohlfühlzone zu begeben und nicht vor unbequemen Entscheidungen zurückzuschrecken: Nach 14 Jahren der schließlich zu eingefahrenen Allianz mit Trainer Karl-Heinz Wetter verpflichtete Melzer den unbequemen schwedischen Ex-Profi Joakim Nyström: einen, der selbst ganz vorne mitspielte auf der Profitour und seinen Schützling mental stählte. „Im Kopf bin ich viel härter geworden“, sagt Melzer, der durchaus jener gnadenlosen Durchsetzungskraft nahe kam, die einst den Supermann Thomas Muster auszeichnete.
Er sei zwar ein „ganz anderer Typ als Muster“, sagt Melzer, „aber als Athlet und Profi kannst du sowieso nur einen zum Vorbild haben, ihn, den Tom. Da musst du nicht mal unbedingt Österreicher sein.“
Als Teammanager verpflichtete Melzer übrigens zu Saisonbeginn Musters Ex-Geschäftemacher Ronnie Leitgeb, der nun als Supervisor darüber wacht, „dass alle Puzzlesteine im Umfeld passen“.
Nach Jahren, in denen sich Melzer mit reichlich Affären einen Ruf als Herzensbrecher erworben hat (Nicole Vaidisova, Anastasia Myskina) lebt er nun in fester Beziehung mit der besten österreichischen Schwimmerin Mirna Jukic zusammen: „Sie gibt mir Halt und Sicherheit. Wir funken auf einer Wellenlänge.“
Österreich schaut gern zu.
Jörg Allmeroth
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