Wo Jocher watteweich ist

Der EHC-Star ist der härteste Eishockeyspieler der Zweiten Liga. Daheim, sagt seine Mama, ist er ganz anders. Die AZ hat ihn besucht – in seinem Geschäft für Nähmaschinen und Wolle.
von  Abendzeitung
„Dahoam is dahoam“: EHC-Legende Markus Jocher führt mit Mama Elisabeth und Freundin Anna den Laden „Nähmaschinen Jocher“ in Garmisch.
„Dahoam is dahoam“: EHC-Legende Markus Jocher führt mit Mama Elisabeth und Freundin Anna den Laden „Nähmaschinen Jocher“ in Garmisch. © az

GARMISCH - Der EHC-Star ist der härteste Eishockeyspieler der Zweiten Liga. Daheim, sagt seine Mama, ist er ganz anders. Die AZ hat ihn besucht – in seinem Geschäft für Nähmaschinen und Wolle.

Das Schaufenster gleich neben dem Rathaus in Garmisch ist fein säuberlich mit handgestickten Servietten dekoriert. Dazu strahlendweiße Tücher mit Sinnsprüchen wie: „Morgenstund hat Gold im Mund.“ Daneben stehen Nähmaschinen und vor der Auslage große Ständer mit Wollballen. Eine Kulisse weich wie Watte. Der 85-Quadratmeter-Laden ist voller Heimeligkeit, voll bayerischer Gemütlichkeit: Dies ist das Reich von Markus Jocher (30).

Ein seltsames Kontrastprogramm. Mitten im urig-betulichen Geschäft „Nähmaschinen Jocher“, dort wo man ältere Damen beim Einkauf erwartet, steht Jocher: der bärtige Bursche mit Wilderer-Frisur, der härteste Eishockeyspieler der Zweiten Liga, der Star des EHC München.

„Servas“, sagt Jocher.

Seit vier Jahren ist er Geschäftsführer hier im Familienunternehmen. „Und des“, sagt er stolz, „des is mei Mama.“ Elisabeth Jocher lächelt dazu. Sie hat den Laden vor 40 Jahren eröffnet.

Jocher: "Ich wollt’ immer mei eigener Knecht und mei eigener Herr sein"

In der vergangenen Saison hat sie ihrem Sohn gesagt: „Bua, dei Feuer brauchst jetzt da herin im Laden.“ Da hat Jocher seine Eishockey-Karriere aufgegeben. Aber als die Mama zuletzt gesehen hat, wie sehr ihm das Eishockey gefehlt hat, da hat sie ihn doch wieder spielen lassen. Also ist Jocher wieder Teilzeitprofi beim EHC. „Aber das hier“, sagt er und lässt den Blick durch den Laden schweifen, „is mei Zukunft. Ich wollt’ immer mei eigener Knecht und mei eigener Herr sein.“

Er ist der Herr über die riesige Regalwand voller Wollballen in allen Farben des Regenbogens. Über die edlen Stoffe, die adretten Gardinen, die Janker. Über Stickerei-Bilder mit den betenden Händen Albrecht Dürers genauso wie über die Kissen, von denen einen Schweine, Igel und Pferde niedlich anschauen. Und natürlich über die opulenten bayerischen Hosenträger.

Die sind so etwas wie das Aushängeschild des Ladens. „Die Mama is Schneidermeisterin, sie hat die entworfen“, sagt Jocher. Die Mama nimmt die edlen Träger in die Hand: „In jedem stecken mindestens hundert Stunden Handarbeit.“ 590 Euro kostet so ein exklusives Teil. Jocher: „Qualität hat sein’ Preis. Mei Mama sieht sofort, ob a Tracht was wert ist. I muass es oglanga, dann woass i zu sagen, ob’s a Graffel is – oder ned.“

Jocher als Textil-Experte – den Eishockey-Fan, der ihn nur mit Schlittschuhen an den Füßen kennt, mag das befremden. Jocher aber sagt: „Mich hat das schon als Kind interessiert.“ Neben Eishockey, versteht sich.

Die Mama erzählt es so: „Er war als Bua den ganzen Tag in der Eishalle, abends war er dann so müde, dass ich ihm die Hausaufgaben machen musste.“ Jocher war auf dem Eis nie das Übertalent, aber immer der Spieler mit dem größten Herzen. Das hat auch mit dem Papa zu tun. Jocher: „Der Vater war da fast krankhaft, der hat mi jeden Tag in die Berg gjagt, bei Regen und Schnee. An Weihnachten a. I hab das volle Rocky-Programm kriegt. Hoizhackeln und ois.“

Mama Jocher: "Bua , muass des denn sei?"

So wurde er der harte Hund, der sich auf dem Eis nie etwas gefallen lässt. Der mitunter so hart austeilte, dass die Mama sich für ihn genierte: „Manchmoi war i schon gern aufs Eis und hätt ihm oane aufgestrichen, so wie er sich aufgführt hat. Da hab i gfragt: Bua, muss des sei? Es musst wohl. Aber dahoam is er anders.“

Daheim ist Jocher der liebevolle Sohn, sogar einen Schoßhund hat er. „Alle denken, i müsst’ einen Pitbull habn. Hab' i aber ned“, sagt Jocher. Jackie, der kleine Jack-Russell-Terrier, leckt ihm dabei über die Wangen.

So ist das hier bei „Nähmaschinen Jocher“, wo die Mama immer arbeitet und noch keinen Tag Urlaub gemacht hat dieses Jahr. „Früher waren wir ein reines Nähmaschinengeschäft. Heute leben wir von den Touristen, nur von Einheimischen könnten wir nicht leben“, sagt Elisabeth Jocher. Eine der besten Kundinnen war die Prinzessin des Oman. „Aber die is jetzt leider tot. Jetzt ist unser Hauptgeschäft die Wolle. Die Weihnachtszeit ist unsere Hauptsaison. Die Madeln haben das Stricken wieder entdeckt.“ Stricken kann auch der eisenharte Eishackler Jocher. „Socken und so“, sagt er, „nur bei den Fersen muass ma die Mama helfen. Des konn i ned.“

Das Seine sind die Nähmaschinen. Er, der auf dem Eis fürs Grobe zuständig ist, ist Feinmechaniker, der auch Hausbesuche macht. „Dann fahr i hi und reparier’s“, sagt Jocher, dessen Freundin Anna im Laden mithilft. „In dem Gewerbe lumpt jeda, da is mia recht, wenn ich Familie um mi hab, da bescheißt mi koana“, sagt Jocher und schaut zur Mama: „Sie ist mein Herz.“ Die Stimme des härtesten Nähmaschinen-Verkäufers Bayerns wird watteweich. „Und der Laden, des is mei Welt.“

Matthias Kerber

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.