"Auf dem Eis bringe ich fast keinen Ton raus"
AZ: Herr Reimer, am Freitag geht’s für den EHC im Derby gegen Nürnberg darum, einen direkten Konkurrenten um die Playoffplätze zu stoppen…
JOCHEN REIMER: Das sind die Spiele, für die wir Eishockeyspieler leben. Die Brisanz ist enorm. Es sind nur noch vier Spiele, da kann man sich keine Aussetzer mehr erlauben. Das Gute ist: Wir haben es selber in der Hand, wir müssen uns nicht auf andere verlassen, auf andere hoffen. Wenn wir unseren Job erledigen, dann reicht das.
Es geht auch mal wieder gegen Ihren Bruder Patrick, der sich vor einem Jahr für Nürnberg und gegen München entschieden hat.
Ja, aber in der jetzigen Situation ist es mir vollkommen egal, ob ich gegen Patrick spiele oder gegen Max Mustermann. Außerdem spielen wir jetzt schon seit fünf Jahren in der DEL nicht mehr in einem Team, man gewöhnt sich dran. Es geht um so viel mehr als darum, ob er gegen mich trifft oder nicht.
In dieser Saison stand der EHC mehrfach am Abgrund, etwa vor gut einer Woche, als man gegen Iserlohn 1:2 zurücklag und damit fast aus dem Playoffrennen war, dann aber noch 4:2 siegte.
Das sind Highlights, die man nicht vergisst. Wenn man es genau nimmt, stehen wir nicht erst seit ein paar Wochen mit dem Rücken zur Wand, sondern schon seit Ende der vergangenen Saison. Wir waren eigentlich schon den Finanztod gestorben, wir waren fast nach Schwenningen verkauft. Wir sind mit den denkbar schlechtesten Voraussetzungen gestartet und haben das Beste daraus gemacht. Wir sind nicht das talentierteste Team, wir können nur dadurch Erfolg haben, dass wir mehr und härter arbeiten als die anderen. Für uns wäre das Erreichen der Playoffs die Erfüllung eines Traums. Für uns wäre das so wertvoll wie für andere Teams der Titelgewinn. Was aber nicht heißen würde, dass wir damit schon zufrieden wären.
Ihre Stimme ist schwer angeschlagen, Sie können fast nur flüstern, müssen nach der Saison operiert werden.
Ja, das lässt sich nicht mehr aufschieben. So im normalen Leben geht es ja noch, aber auf dem Eis, wenn ich mich anstrenge, dann bringe ich fast keinen Ton raus, da kann ich meinen Verteidigern nicht mit Zurufen helfen. Aber manchmal ist es auch besser, so kann ich zumindest nichts Falsches zu den Schiedsrichtern sagen.
Sie hatten im Sommer schon einen Eingriff.
Ja, ich wurde immer wieder darauf angesprochen, ob ich zu viel gefeiert hätte, weil meine Stimme so angeschlagen war. Da bin ich zum HNO-Arzt gegangen. Der hat zwei Wucherungen auf den Stimmbändern entdeckt. Es gab dann die Operation, als ich aufgewacht bin, dachte ich, jetzt ist es ausgestanden. Aber der Arzt sagte, dass wir jetzt erst einmal abwarten müssen, was die Befunde sagen, ob das Gewebe gutartig oder bösartig ist.
Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein.
Absolut, da kamen schon die Gedanken: Oh Gott, habe ich jetzt Krebs? Ich hatte Angst, keine Frage. Ich bin zwar nicht der Typ, der dann gleich denkt: „Das war’s, ich kann mich in die Grube legen” – aber es war eine harte Zeit. Ich habe mehr als nur ein Stoßgebet zum Himmel geschickt. Als dann klar war, dass ausgeschlossen werden konnte, dass ich Krebs habe, war das eine unglaubliche Erleichterung. Die Wucherungen müssen zwar im Sommer operativ entfernt werden, aber die ganz große Angst, die ist jetzt weg. Gott sei Dank!
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