Doping-Beichte von Pevenage stört Tour-Frieden

Brüssel (dpa) - Organisierte Ullrich-Reisen zum Doping-Arzt Fuentes, indirekte Vorwürfe gegen Lance Armstrong und systematische Manipulationen im «halben Fahrerfeld»: Die Beichte von Jan Ullrichs früherem Mentor Rudy Pevenage könnte die Betriebsruhe der 97. Tour de France empfindlich stören.
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Rudy Pevenage 2006 in Straßburg.
dpa Rudy Pevenage 2006 in Straßburg.

Brüssel (dpa) - Organisierte Ullrich-Reisen zum Doping-Arzt Fuentes, indirekte Vorwürfe gegen Lance Armstrong und systematische Manipulationen im «halben Fahrerfeld»: Die Beichte von Jan Ullrichs früherem Mentor Rudy Pevenage könnte die Betriebsruhe der 97. Tour de France empfindlich stören.

Der Belgier gab nach jahrelangem Schweigen in einem Interview des Tour-Zentralorgans «L'Équipe» die Verwicklung seines ehemaligen Schützlings in die Doping-Affäre Eufemiano Fuentes zu. «Wozu soll es gut sein, weiter zu lügen? Ich habe die Reisen von Jan nach Madrid zu Fuentes organisiert», sagte Pevenage.

Zugleich bezichtigte der Ex-Radprofi rückblickend «mindestens das halbe Fahrerfeld» der Frankreich-Rundfahrt des Dopings. Auch bei dieser Tour seien einige Spitzenfahrer dabei, die die Dienste des umstrittenen Madrider Mediziners in Anspruch genommen hätten. «Frühere Fuentes-Kunden fahren weiter ungestraft vorne mit», sagte Pevenage der Nachrichtenagentur dpa. Man habe «nur ein Minimum» der Dopingsünder sanktioniert, obwohl viele «den gleichen Schwachsinn» gemacht hätten. Namen wollte er aber nicht nennen: «Ich habe schon unheimlich viel Geld an Anwälte gezahlt», so seine Begründung.

Ullrichs Manager Wolfgang Strohband reagierte auf Pevenages brisantes Outing relativ gelassen. «Jan hat mit der Vergangenheit abgeschlossen. Ich glaube nicht, dass ihn das interessiert», sagte Strohband der Nachrichtenagentur dpa. Ullrichs juristischer Dauergegner Werner Franke forderte nach Pevenages überraschendem Geständnis Konsequenzen. «Das sollte zu weiteren Ermittlungen Anlass geben. Das sind alles Straftaten», sagte der Doping-Jäger. Der Berliner Jens Voigt verurteilte Pevenage für den Rundumschlag «in der Schmollecke» und forderte ihn im ARD-Hörfunk auf, «Ross und Reiter» zu nennen. Andernfalls solle er «einfach den Mund halten.»

Für den einstigen Ullrich-Rivalen Armstrong, der noch immer in der Tretmühle der Tour steckt und bereits von seinem Ex-Teamkollegen Floyd Landis des Dopings bezichtigt worden war, könnten die Bekenntnisse unruhige Tage bringen. Denn Pevenage klagte auch den Rekordsieger indirekt an: «Wir waren keine Idioten. Wir kannten Armstrong vor seiner Krebserkrankung. Die Verwandlung nach seiner Rückkehr war unglaublich. Wir haben schnell begriffen, dass es keine Wahl gibt.»

Die Dominanz des 38 Jahre alten Texaners, der zwischen 1999 und 2005 siebenmal die Große Schleife gewann, hat wohl mit dazu geführt, dass Ullrich wieder in die «schlechte Spirale» geriet. «Es entstand der Druck, dass Maximum zu tun, um Armstrong zu schlagen», meinte Pevenage in der «L'Équipe». Im dpa-Gespräch fügte er spitzfindig hinzu: «Ich habe nicht gesagt, Jan hat gedopt.»

Dass aus Gründen der Chancengleichheit in den Teams der Dauerrivalen Ullrich und Armstrong, die beide stets alle Vorwürfe zurückgewiesen haben, gedopt worden sei, bezeichnete Pevenage als «Interpretationen» seiner Beichte in der «L'Équipe». Dort hatte er behauptet, manche Profis hätten trotz auffälliger Blutwerte bei den Doping-Tests weiterfahren dürfen: «Das ist wie bei einer roten Ampel, die man fünfmal ohne Strafe überfährt», so Pevenage.

Im Bonner Magenta-Team, in dem Pevenage von 1994 bis 2003 und nochmals kurz 2006 Sportlicher Leiter war, habe man «nach der Festina-Affäre 1998 mit allem aufgehört. Unsere Mannschaft war in den folgenden Jahren wirklich sauber.» Dies widerspricht den Aussagen der Freiburger Doping-Untersuchungskommission, die zu dem Schluss kam, dass im ehemaligen Bonner Rennstall von 1995 bis 2006 «systematisch gedopt» worden sei.

In der Zeitung schilderte Pevenage eine heikle Episode wenige Tage vor der Tour 2006. «Jemand von oben» habe ihm telefonisch geraten, Ullrich unbedingt vom Tour-Start abzuhalten, notfalls mit einem fingierten Schlüsselbeinbruch. Dies geschah nicht - und kurz darauf wurde der Tour-Sieger von 1997 in Spanien als einer der ersten möglichen Fuentes-Kunden genannt. Sein Tour-Ausschluss war die Folge.

Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte Ullrich per DNA-Abgleich nachgewiesen, dass der einzige deutsche Tour-Sieger Blut bei Fuentes gelagert hatte. Im Oktober 2009 legte «Der Spiegel» mit einem umfassenden BKA-Bericht nach, in dem es hieß, dass Ullrich Fuentes' Dopingsystem nutzte, «um sich vertragswidrig mit leistungssteigernden Mitteln und Methoden auf seine Wettkämpfe vorzubereiten.» Zwischen 2003 und 2006 sei der Wahl-Schweizer 24 Mal zu Fuentes geflogen.

Die Bonner Staatsanwaltschaft hatte lange gegen Pevenage wegen Betrugsverdachts ermittelt, am Ende auf ein Verfahren gegen Zahlung von 25 000 Euro verzichtet. Auch Ullrich hatte sich mit der Behörde nach Zahlung einer zehnmal höheren Summe außergerichtlich geeinigt.

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