„Dieser Sport verzeiht keine Fehler“
Hier beschreibt eine Ex-Weltmeisterin, wie die Rodler mit dem Tod des Kollegen umgehen.
Von Susi Erdmann
Dieser Unfall war ein unglaublicher Schock. Als ich die Bilder gesehen habe, wie Nodar Kumaritaschwili aus der Bahn geschleudert wurde, schoss es mir durch den Kopf: Um Gottes Willen, das darf nicht wahr sein! Leider ist es wahr. Kumaritaschwili ist tot. Gestorben bei Olympia, seinem Traum. Gestorben beim Rodeln, der Sportart, die er liebte. Man hat auf diese tragische Weise gesehen, welch ungeheuren Kräfte beim Rodeln wirken. Viele Fans sagen, das sieht so easy aus. Aber es sieht nur leicht aus, wenn man diese Kräfte in jedem Bruchteil von Zehntelsekunden im Griff hat. Rodeln ist ein Hochgeschwindigkeitssport. Mit all seinen Vorzügen und seinen Gefahren. Nicht umsonst spricht man von der Formel 1 des Wintersports.
Die Frage, die sich nun jedem Rodler stellt: Wie gehe ich mit dieser Tragödie um? Ich habe im Jahre 2004, als ich auf Bobsport umgestiegen war, Ähnliches erleben müssen. Meine Teamkameradin Yvonne Cernota, die eigentlich Anschieberin war, hat sich als Pilotin versucht. Sie stürzte – auch da endete der Unfall in einer Verkettung unglücklicher Umstände tödlich. Das war das schrecklichste Erlebnis meiner Karriere. Es war schwerer zu verarbeiten als mein eigener Sturz im Bob, als die Lenkung gebrochen war und ich mit Tempo 120 einen Unfall hatte. Damals war mein Körper von oben bis unten blau von Prellungen; aber das mit Yvy, das ging an die Seele. Ich habe sofort meinen gebuchten Urlaub abgesagt. Es war mir eine Herzensangelegenheit, bei ihrer Beerdigung dabei zu sein, von ihr Abschied zu nehmen.
Trotzdem bin ich danach wieder in einen Bob gestiegen. Klar, war es ein komisches Gefühl, als ich das erste Mal danach in Königssee fuhr, an der Stelle vorbeiraste, wo Yvy, ein so wunderbarer Mensch, gestorben ist. Aber letztlich muss man das – so hart es klingt – ausblenden können. Jeder, der Rodeln betreibt, ist sich der Gefahren bewusst. Es ist ein Hochgeschwindigkeits-Sport, der keine Fehler verzeiht. Das wissen wir Sportler, wir haben uns trotz dieser Risiken für diesen Sport entschieden. Eine bewusste Entscheidung.
Ich sprach vorher davon, dass Rodeln auch als Formel 1 des Wintersports bezeichnet wird. Als Ayrton Senna seinen tödlichen Unfall hatte, sind die anderen Fahrer auch nur Stunden später wieder gefahren. So sehr mich dieser Unfall auch erschüttert hat, ich würde wieder an den Start gehen. Auch Unfälle sind – tragischerweise – ein Teil unseres Sports. Ich denke, die Fahrer werden, wenn sie starten, diesen Unfall völlig ausblenden. Das müssen sie. Sie müssen wirklich im Tunnel sein. Das müssen sie. Wenn sie da im Gedanken bei Kumaritaschwili und somit nicht voll konzentriert wären, würde die Gefahr bestehen, dass sie nicht schnell genug reagieren. Die Reaktionsfähigkeit darf nicht durch mentale Blockaden gehemmt sein, sonst droht der nächste Unfall. Es ist eine höchstsensible Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Letztlich muss jeder allein mit der Situation fertig werden. So wie es etwa Felix Loch an Samstag bei den ersten Fahrten nach dem Unfall gemacht hat.
Nur wer das kann, sollte starten. Alles andere ist zu gefährlich, dieser Sport verzeiht keine Fehler. Das mussten wir leider erleben. Ich trauere um Kumaritaschwili, mit seiner Familie, Freunden, dem Team.
Starten oder nicht starten, das ist eine Gewissensentscheidung. Eine Entscheidung, die – egal, wie sie ausfällt – meinen vollen Respekt hat.