Die Neid-Debatte

Ein leicht durchschaubares System, keine echte Spielmacherin, seltsame Auswechslungen: Nach dem bitteren WM-Aus formieren sich die Kritiker der von sich selbst überzeugten Bundestrainerin
Frank Hellmann |
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Ein leicht durchschaubares System, keine echte Spielmacherin, seltsame Auswechslungen: Nach dem bitteren WM-Aus formieren sich die Kritiker der von sich selbst überzeugten Bundestrainerin

Wolfsburg - Ein Eingeständnis von Schuld sieht anders aus. Auch am Sonntag bei ihrem vorerst letzten öffentlichen Auftritt im Rahmen dieser Frauen-WM hat Silvia Neid an ihrem persönlichen Tiefpunkt einer von steten Aufwärtsbewegungen geprägten Karriere keine eigenen Fehler einräumen wollen. „Ich mache mir keinen Vorwurf“, lautete die trotzige Botschaft aus einer Wolfsburger Turnhalle von einer DFB-Angestellten, die angeblich mit 700 000 Euro jährlich entlohnt werden soll.

Doch die zur Welttrainerin des Jahres gekürte Vorzeigefrau, der eine so exorbitant lange Vorbereitungszeit und (fast) alle Wünsche im Umfeld erfüllt worden sind, steht auf dem Prüfstand, wenn das Endergebnis – WM-Aus im Viertelfinale, Olympia-Qualifikation verpasst – so ernüchternd ausfällt. Mit Bernd Schröder, Meistertrainer von Turbine Potsdam, meldete sich der Chefkritiker am Tag nach der bitteren 0:1-Niederlage gegen Japan prompt zu Wort. „Die Spielerinnen waren mental platt. Die monatelange Vorbereitung hat sich nicht ausgezahlt. Im Gegenteil. Mannschaften wie Japan und Frankreich sind während des Turniers an uns vorbeigezogen.“

In der Tat hat sich die 47-jährige Silvia Neid mit ihren fragwürdigen Rochaden nach der Verletzung der mit Kreuzbandriss ausgeschiedenen Kim Kulig (dafür rückte Linda Bresonik ins Mittelfeld und Bianca Schmidt nach rechts hinten) und ihre umstrittenen Einwechslungen (Lena Goeßling sehr früh, Alexandra Popp recht spät rein - Fatmire Bajramaj oder Birgit Prinz gar nicht) angreifbar gemacht. Sie gestand später kleinlaut ein, dass alles irgendwie nicht aufgegangen sei.

Schlimmer noch die kollektive Hilflosigkeit. Vielleicht auch eine Folge davon, dass auch menschlich in diesem Ensemble nicht immer alles so reibungslief lief wie alle weismachen wollten. Die Mannschaft sei „nicht so richtig als Einheit aufgetreten“, sagte der stets mit seinen mittlerweile acht Nationalspielerinnen in Kontakt stehende Frankfurter Manager Siegfried Dietrich. „Es ist trotz der langen Vorbereitungszeit nicht gelungen.“

Auch dieser Vorwurf trifft die Verantwortungsträger – neben Silvia Neid noch Managerin Doris Fitschen – ins Mark. Der bestens vernetzte Strippenzieher des 1. FFC Frankfurt glaubt, dass Unsicherheit geherrscht habe und man frage sich, was die Ursachen dafür seien, so Dietrich: „War es der Druck? Waren es die vielen Umstellungen?“ Ergo haben sich die Kontrahenten gar nicht so weit fortentwickelt, sondern die Deutschen haben zwei Schritte rückwärts gemacht. Es fehlte in jeder Hinsicht ein Plan B; das System kam leicht ausrechenbar daher, da es niemand gab, der das Spiel gestaltete. Die kreative Position hinter den Spitzen existierte nie wirklich: Birgit Prinz war dafür zu langsam, Celia Okoyino da Mbabi dafür nicht der Spielertyp – und andere Protagonisten nicht geschult.

„Uns fehlten die spielerischen Mittel, wir haben uns selten durchkombiniert“, konstatierte Neid, um mit fatalistischem Unterton zu ergänzen: „Vielleicht ist dieses Ausscheiden für irgendetwas gut – das weiß ich heute nur noch nicht.“ Es wäre lohnend, darüber in Ruhe nachzudenken. Fast alle Nationalspielerinnen verließen Wolfsburg voller Fassungslosigkeit. „Das Ganze ist surreal“, sagte Torhüterin Nadine Angerer. Ihre Gesamt-Analyse: „Ein Scheißtag.“ Für den deutschen Frauenfußball.
 

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