Der Zocker aus Zug
ZUG - Sie feiern. Bayerns Double-Gewinner sind die Topstars der Liga. Dabei haben sie klein angefangen. Zum Auftakt einer AZ-Serie geht es um Trainer Ottmar Hitzfeld. Nach 21 Titeln in 25 Jahren - eine Reise in die Schweiz, wo Hitzfeld einst ein König war.
Wann war er schon einmal so zu sehen: So fröhlich und unbeherrscht. Er, Ottmar Hitzfeld, Inbegriff der freiwilligen Selbstkontrolle, bei dem der Jubel in den vielen Glücksmomenten seiner Karriere nie überschwänglich wirkte, sondern oft verkrampft und erzwungen. Kalkulierte Euphorie.
Am Sonntag war er losgelöst. Nach dem 0:0 in Wolfsburg, der schönsten Nullnummer seiner Laufbahn. Nach seinem 21. Titel als Vereinstrainer, dem allerletzten als Bayern-Coach. Über ihm ergoss sich literweise Weißbier, und auch bei ihm brachen die Dämme. Kindlich begeistert wie ein Schulbub hüpfte er über den Platz. Er, der Mathematiklehrer.
Und als er abends zur Meisterfeier beim Käfer aus dem Taxi stieg, sagte er einem Reporter schmunzelnd: „Der Fahrer war gar nicht richtig locker. Ich glaube, der war Löwen-Fan.“
Hitzfeld dafür hat sich sehr locker gemacht an diesem Tag.
Und das erstaunt auch alte Weggefährten in der Schweiz. „So entspannt habe ich den Ottmar noch nie gesehen“, sagt Jimmy Mähr in seiner Vereinsgaststätte, „auch bei uns war er doch sehr beherrscht.“ Bei uns. Beim SC Zug. Bei seiner ersten Station als Trainer. Vor genau einem Vierteljahrhundert.
Da, wo alles begann.
1983, mit 34 Jahren, gleich nach Ende seiner aktiven Karriere beim FC Luzern. Als Spieler kannte man ihn gut, beim FC Basel war er ja mal Schweizer Torschützenkönig. Aber als Trainer? „Da war er ein Niemand, ein Nobody“, sagt der 65-jährige Mähr, heute Wirt des Vereinslokals im Herti-Stadion und damals der Mannschaftsbetreuer. „Wir wussten nicht, was uns erwartet.“ Aber das sollte sich bald ändern.
Ein Menschenversteher
Auch Gabriel Jenny, damals der Zuger Co-Trainer, hatte Hitzfeld eher erwartet wie seinen Vorgänger als Trainer. Otto Luttrop, den von den Meister-Löwen 1966. „Da war alte deutsche Zucht und Ordnung“, sagt der 66-jährige Jenny, „das war ein Schreihals, ein Diktator.“ Doch bei Hitzfeld sahen sie schnell, dass der ein Menschenversteher war. „Ein Philosoph mit klaren Zielen“, sagt Jenny. „Mit Gespür für die Situation und die Spieler.“ Einmal brachte Hitzfeld den Spielern zwei Kästen Bier in die Kabine, nur so, und als die Spieler fragten, wieso denn das, da habe er, so Mähr, geantwortet: „Sonst würdet ihr ja auch saufen.“
Zu trinken bestellt bei Mähr jetzt auch die Kundschaft an einem Tisch neben dem Tresen. Vier ältere Damen beim Kartenspielen. „Da hinten“, sagt Jenny, „da ist der Ottmar auch immer gesessen. Zum Pokern. Da ging es immer um viel Geld. Aber der Ottmar war ein Zocker. Er hat meistens gewonnen.“ So wie in der Liga.
Mit Zug stieg er 1984 in die höchste Spielklasse auf, bis heute das einzige Mal in der Klubgeschichte. Dann ging er nach Aarau. Weil er mit Werner Hofstetter nicht konnte, dem „Höfi“, Zugs Präsidenten. Ein Exzentriker, der damals vor Hitzfelds Amtsantritt sagte: „Diesen jungen Deutschen muss man erziehen.“ So ging der Höfi dem Hitzfeld auch einmal an die Gurgel und würgte ihn.
Erziehungsmaßnahmen, von denen Hitzfeld genug hatte. „Was beim FC Bayern abläuft“, sagte er vor acht Jahren, in seiner ersten Zeit in München, „ist harmlos verglichen mit dem, was ich in Zug erlebte.“
Aber das eine Jahr reichte, um sich in Zug zu verewigen. Als Niemand kam er, als Unsterblicher ging er. „Er war unser König“, sagt Jenny heute, „das Glanzlicht unserer Geschichte. Danach war der totale Niedergang.“ Heute kickt Zug in der dritten Liga. Gegen den Abstieg. Später, beim Abschied an der Tür des Lokals, sagt Mähr noch: „Wir spielen ungefähr so schlecht wie Sechzig München.“ Und aus dem Hintergrund ruft Jenny noch: „Stimmt nicht. Noch schlechter.“ Auch wenn das ja kaum möglich ist.
Hitzfeld war seitdem nicht mehr in Zug, in Aarau dagegen sah ihn Daniel Angelini in den letzten Jahren noch oft auf der Tribüne. Angelini, Realschullehrer und Edelfan, lange Jahre Stadionsprecher, auch von 1984 bis 1988, in Hitzfelds Zeit als Trainer, in der der FC Aarau 1985 den Pokal gewann.
Ein großes Herz für die Fans
Fürs Stadionmagazin führte Angelini damals viele Interviews mit Hitzfeld, und heute sagt er: „Der Ottmar hat sich nicht verändert. Schon bei uns war er sachlich, kein Selbstdarsteller, aber mit großem Herz für die Fans.“
Einmal kam Angelinis Frau mit einem großen Mannschaftsposter zum Training, zum Autogrammsammeln. Die meisten signierten ganz artig, nur drei Spieler gingen achtlos vorbei. Bis sie Hitzfeld zurückpfiff und zusammenstauchte, weil sich das nicht gehörte gegenüber den Fans. So etwas machte ihn beliebt, und so verziehen sie es ihm in Aarau auch, als er 1988 zum Erzfeind ging, zu den Grashopper nach Zürich. „Bei einem wie ihm war klar, dass er irgendwann geht“, sagt Angelini. „Mit Aarau gewinnst du keine Champions League.“
Mit Zürich freilich auch nicht, aber dort fiel er noch mehr auf. Von 1989 bis 1991 mit zwei Meistertiteln und zwei Pokalsiegen. Sein Co-Trainer war damals Oldrich Svab. Der ist heute 63 und immer noch ein gefragter Mann. Gerade eben an diesem lauen Züricher Mai-Abend bei einer Podiumsdiskussion in der Kneipe „El Lokal“, ein herrlich fertiger Schuppen mit St. Pauli-Fahnen und Che-Guevara-Bildern. Dann stellen sie ihn immer als den „Spezi vom Ottmar“ vor, auch wenn Svab selbst sagt: „Freundschaft ist zu viel. Eher Respekt. Wir haben einfach viel auf den anderen gehört.“
"Dortmund, das musst Du machen"
So kam Hitzfeld 1991 auch eines Tages beim Training auf Svab zu und erzählte ihm vom Angebot aus Dortmund. „Ich habe gesagt, Dortmund, Ottmar, das musst du machen.“
Und Ottmar machte es.
Die Wege trennten sich. Svab arbeitete als Scout für Grashopper, entdeckte bei der U20-WM 1991 in Portugal einen jungen Brasilianer namens Giovane Elber, der dann bald in Zürich spielte. Später bei einer U16-WM sah er bei Ghana auch einen gewissen Michael Essien. „Der Essien hätte nur 40 000 Franken gekostet“, sagt Svab kopfschüttelnd, „aber das war dem Verein zu viel.“ 2005 wechselte Essien von Lyon zu Chelsea. Für 38 Millionen Euro.
Nun hat Svab eine Fußball-Akademie für Jugendliche gegründet, und so wird er bald wieder mit Hitzfeld zu tun haben. Wenn der Schweizer Nationaltrainer ist und bei Svab nach jungen Talenten schaut.
Hohe Erwartungen in der Schweiz
Jimmy Mähr, der Wirt aus Zug, glaubt, dass der Druck für Hitzfeld gewaltig wird. „Die Schweizer erwarten viel“, sagt er, „der Ottmar muss Erfolg haben bei der Quali für die WM 2010.“ Es wird anstrengend für Hitzfeld, und so wird er auch bald wieder kontrolliert sein, sachlich und beherrscht.
Tief drinnen denkt er dann vielleicht eines Tages wehmütig zurück. An diesen entspannten Sonntagabend. Damals in Wolfsburg.
Florian Kinast