Der Spielzeug-Boxer
Woraus Ruslan Chagaev, am Samstag auf Schalke Herausforderer von Wladimir Klitschko, seine Motivation und Stärke zieht – und warum er glaubt, den Weltmeister entthronen zu können.
GELSENKIRCHEN Das Kraftpaket saß auf dem Bett, die Hände vors Gesicht geschlagen. Er weinte bitterlich. „Warum?“, fragte er. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Das war am 29. Mai, als WBA-Weltmeister Ruslan Chagaev erfahren hatte, dass Nikolai Walujew den WM-Fight in Helsinki – am Tag vor dem Kampf – wegen der Hepatits-B-Erkrankung Chagaevs platzen ließ. Walujew hatte sich geweigert, sich impfen zu lassen.
„Das war ein Tiefpunkt meiner Karriere, meines Lebens“, sagte Chagaev (30). Doch nur vier Tage später stand ein Höhepunkt seiner Karriere, seines Lebens fest. Wladimir Klitschko, Weltmeister der Verbände WBO, IBF und IBO, hatte ihm den Kampf des Jahres angeboten. In der Arena auf Schalke. Vor 60000 Fans.
Chagaev gegen Klitschko: So eine Chance gibt es nur einmal im Leben"
Chagaev sagte sofort zu, sprang für David Haye ein, der den Fight verletzt absagen musste. „So eine Chance bekommt man nur einmal“, sagt Chagaev. Sein bester Freund Gagik Chachatrian, ein Ex-Boxer, der den Usbeken nach Walujews Absage getröstet hatte, meinte: „Das war ausgleichende Gerechtigkeit für das, was Ruslan angetan wurde.“ Klitschko ist geimpft, die Hepatitis-B-Erkrankung ist kein Problem. „Chagaevs Wert ist so gering, dass die Ansteckungsgefahr gegen Null geht, mit der Impfung ist sie Null“, bestätigte Ringarzt Dr.Walter Wagner der AZ. Daher heißt es nun am Samstag (22 Uhr, RTL live) in der Arena Auf Schalke: Ring frei!
Chagaev ist bereit. Seit kurzem arbeitet er mit Ernährungswissenschaftler Clive Salz, der Felix Sturm zum Erfolg führte, zusammen. „Ich fühle mich kräftiger als je“, sagt Chagaev, „mein Wille wird den Ausschlag geben, im Ring verwandle ich mich in diesen Kämpfer, der nie aufhört.“ Und genau dieser Antrieb brachte Chagaev, der übrigens den usbekischen Volkssport Kurash (eine Mischung aus Judo und Faustkampf) nie ausübte, weil er ihm zu hart war, zwei WM-Titel bei den Amateuren und 2007 den Titel bei den Profis ein, Damals führte er den bis dahin ungeschlagenen Riesen Walujew regelrecht vor.
Chagaev rettete seine Familie vor dem Bürgerkrieg
Nach dem Titelgewinn wurde er in seiner usbekischen Heimat von Staatspräsident Islom Karimov empfangen, fast eine halbe Million Menschen säumten die Straßen, um den bekenneden Moslem zu feiern. „Das werde ich nie vergessen. Davon kann ich meinen Enkeln noch erzählen.“ Und zuvor seinen Söhnen Artur (5) und Alan (2). „Die Familie ist mein ein und alles“, sagt „Spongebob“-Fan Chagaev.
Das bewies er 2005, als in seinem Geburtsort Andijon blutige Unruhen tobten. Chagaev reiste sofort aus Hamburg in seine Heimat und holte dort unter Lebensgefahr seine Frau Victoria, die Schwester und Mutter Zamira raus. Im Jahre 2006 zahlte er aus eigener Tasche 40000 Euro für den Eingriff bei seiner geliebten Mutter, die in einer Spezialklinik in Moskau am offenen Herzen operiert wurde. Doch sie überlebte den Eingriff nicht. „Das war eine Tragödie. Ruslan war vollkommen fertig“, sagt Klaus Peter Kohl, der Chef von Chagaevs Boxstall Universum. „Aber seine eigene Familie gab ihm die Kraft das durchzustehen.“ Genau wie die Leidenszeit nach seinem Achillessehnenriss im Jahr 2007. Da war es Sohn Artur, der Chagaev vorantrieb. Denn er habe zu ihm gesagt: „Papa, wenn Du nicht mehr boxst, kannst Du mir kein Spielzeug kaufen.“ Sollte er nun Klitschko besiegen, dann kann Papa Ruslan dem Filius auf jeden Fall ganz viel Spielzeug kaufen.
Matthias Kerber
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