Der Althaus-Effekt
Seit dem Ski-Unfall von Politiker Dieter Althaus, bei dem eine Frau ums Leben kam, hat sich das Bewusstsein geändert: Helme sind gefragt wie nie. Mancherorts sind sie für Kinder bereits Pflicht.
Schlagzeilen, die wir alle kennen: „Jedes Jahr verunglücken in Deutschland 60000 Wintersportler“ (Stiftung Warentest). „Zahl der Skiunfälle in der Schweiz um 66 Prozent gestiegen“ (Neue Zürcher Zeitung), „1000 Skiunfälle täglich in Österreich!“ (Ö24).
Sie erschienen in dieser Art Jahr um Jahr und bewirkten – nichts. Doch eine einzige des Winters 2008/09 veränderte alles. Die Schlagzeile, die Dieter Althaus, damals 50, schrieb. Die Schlagzeile seines Unfalls, welcher einer 41-Jährigen am Neujahrstag 2009 nach einem Zusammenstoß das Leben kostete. Die ganze Welt beschäftigte sich ab diesem tödlichen Drama im steiermärkischen Skigebiet Riesneralm mit dem Thema „Sicherheit im Skisport“.
Die Carver, Wedler und sogar Snowboarder rissen den Sport-Shops die Skisturzhelme aus den Händen. Egal, zu welchem Preis. Und ein deutscher Händler gestand: „Ich hätte sogar Blumentöpfe als Sturzhelme verkaufen können, wenn ich einen Riemen drangemacht hätte.“
Der Althaus-Effekt hält auch diese Saison an – an manchen Tagen scheinen bereits gefühlte neun von zehn Pisten-Benutzern einen Sturzhelm zu tragen (Realität: etwa 60 Prozent). 1,1 Millionen Skihelme wurden etwa im Winter 2009/10 in Deutschland verkauft. Die Saison zuvor waren es noch 800000 Helme. Diesen Winter wird wohl erneut die Millionen-Grenze geknackt werden.
So besitzt – und dies mag wie Zynismus klingen, ist es aber nicht – der tragische Tod der Mutter von vier Kindern wenigstens einen positiven Aspekt: dass die Öffentlichkeit wach gerüttelt wurde in punkto Sicherheit beim Skilauf. Endlich erfuhren alle, die es noch nicht wussten bis dahin, dass das Tragen eines Sturzhelms rund 85 Prozent aller Kopfverletzungen zu vermeiden hilft. Peter Schröcksnadel, Präsident des Österreichischen Skiverbandes sagt: „Ich hatte vor vier Jahren einen derart schweren Sturz, dass ich ihn ohne Helm nicht überlebt hätte!“
Inzwischen gelten Sturzhelme nicht nur als Sicherheits-, sondern auch als Coolness-Faktor. Weil es einfach klasse wirkt und jede Skimütze lächerlich dagegen erscheint. Und wer jemals mit einem der neuen, modernen Helme über die Pisten cruiste, wird es nie mehr anders wollen. Denn der Helm verleiht unwillkürlich das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Wobei dieses Gefühl ja durchaus die Realität wiederspiegelt: Mit Helm ist man sicherer unterwegs. In Italien sind Helme deshalb bereits seit dem 1. Januar 2005 bis zu 14 Jahren Pflicht. Wer oben ohne fährt, dessen Eltern müssen 150 Euro Bußgeld bezahlen. Und auch der Deutsche Skilehrerverband hat den Helm in allen seinen Kursen zur Pflicht erklärt. Immerhin verletzen sich rund 6000 Deutsche Pistensportler pro Ski-Saison am Kopf.
In Österreich gilt die Helmpflicht bis zum Alter von 15 Jahren in allen Bundesländern – außer Vorarlberg und Tirol, wo man das Papier nicht unterschrieben hat. Werner Grau, Geschäftsführer von Helm-Hersteller Uvex, vor einem Jahr: „Ich bin fest davon überzeugt, dass nächstes Jahr auch bei uns ein Gesetz kommt.“ Doch noch lässt das Gesetz auf sich warten.
Dafür geriet gehörige Bewegung in die Garde der Hersteller. Die Produkte wurden und werden immer besser, Helme mit Freisprech-Einrichtung gibt es seit Jahren. Zudem wartet der Markt mit interessanten Innovationen auf: Uvex etwa kreierte für diesen Winter einen aufblasbaren Sturzhelm für eine bessere Kopf-Anpassung (siehe AZ-Skiseite vom 3. Dezember), poc entwickelte ein Modell (Cortex DH), das zwischen den beiden Helmschichten noch eine dritte besitzt – aus PTFE. Effekt: Bei einem seitlichen Aufprall des Schädels auf die Piste können sich die Schichten gegeneinander verschieben. Dadurch werden laut Hersteller 45 Prozent der Kräfte absorbiert, die sonst direkt auf das Gehirn einwirken würden. Die Erfindung ist Folge der neuen MIPS Technologie (Multi-directional Impact Protection System), die gemeinsam mit dem Royal Institute of Technology und dem Karolinska Institute of Sweden entwickelt wurde.
Jupp Suttner
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