Das Sportskanonenvolk

„Gäbe es einen Sechskampf aus Fußball, Handball, Basketball, Wasserball, Tennis und Tischtennis, wäre Kroatien der ewige Weltmeister.“ Sie haben nur 4,4 Millionen Einwohner – weshalb die Kroaten dennoch so viele Athleten der Weltklasse haben.
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MÜNCHEN - „Gäbe es einen Sechskampf aus Fußball, Handball, Basketball, Wasserball, Tennis und Tischtennis, wäre Kroatien der ewige Weltmeister.“ Sie haben nur 4,4 Millionen Einwohner – weshalb die Kroaten dennoch so viele Athleten der Weltklasse haben.

Im Juli ist es zehn Jahre her. Kroatien schlug damals in einem denkwürdigen Spiel Deutschland mit 3:0, zog ins WM-Halbfinale ein, und als ein Reporter Aleksandar Ristic zu seiner Einschätzung fragte, sagte der Bosnier und frühere Bundesliga-Trainer: „Gäbe es einen Sechskampf aus Fußball, Handball, Basketball, Wasserball, Tennis und Tischtennis, wäre Kroatien der ewige Weltmeister.“

Widerspruch hätte wenig Sinn gemacht, denn auch wenn Kroatien damals im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister rausflog – im letzten Jahrzehnt manifestierte Kroatien seinen Status als eine der Spitzensportnationen der Welt.

Die Handballer Olympiasieger 1996 und 2004, Weltmeister 2003. Die Basketballer Olympia-Zweiter 1992. Die Wasserballer Weltmeister 2007. Das Tennis-Team Daviscup-Sieger 2005. Dazu überragende Einzelsportler. Goran Ivanisevic, Wimbledon-Sieger 2001, oder Janica Kostelic, Dreifach-Olympiasiegerin von 2002. Blanka Vlasic, Weltmeisterin 2007 im Hochsprung.

Sportlich mit Deutschland auf Augenhöhe

Ein Land, das mit 4,4 Millionen Menschen 18 Mal weniger Einwohner hat als die Bundesrepublik, aber sportlich mit Deutschland auf Augenhöhe ist. Wenn nicht noch darüber.

Für Konrad Clewing, den Vize-Leiter des Südostinsituts in Regensburg, hat das zwei Ursachen: „Zum einen rührt das aus dem stark ausgeprägten Spitzensport im ehemaligen Jugoslawien, zum anderen liegt das am engen Verhältnis zwischen Staat und Politik.“ Nach dem Balkankrieg und nach der Unabhängigkeit 1991, vor allem dank Staatspräsident Franjo Tudman. „Er hat stark in den Sport eingegriffen“, sagt Clewing, „der Sport sollte auch als Mittel dienen zur internationalen Präsentation des Nationalstolzes.“ So zeigte sich Tudjman nach dem Sieg der Fußballer 1998 gegen Deutschland in der Kabine und nannte seine Spieler voller Pathos „kroatische Ritter“.

Politiker sonnen sich nach wie vor in den Erfolgen ihrer Sportler, „vom Dorfbürgermeister bis zum Staatspräsident“, wie Boris Neusis, Slawistik-Dozent an der Münchner LMU, sagt. Denn solche nationalen Glücksmomente überdecken die Probleme des Landes, die Kluft zwischen den trendigen und aufgemotzten Küstenstädten wie Dubrovnik und Split und den armen Regionen im Landesinneren.

Wichtig, international erkennber zu sein

Großveranstaltungen wie die WM oder jetzt die EM sind glänzende Gelegenheiten, sich der Welt zu zeigen, sagt Neusius, der Wissenschaftler vom Forschungsverbund Ost- und Südosteuropa. „Es ist wichtig, dass man da international erkennber wird. Das ist einer der wenigen Momente, in denen man in der Welt etwas hört von Kroatien. Aber es geht nicht nur darum, der Welt zu zeigen, wie gut wir sind“, sagt Neusius, der als Kind viele Jahre in Kroatien gelebt hat, „sondern auch den Serben.“ Dem Nachbarn, dem alten Rivalen, wo der Stellenwert des Sports ebenfalls gewaltig ist.

Sportler sind Volkshelden. Weil sie den Menschen einen Stolz geben auf ihre Nation. Clewing spricht dabei von einer „Identitätsstiftung“.

Die Sportler halten die Pokale – und die Menschen sich daran fest.

In diesem kleinen und jungen Land Kroatien, wo sie sich für einen EU-Beitritt immer weniger begeistern können. Der ist nun für 2010 angedacht, doch Balkan-Experte Clewing weiß, dass die Skepsis gegenüber Europa wächst. „Es besteht die Angst vor dem Ausverkauf“, sagt er, „vor allem Italiener kaufen jetzt schon viele Küstengrundstücke, außerdem sind viele Menschen enttäuscht, sie fühlen sich von der EU hingehalten.“ Und das führt zu noch mehr Nationalbewusstsein.

Eines, das oft überzogen wirkt, die Begeisterung für Sänger Marko Perkovic „Thompson“ etwa, dessen CD auch Nationaltrainer Slaven Bilic nach EM-Auftakt, dem 1:0 gegen Österreich, in der Kabine aufgelegt hatte.

Es ist ein weiter Weg nach Europa. Vielleicht ist der Weg zum EM-Titel schon viel kürzer, nach dem Spiel gegen Deutschland. Bei einem Sieg werden sie im ganzen Land wieder jubeln. Vom Dorfbürgermeister bis zum Staatspräsident.

Florian Kinast

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