Das Monster in mir: Ein Blick in Mike Tysons Seele vor dem Comeback-Kampf

Er kneift die Augen zusammen. Die Wut, die in ihm langsam, aber unaufhaltsam aufsteigt, spiegelt sich in diesen Augen. Er gibt seinem Gegenüber diesen Mike-Tyson-Blick, der Dutzende seiner Gegner, die oft eher Opfer waren, das Blut schockgefrieren ließ.
Ein Blick, der Mordgedanken offenbart, der Schmerz verspricht. Unsägliche Schmerzen. "Listen", faucht Tyson, der sich selbst einst als "bösartigsten Menschen auf diesem Planeten" betitelt hat, mit seiner immer noch fiepsigen Stimme, für die er als Kind gemobbt und gehänselt wurde, und deutet mit dem Zeigefinger seiner Rechten, seiner Knockout-Hand, auf Moderator Joe Rogan, der während des Interviews nicht verstanden hat, dass gerade aus Mike, der seit Jahrzehnten an einer bipolaren Störung leidet, wieder Iron Mike, der gefürchtetste Boxer der Welt, geworden war.
Mike Tyson feiert gegen Roy Jones jr. sein Comeback
"Hör zu. Ich meine es verdammt ernst!", sagte Tyson: "Wieder zu kämpfen, ist orgiastisch. Sag es mir: Was sagt es über einen Mann aus, der eine Erektion kriegt, wenn er einem anderen wehtut?"
Dieser Mann ist Mike Tyson, der nach 15 Jahren Ringabstinenz - eine der wenigen Abstinenzen, die Tyson in seinem von Skandalen, Eskapaden, Exzessen geprägten und zerrütteten Leben eingehalten hat - in der Nacht auf Sonntag (2.30 Uhr, Sky) gegen Altmeister Roy Jones jr. (51) in einem Showkampf sein Comeback gibt.

Tyson schnaubt. Er schaut um sich, wie ein Tier, das im Käfig sitzt, doch der Käfig sind die eigenen inneren Dämonen. "Ich bete zur Zeit nicht zu Allah, denn ich will nicht, dass Gott mich in diesem Zustand sieht."
Tyson: "Ich habe ein absolut überbordendes Ego"
Dieser Zustand ist diese Wut, diese Boshaftigkeit, das Fehlen jeder Empathie, das Zerstörerische, das den Boxer Tyson so furchteinflößend machte, für den Menschen Tyson aber so selbstzerstörerisch war.
"Ich habe ein absolut überbordendes Ego und zugleich ein minimales Selbstwertgefühl, diese Kombination führt zu einem unglaublichen Größenwahn", versucht sich Tyson in Seelenschau: "Als mir das erste Mal echte Liebe entgegengebracht wurde, bin ich geflüchtet. Denn ich konnte nicht verstehen, wie man mich lieben kann. Mich, dieses Stück Scheiße. Wie kann man mich lieben, wenn ich mich selber nicht lieben kann?"
Tyson, der seit frühester Jugend Antidepressiva nehmen muss, der in der härtesten Ecke des harten Stadtteils Brownsville in New York aufwuchs, dessen Mutter eine drogen- und alkoholsüchtige Prostituierte war, die Mike schon als Baby mit hartem Alkohol ruhig stellte, ist ein gebrochener Mann. Einer, der mit den Scherben seiner Seele sich und den Menschen um sich herum immer wieder wehtut.
Tysons Tochter starb bei einem tragischen Unfall
Über 300 Millionen Dollar hat er verprasst. Er suchte den Ärger und der Ärger ihn. "Ich sollte schon lange nicht mehr leben. Man hat mehrfach auf mich geschossen. Fast alle meiner Freunde der Jugend sind einen gewaltsamen Tod gestorben, ich weiß gar nicht, wie viele Beerdigungen ich schon bezahlt habe", sagt Tyson.
Doch die eine Beerdigung, die er bezahlen musste, lässt ihn nicht los. Nie. 2009 verstarb seine Tochter Exodus im Alter von vier Jahren. Sie verhedderte sich im Kabel eines Laufbandes und strangulierte sich dabei. Tyson fuhr sofort von seinem damaligen Wohnort Las Vegas nach Phoenix, wo der Unfall im Haus der Mutter passiert war. Doch als er im Krankenhaus eintraf, war Exodus bereits tot. "Ich wolle meine Knarre holen und Amok laufen, töten", sagte Tyson später, "aber im Krankenhaus sah ich dann andere Eltern, deren Kinder starben. Ich hatte kein Recht, zu töten. Aber ich hätte anstelle meines kleinen Engels tot sein sollen."
Tyson betäubte seinen Schmerz mit Kokain, über eine Woche dröhnte er sich durchgehend zu. Um nichts zu fühlen, nicht zu denken. Tyson lebte weiter. Aber eigentlich existierte er eher. Er hatte sein Kind verloren und auch sich selbst. Erst im März dieses Jahres offenbarte Tyson in der Sendung "Hotboxin'" sein so verletzliches Innerstes, den Zwiespalt, der ihn zerreißt.
Als Mike Tyson endgültig die Kontrolle über sein Leben verlor
Er brach in Tränen aus, als er damals ein Comeback noch ablehnte. "Ich bin ein absolutes Nichts ohne Boxen. Aber ich habe Angst vor dem, was ich entfesseln würde, wenn ich wieder in den Ring steige. Ich mag diesen Menschen, der ich dann bin nicht wirklich. Das Monster in mir kann ich dann nicht kontrollieren. Ich bin ein f***ing Student des Krieges. Ich kenne alle Krieger. Von Karl dem Großen zu Achilles - der Nummer-eins-Krieger aller Krieger", sagt Tyson, der mit 20 Jahren der jüngste Schwergewichts-Weltmeister war.
Doch dann verlor er die Kontrolle über sich an die Drogen, er stürzte sportlich ab, landete wegen Vergewaltigung im Gefängnis. "Ich kenne die Kunst, zu kämpfen, ich weiß, die Kunst des Krieges, das ist alles, was ich jemals untersucht habe. Das ist, warum ich so gefürchtet bin, das ist, warum sie mich fürchteten, wenn ich in den Ring stieg. Ich war ein Zerstörer. Es ist, wozu ich geboren wurde. Diese Zeiten sind vorbei. Es ist leer, ich bin nichts. Ich arbeite an der Kunst der Demut. Das ist der Grund, warum ich heule, weil ich diese Person nicht mehr bin und ich vermisse ihn."
Er vermisst ihn, obwohl er nicht gut für ihn ist. Jetzt sind sie wieder eins, das Monster ist wieder entfesselt. Wenn auch vorerst nur in einem Showkampf.