Das deutsche Tennis? Ein Fall für die Zyniker

MELBOURNE - Haas verabschiedet sich nach einer Dreisatz-Niederlage gegen Rafael Nadal als letzter Deutscher von den Australian Open. Im Daviscup gegen Österreich und bei den BMW Open Anfang Mai in München wird er fehlen.
Wenigstens an der Spottbörse wird in Melbourne einer aus Deutschland ganz hoch gehandelt. Seit Philipp Kohlschreiber nach seiner Pleitenvorstellung gegen den 36 Jahre alten Franzosen Fabrice Santoro aufgebracht forderte, das ganze Grand-Slam-System umzukrempeln und nur noch über zwei Gewinnsätze zu spielen (wie bei den Frauen!), wird er von der Weltpresse verhöhnt. Kohlschreiber sei in „Wahrheit ein Vordenker" für mehr Beschäftigung im Tenniszirkus in diesen Krisenzeiten, bemerkte jetzt die australische „Sunday Mail“ süffisant, demnächst würden Grand-Slam-Matches nur noch über einen Gewinnsatz ausgetragen, dafür dürften dann vier Mal so viele Spieler an den Start gehen, 512 statt bisher nur 128. „Deutscher fordert Blitztennis“ lautete selbst in Japan die ironische Schlagzeile.
Das deutsche Tennis: Es ist ein Fall für die Humorabteilung geworden, für die Lastermäuler, die Zyniker. Es ist ein Notfall. Und daran hat auch der tapfere Auftritt des letzten deutschen Mohikaners nichts ändern können, der 4:6, 2:6, 2:6-Abschied von Tommy Haas gegen den übermächtigen Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal.
Kein Deutscher spielt noch mit, wenn nun das Grand-Slam-Spektakel richtig Fahrt aufnimmt. Zu viele deutsche Zählkandidaten standen im 20-köpfigen Aufgebot, zu viele Profis, die nicht über die gebotene Klasse, Ernsthaftigkeit und Reife verfügten. „So tief standen wir noch nie", krittelte Altmeister Boris Becker in „BamS“. Nun, da gerade das Inventar aus deutschen Glanzzeiten im Tennis abgewickelt wird – Turniere und Stadien –, ist auch eine andere Hinterlassenschaft aus den goldenen 80er und 90er Jahren zu sehen: Die mangelhafte Struktur in der Sichtung, Ausbildung und konsequenten Förderung von Talenten.
Während erfolgsverwöhnte Länder wie Spanien und Frankreich ihre Besten früh zusammenziehen und Rivalität erzeugen, werden deutsche Teenager in der Provinz zurückgehalten und als kleine Helden verhätschelt. Nur die TennisBase in Oberhaching verfügt über ein international konkurrenzfähiges Konzept.
Kein Wunder, dass Becker „die unbedingte Risikobereitschaft“ vermisst, „die Alles-oder-Nichts-Einstellung“, die es braucht, „um ganz nach oben zu kommen“. Die Welt staunt über die Generation der jungen Top Guns, über die del Potros, Murrays, Cilics, Nishikoris, alle um die Zwanzig. Aber sie staunt nicht über einen jungen Deutschen.
Haas kann auch nicht mehr als Vorzeigefigur dienen. Er ist, nach drei Schulteroperationen, nun auf dem Ego-Trip, er darf, um überhaupt weiterspielen zu können, nur noch das tun, was ihm nutzt. Haas wird nicht beim Davis Cup antreten, selbst nicht beim Nachbarschaftsduell gegen Österreich Anfang März in Garmisch-Partenkirchen, und bei den deutschen Sandturnieren wird man ihn auch nicht zu Gesicht bekommen, nicht in Hamburg, nicht in Düsseldorf und wohl auch nicht in München. Haas bemängelt einen Systemfehler im Geschäftskonzept der deutschen Turniere: „Die deutschen Spieler spielen gut auf schnellen Böden, kaum einer mag Sand. Aber vier der fünf Turniere finden auf Sand statt."
Jörg Allmeroth