Cordoba, göttliche Fügung
Und immer wieder 1978: Österreich ist vor dem Deutschland-Spiel im Ausnahmezustand. Und auch die Nationalspieler sind schon infiziert vom Cordoba-Fieber.
Na, servus! Ein Elfmeter in der Nachspielzeit, ein Unentschieden gegen Polen – und schon drehen sie durch, die Österreicher. „Das Wunder von Wien! Und jetzt besiegen wir die Deutschen“, titelt „Österreich“. Und der Kurier schreibt: „Im Prater blühen wieder die Träume.“ Lobpreisungen allerorten für Tor-Oldie Ivica Vastic und seine Kollegen, und kübelweise Häme für die von den Kroaten vorgeführten Deutschen. Am Montag (20.45 Uhr, ARD live) nun steigt, womit niemand gerechnet hatte – das Endspiel in Gruppe B um den Viertelfinaleinzug. Die ungleichen Kontrahenten: Gastgeber Österreich, 92. der aktuellen Fifa-Rangliste (siehe Seite 36), und Deutschland, als Fünfter 87 Ränge besser platziert.
Doch die nackten Fakten kümmern die rot-weiß-roten Kicker und Journalisten wenig. 30 Jahre nach dem legendären Austria-Triumph bei der WM 1978 in Cordoba, träumen sie alle von einer Neuauflage. „Der große Favorit muss jetzt gegen uns zittern. Kroaten schießen Piefke ab. Danke, Kroatien! Jetzt bitte ein zweites Cordoba“, heißt es in „Österreich“. Die „Kronenzeitung“ nennt die Löw-Truppe „hochmütig“. Der Kurier spottet: „Sensation – deutsche Badegäste am Wörthersee! Hat den Deutschen irgendein Ungustl vor dem Spiel das Salatdressing mit Narkotika versetzt? Oder waren die feinen Herren auf der Fanmeile zum Komatrinken unterwegs?“
Auch Österreichs Nationalspieler sind schon infiziert vom Cordoba-Fieber. Torschütze Vastic, der gebürtige Kroate, sagt: „Jetzt ist alles offen. Jetzt wird man sehen, wer die stärkeren Nerven hat.“ Er geht nach seinem verwandelten Last-Minute-Elfer davon aus, dass seine die besten sind. Austria-Kapitän Andreas Ivanschitz tönt ebenfalls: „Cordoba ist ein Teil unserer Geschichte. Wir als junge Spieler wollen ein eigenes Cordoba schaffen.“ Und Martin Harnik glaubt gar: „Die Deutschen stehen jetzt unter Druck und scheißen sich in die Hose.“
Hickersberger, der einzige Realist
Na, servus! Ein 38-jähriger Stürmer, ein mäßig talentierter Mittelfeldkicker und ein 21-jähriger Bremer Reservist spucken große Töne. Vor allem Harnik wurde hierfür von Pepi Hickersberger gemaßregelt. „Mit ihm werde ich ein ernstes Wort reden“, motzte der ÖFB-Teamchef. Apropos: Hickersberger scheint republikweit der einizge Mensch zu sein, der realistisch bleibt: „Deutschland ist Deutschland. Wir haben doch noch gar nichts erreicht. Deutschland ist der haushohe Favorit. Gegen die gelingt ein Sieg nur alle heilige Zeiten.“ Zuletzt eben vor 30 Jahren „in dieser argentinischen Stadt“, wie der vom genervte Hickersberger Cordoba zu nennen pflegt. Und das, obwohl der heute 60-jährige am 21. Juni 1978 sein 39. und letztes Länderspiel in Argentinien absolviert hat. „Aus meiner Sicht ist das verarbeitet und vergessen“, sagte der Nationaltrainer.
Damit jedoch steht er allein – anders war die nächtliche Szenerie entrückter Österreicher nach der Polen-Partie in der erstmals überfüllten Wiener Fanzone, an den U-Bahnstationen und in den Kneipen nicht zu deuten. „Deutschland ist nur ein Punktelieferant“ wurde gesungen. Auch „Deutschland, Deutschland alles ist vorbei“ war zu hören. Der beliebteste Fangesang jedoch war: „Wien wird Cordoba - schallalalala!“ Tausendfach gesungen und gegrölt.
"Eine göttliche Fügung"
Nichts würde für mehr Enthusiasmus sorgen als ein Triumph gegen den ungeliebten Nachbarn. „Österreich wird am Montag brennen“, kündigte Verbandsboss Friedrich Stickler pathetisch an, „diese Konstellation ist eine göttliche Fügung. Wenn beide Veranstalter nach zwei Spielen ausgeschieden wären, hätte das für die Stimmung des Turniers nichts Gutes bedeutet.“
Gut für die Österreicher ist übrigens ein kleiner Unterschied zur WM 1978. Diesmal würde ein Sieg Austrias Kicker wohl auch in die nächste Runde bringen. „In dieser argentinischen Stadt“, sagte Hickersberger, „hat uns das 3:2 nichts gebracht. Wir waren ja schon ausgeschieden.“
Dennoch ist das Faszinosum geblieben. Würden sonst so viele Taxifahrer ein kleines Plastikgerät mit einer Schnur neben dem Taxometer kleben haben? Zieht man daran, sind legendäre Töne zu hören: „Da kommt Krankl...in den Strafraum – Schuss...Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer’ narrisch.“
F.Hellmann, J.Schlosser
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