Box-Legende Halmich: "Ich war die Exotin, die Außenseiterin, das Schmuddelkind"

Regina Halmich wird vor genau 30 Jahren gegen Kim Messer als erste Deutsche Weltmeisterin. Sie macht Frauenboxen hierzulande erst populär. In der AZ erinnert sie sich an den steinigen Weg auf den Thron.
Matthias Kerber
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Regina Halmich als TV-Expertin im Boxring bei der SES-Box-Gala im April in Potsdam.
Regina Halmich als TV-Expertin im Boxring bei der SES-Box-Gala im April in Potsdam. © IMAGO/kolbert-press/Christian Kolbert

Es war angerichtet und die Messer gewetzt, um das Frauenboxen genüsslich zu filetieren, ehe es in Deutschland überhaupt richtig zum Leben erwacht war. Nur sieben Wochen nachdem eine damals fast unbekannte 18-Jährige aus Karlsruhe in Las Vegas bei ihrem ersten Versuch, den Thron im Frauenboxen zu erklimmen in Las Vegas an Yvonne Trevino (USA) gescheitert war, und die „Bild“ genüsslich die Blutbilder der Blondine mit der Überschrift „Wollen wir das sehen?“ versehen hatte, stieg Regina Halmich an diesem 10. Juni 1995 in ihrer Heimatstadt wieder in den Ring. Es ging gegen die einstige Kickboxweltmeisterin Kim Messer (USA), die ihr Box-Debüt gab, um den vakanten WM-Titel im Fliegengewicht des Verbandes WIBF.

"Ich habe die Häme, die über mich ausgegossen wurde, nie verstanden"

Die Unkenrufer und Berufs-Machos wie Ex-Europameister René Weller († 2023), der seine Meinung über Frauenboxen mit den Worten „Frauen gehören zum Boxen wie die Luft zum Atmen – als Nummerngirls“ kundgetan hatte, hatten Hochkonjunktur, sie wollten Frauenboxen gleich zu Grabe tragen und das vermeintlich schwache Geschlecht vom „Männersport“ Boxen fernhalten. Halmichs Karriere, das Frauenboxen in Deutschland insgesamt standen damals auf Messers Schneide.

„Es war mir bewusst, dass es unglaublich viele Zweifler gab, die nur darauf warteten, dass ich wieder verprügelt werden würde. Mir war klar, dass an dem Abend meine Karriere schon vorbei sein konnte“, sagt die jetzt 48-Jährige zur AZ anlässlich des 30-jährigen Jubiläums. Doch sie alle hatten die Rechnung ohne Regina – der Name bedeutet Königin – und ihren unglaublichen Kampfgeist gemacht. Am Ende der zehn (unblutigen) Runden wurde Halmich mit ihrer Duracell-Hasen-Mentalität zur Siegerin erklärt. Erstmals hörte sie das Wort, das bis zu ihrem Karriereende 2007 zum ständigen Begleiter werden sollte, in Verbindung mit ihrem Namen: Weltmeisterin.

„Trotzdem war ich noch die Exotin, die Außenseiterin, das Schmuddelkind, das keiner wollte. Ich habe die Häme, die über mich ausgegossen wurde, nie verstanden. Das war hart und schmerzhaft. Dabei war ich nur jemand – in dem Fall eben eine Frau –, die ihrer Leidenschaft nachging“, sagte Halmich: „Aber der ganze Gegenwind hat mich nur noch stärker gemacht. Diese Mentalität hat mich auch am Leben erhalten. Wenn ich zurückweiche, dann nur, um Anlauf für einen neuen Angriff zu nehmen.“

Nachteil als Frau? "Ich habe es zu meinem Vorteil gemacht"

Ein Spruch, der auf ihren Boxstil passt, aber auch auf sie als Person. Je größer die Ablehnung, die Steine, die ihr in den Weg gelegt wurden, umso mehr ging sie die Herausforderung Kopf voraus an. Sie rollte die Steine in wahrer Si­sy­phus­ar­beit aus dem Weg. Am Ende dieses langen, beschwerlichen Pfades auf dem Halmich in den stillen Stunden – dann, wenn keiner zuschaute – so manch bittere Tränen vergossen hat, war sie die deutsche Box-Queen und eine echte Quotenbringerin. Fast neun Millionen schauten am Ende ihren Kämpfen zu.

Am 10. Juni 1995 krönt sich die 18-jährige Regina Halmich in ihrer Heimatstadt Karlsruhe gegen Kim Messer als erste Deutsche zur Weltmeisterin im Frauenboxen, danach avanciert sie zur deutschen Box-Queen.
Am 10. Juni 1995 krönt sich die 18-jährige Regina Halmich in ihrer Heimatstadt Karlsruhe gegen Kim Messer als erste Deutsche zur Weltmeisterin im Frauenboxen, danach avanciert sie zur deutschen Box-Queen. © imago sportfotodienst

„Am Anfang war es ein großer Nachteil, dass ich in diesem Sport eine Frau war, das hat mich viele Millionen an Gage gekostet“, sagt Halmich, „aber ich habe es dann zu meinem Vorteil gemacht, indem ich dieses Alleinstellungsmerkmal ausgenutzt habe.“

Halmich hat eine in Deutschland einmalige Karriere hingelegt: 56 Kämpfe, 54 Siege, ein Unentschieden, eine Niederlage, 16 Knockouts, Weltmeisterin von 1995 bis 2007. Sie hat dabei stets Grenzen überschritten, sich (insgesamt dreimal) mit Pseudo-Komiker Stefan Raab geprügelt, zweimal im „Playboy“ mit nackten Tatsachen geglänzt.

Anerkennung und Entschuldigung von Henry Maske

Sie war eben mehr als nur eine Boxerin, sondern eine Frau, die das Business verstanden hat, die mit Reizen nicht geizen musste, die so das Frauenboxen in die deutschen Wohnzimmer brachte. So hat sie fast im Alleingang Frauenboxen in Deutschland populär gemacht, obwohl die Experten, die Journalisten, die anderen Boxer ihr das Leben noch schwerer machten, als es als Pionierin eh schon war.

Nachdem der – später mit vier Oscars ausgezeichnete – Box-Film „Million Dollar Baby“ mit Hillary Swank und Clint Eastwood 2004 in die Kinos gekommen war, entschuldigte sich Ex-Weltmeister und „Sir“ Henry Maske, der Gentleman-Boxer, bei ihr. „Er kam zu mir und sagte, dass ihn der Film tief bewegt hätte, und dass dies ja eigentlich meine Lebensgeschichte sei“, erinnert sich Halmich: „Und dann meinte er: Du hattest es wirklich nicht leicht – und wir haben es dir noch schwerer gemacht, das war so nicht okay.“

Ein Platz in der Ruhmeshalle

Am Ende wurde Halmich als erst fünfte Frau und als zweite Deutsche (was kein Maske, kein Sven Ottke schafften) nach dem unvergessenen Max Schmeling († 2005), dem einzigen Schwergewichtsweltmeister, den Deutschland je hervorgebracht hat, in die Internationale Ruhmeshalle des Boxsports aufgenommen. 2023 wurde sie zudem in Las Vegas, dem Ort ihrer einzigen sportlichen Niederlage, für ihr Lebenswerk geehrt.

Die Story der Regina Halmich ist eine deutsche Erfolgsgeschichte – mit Happy End. Die gewetzten Messer waren eben nur ein stumpfes Schwert. „Es soll sich sicher nicht überheblich anhören, aber ich war meiner Zeit eben immer ein Stück voraus.“

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