Bad Boy an der Church Road: Kyrgios im Wimbledon-Finale
London - Oh dear! Ausgerechnet Nick Kyrgios im Finale auf dem heiligen Rasen zu Wimbledon. Das Turnier in der englischen Hauptstadt London ist mit seinen Regeln und Verordnungen ja ein Relikt der "Britishness". Mit den adrett gekleideten und gescheitelten Adeligen in der "Royal Box" direkt am Centre Court. Mit den toujours weiß gekleideten Spielern, von denen Manieren, Ruhe, Respekt und Fairness erwartet wird.
Nick Kyrgios im Wimbledon-Finale: Der Bad Boy der ATP-Tour
Und dann Kyrgios. Der 27-Jährige ist - anders. Er ist der Bad Boy der ATP-Tour, der in den vergangenen Wochen wegen Verstößen gegen die Etiquette des Turniers immer wieder zur Kasse gebeten worden ist. Gegen ihn ermittelt auch die Justiz in seiner Heimat Australien, die frühere britische Sträflingskolonie, wegen häuslicher Gewalt. Kyrgios ist "stiff upper lip" - aber halt nur in der ACDC-Version.
Kyrgios schockiert. Aber, das lässt sich nicht leugnen: Er spielt auch fantastisches, überraschendes Tennis und unterhält mit dieser Kombination wie einst John McEnroe. Er schaltete im Turnierverlauf etwa (in einem skandalösem Match) den starken Griechen Stefanos Tsitsipas aus. Im Halbfinale hätte er es mit Rafael Nadal zu tun gehabt, der verletzungsbedingt aber nicht antrat - ein nicht angetretenes Halbfinale passierte in Wimbledon zuletzt vor 30 Jahren. So steht Kyrgios am Sonntag (15 Uhr, Sky) im Endspiel. Als Nummer 40 der Welt ist er der niedrigst gelistete Spieler seit 2008. Dass er nun überhaupt da angekommen ist, dafür ist der Australier "einen weiten Weg gegangen".
Dunkle Wolken über Kyrgios: Depressionen, Selbstmordgedanken, Selbstverletzung
Beim vorigen Duell mit Nadal vor drei Jahren, erzählte Kyrgios, habe ihn sein Manager um vier Uhr morgens aus dem Pub gezogen. Er hatte damals mit dunklen Wolken zu tun, die aber nicht über den Londoner Rasen zogen - sondern durch seinen Kopf. Depressionen, Selbstmordgedanken, Selbstverletzung.
Seine Mutter Norlaila sagte nun im "Sydney Morning Herald" zu dieser Zeit: "In Peking wollten wir, dass er mit uns die Chinesische Mauer entlang läuft. Aber Nick wollte nicht mitgehen. Er war froh, in seinem Zimmer zu sitzen und etwas zu bestellen, das machte mir Sorgen."
Nun habe er mit seiner Freundin Costeen Hatzi Abstand gewonnen: "Seit den Australian Open dieses Jahr hat er angefangen, einige Dinge zu unternehmen. Weil er jetzt versteht, dass sich das Leben nicht nur um Tennis dreht. Man muss sein Leben genießen."
Dass Kontroversen gerade im Herz der "Britishness" dazugehören, das ist für ihn in Ordnung: "Ich beschwere mich nicht darüber - ich liebe das." Er ist wie ein mit sich selbst ringendes Genie, ein Pub-Zecher, der die Five-O'clock-Tea-Time crasht. Und das kommt, man denke an Paul Gascoigne und George Best, bei den britischen Fans ja auch an.
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