AZ-Wintersportkolumne von Karl Geiger: Von Ruhe und Kraft
Oberstdorf, 8.15 Uhr - das Nebelhorn macht seinem Namen alle Ehre und ist verhüllt. Unser Mannschaftsbus kommt um die Ecke, gesteuert von unserem Co-Trainer, gut gelaunt und voller Energie, die er auch benötigt.
Vor uns liegen rund zehn Stunden Fahrt auf 970 km - die Anreise nach Wisla in Polen, wo der Auftakt in die Wintersaison stattfindet. Der wird uns eine erste Standortbestimmung im internationalen Vergleich geben. Es gilt für mich, auf der Strecke so bequem wie möglich zu reisen, was zu viert im Bus gelingen sollte. Neben meinem Heimtrainer und dem Fahrer wird nur noch mein Teamkamerad Raimund Philipp dazu steigen. Beste Aussichten also für die Möglichkeit, die Beine hochzulegen und sich auf den Start der Saison einzustimmen.
Diese Fahrt ist für mich in der Tat eine Zäsur. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Die letzten Tage habe ich im Kreis der Familie genossen - bei einem Besuch mit unserer Tochter Luisa bei meinen Schwiegerleuten in Schwäbisch Gmünd unter schönster Herbstsonne.
Das sind die Ziele von Karl Geiger
Jetzt stehen wir vor einer bedeutsamen Saison mit Vierschanzentournee und der WM in Planica - ein Programm, vor dessen physischen und psychischen Anforderungen man einen gesunden Respekt haben darf.
Ich werde nach der vergangenen Saison, in der ich Zweiter des Gesamtweltcups und Bronzemedaillengewinner in Peking bei den Olympischen Spielen war, immer wieder nach meinen gegenwärtigen Zielen gefragt. Was soll der Zweite wohl sagen, wenn er nach seinen Wünschen befragt wird? Mit allen denkbaren Titeln zu antworten, liegt für den einen oder anderen vielleicht nahe, weil unser Denken immer vom noch besseren
Ergebnis bestimmt wird, aber ich finde, man muss sich in Realismus üben. Insbesondere ist bei uns Skispringern nie vorhersagbar, welche Athleten die Regeländerungen an der Ausrüstung am besten antizipieren.
Beim Skispringen müssen die Stellschrauben stets neu einjustiert werden
Skispringen ist ein komplexer Vorgang mit vielen Stellschrauben, die von Saison zu Saison neu einjustiert werden müssen. Mein Anspruch an mich ist es, professionell zu arbeiten, gut in eine Saison hineinzugleiten und mich in ihr stetig zu verbessern. Was dies im Einzelfall bedeutet, wird man sehen und hängt auch von der oft nicht einkalkulierten Leistung des Konkurrenten ab.
Vorbeiziehende Landschaften und Erinnerungen an die letzte Saison vermischen sich. Mit dem Blick von der Autobahn auf das wunderschöne österreichische Kloster Melk, das den Eingang in die Wachau markiert, stellt sich die Erkenntnis ein, dass die Fokussierung auf die Aufgabe für mich das Wichtigste sein wird. In der Ruhe liegt die Kraft. Ich freue mich auf diese Saison!
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