Auf Wiedersehen in London

Beide hatten sie etwas in der Hand. Vater Wolfgang Hambüchen eine Videokamera, mit der er die fragenden Journalisten für sein privates Archiv filmte. Sohn Fabian seine Medaille, die er immer wieder umdrehte, anschaute und kritisch begutachtete.
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Normalerweise knetet Physiotherapeutin Miriam Appel Hambüchens Muskeln, hier ist sie als Trostspenderin für den todtraurigen Star gefordert.
dpa Normalerweise knetet Physiotherapeutin Miriam Appel Hambüchens Muskeln, hier ist sie als Trostspenderin für den todtraurigen Star gefordert.

Beide hatten sie etwas in der Hand. Vater Wolfgang Hambüchen eine Videokamera, mit der er die fragenden Journalisten für sein privates Archiv filmte. Sohn Fabian seine Medaille, die er immer wieder umdrehte, anschaute und kritisch begutachtete.

PEKING

Als Favorit war Fabian Hambüchen ans Reck gegangen, der Weltmeister, der Europameister. Am Ende musste er froh über Bronze sein. Glücklich wirkte er nicht.

Gleich als Erster hatte er im Finale ans Gerät gemusst, doch von Anfang an wirkte er unsicher, gerade beim Element namens Adler mit ganzer Drehung. „Diese Übung hätte ich im Uhrzeigersinn durchturnen müssen“, erklärte der 20-Jährige später, der da aber nach einem Fehler und kleinen Unsicherheiten die Richtung wechseln musste.

„Das war zu verkrampft“, meinte der Vater, der in Personalunion auch noch der Trainer ist, „Fabian musste einfach improvisieren.“ Manager Klaus Kärcher sagte später zur AZ: „Er hat zu sehr gegen seinen Charakter und auf Sicherheit geturnt. Hätte er attackiert, hätte es wohl gereicht für Gold.“ Nach seiner Übung schlich Hambüchen frustriert auf seinen Platz. „Ich dachte, Medaille ade“, sagte er später, weil er fürchtete, wieder nur Vierter zu werden. Wie 90 Minuten zuvor am Barren, wie vor einer Woche mit der Mannschaft, wie am Sonntag am Boden. Hambüchen schien den Tränen nahe, immer wieder versuchten ihn Papa Wolfgang und Physiotherapeutin Miriam Appel aufzuheitern. Vergeblich.

Doch dann sah er einen Kontrahenten nach dem anderen „runterpurzeln“, wie er später sagte, und als dann nur noch der Italiener Igor Cassina turnen musste, da hielt Hambüchen nichts mehr auf seinem Stuhl. Unruhig ging er durch die Halle, umarmte den Franzosen Yann Cucherat, setzte sich auf den Boden, und als klar war, dass Cassina hinter ihm bleiben würde, da fiel er seinem Vater in die Arme.

Oben auf der Tribüne brach Onkel Bruno, der Psychologe im Hambüchener Familienclan, in Tränen aus, die ganze Anspannung hatte sich gelöst.

„Ich glaube, ich brauche jetzt einfach so zwei, drei Tage, bis ich das alles sacken lassen kann“, sagte Hambüchen später und reflektierte auf bemerkenswerte Weise Anspruch und Wirklichkeit: „Es war dumm von mir, immer nur an Gold zu denken. Wenn man sich gar nicht über Bronze Freude kann, dann fragt man sich, ob das wirklich die richtige Einstellung gewesen sein kann.“

Vater Wolfgang bemühte sich noch in zaghaften Erklärungsversuchen, er sprach davon, dass das Reck zu weich war, doch das waren alles Argumente, die für Hambüchen nicht zählten. „Das ist völlig egal, ob ich in Amerika, Deutschland oder sonst wo geturnt hätte. Es war einfach nicht meine Woche. Vielleicht schaffe ich es ja in vier Jahren meinen Goldtraum zu erfüllen.“ Im Keller des Pekinger National Indoor Stadiums dachte Hambüchen also bereits an London 2012.

Eberhard Gienger, der wie Hambüchen Weltmeister war und 1976 ebenfalls Olympia-Bronze holte, empfand die Leistung jedenfalls beachtlich. „Dieses Bronze glänzt wie Gold“, sagte Gienger noch in der Halle zur AZ, „er gehört in jedem Fall zu den glücklichen Medaillengewinnern. Noch einen vierten Platz hätte er nicht verdient. Für ihn war Peking in jedem Fall eine lehrreiche Erfahrung.“ Sprach’s und ging noch nach nebenan ins Olympiastadion zur Leichtathletik. Fabian Hambüchen ging derweil zur Dopingkontrolle. In der Hand hielt er immer noch seine Bronzemedaille. Richtig zu Freude schien er sich immer noch nicht. Kommt aber hoffentlich noch. So in zwei, drei Tagen.

Florian Kinast

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