"Arne ist ein Stier"
Mit 31 Jahren gewinnt Läufer Gabius seine erste EM-Medaille über 5000 Meter – auch, weil den ehemaligen Lehrling von Olympiasieger Dieter Baumann nun kein Medizinstudium mehr hemmt.
HELSINKI - Als Dieter Baumann 1992 in Barcelona zum Olympiasieg stürmte, verpasste der damals elf Jahre junge Arne Gabius die Fernsehübertragung, weil er mit Kumpels kicken war. Seit Mittwochabend, rund 20 Jahre später, hat die deutsche Leichtathletik wieder einen 5000-Meter-Läufer von internationalem Format, einen Vizeeuropameister – wie Baumann ein Individualist. „Er hat sich von mir emanzipiert. Er ist jetzt das, was ich mir vorstelle: ein selbstbewusster, selbstständiger Athlet, der mit offenen Augen durch die Welt geht”, sagte Baumann über den Zweiten bei der Leichtathletik-EM in Helsinki. Erst seit Gabius (31) nicht mehr beim 47-Jährigen Baumann trainiert, ist er sportlich explodiert.
„Er hat viel verändert, viel gelernt. Er war lange in Kenia, hat hart trainiert”, lobte auch Goldmedaillengewinner Mo Farah aus Großbritannien seinen Konkurrenten. Nach dem Motto des gebürtigen Somaliers und Weltmeisters kann nun auch Gabius leben: „Laufen, schlafen, essen.” In seinem praktischen Jahr als Medizinstudent mit bis zu zehn Stunden täglich im Krankenhaus fraß Gabius morgens um fünf mit der Stirnlampe Kilometer. Jetzt ist der Vegetarier Vollprofi – und Autodidakt.
2011 beendete Baumann seine Trainertätigkeit. „Ohne sein Training wäre das nie zustande gekommen”, sagte Gabius nach seinem Silber-Coup, bekannte im Rückblick aber auch: „Er war vielleicht ein bisschen enttäuscht. Ich war nie ein richtiger Athlet für ihn, jetzt komme ich dem schon sehr nahe.” Die Trennung habe ihr Verhältnis nicht getrübt – sagen beide. „Wir sind sogar noch bessere Freunde als vorher.” Die Glückwunsch-SMS aus Tübingen kam noch am Mittwochabend.
Gabius wälzt mittlerweile keine Medizinbücher mehr, er studiert Trainingspläne. Er hat sich nicht nur bei den Kenianern viel abgeschaut, sondern auch von den Amerikanern. Die Dauerläufe bewältigt der 31-Jährige jetzt pro Kilometer eine Minute schneller. Baumann sieht den Grund für Gabius' Fortschritte vor allem in dessen Vollprofitum, das der Läufer die nächsten vier Jahre beibehalten will: „Vielleicht hat ihm das gefehlt: Dass er mal schläft, dass er sich erholt zwischen den Trainingseinheiten”, sagte der frühere Leichtathletik-Star. Und: „Ihn zeichnet auch eines aus: Er ist nie verletzt, nie krank. Arne ist ein Stier!”
Zu den Gegnern aus Kenia und Äthiopien fehlt allerdings noch ein gutes Stück. In der Weltbestenliste steht Gabius nicht mal unter den Top 30, für die Olympischen Spiele in London peilt er erst einmal den Einzug ins Finale ein. Dafür geht es nun drei Wochen in ein Höhentrainingslager nach St. Moritz.
„Die Freude wird sicher noch so lange anhalten”, sagte Gabius nach dem bislang größten Erfolg und ergänzte lachend: „Ich blüh’ ja jetzt erst richtig auf.”
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