Arianes Höhenflüge
Für AZ-Kolumnist Busemann ist aus der einst eher ausgeflippten Hochspringerin die Favoritin auf Gold bei der Weltmeisterschaft geworden. Auch, weil sie sich so gut auf Psychospielchen versteht
BERLIN Der Opa, er wird wieder top vorbereitet sein. Mit Lineal und Bleistift. Und seit einiger Zeit auch mit einer Leiter. Denn in der Küche, da trägt er jede Besthöhe seiner Enkelin ein. Und die heißt Ariane Friedrich. Die Hochspringerin, mit einer persönlichen Bestmarke von 2,06 Metern, ist die große deutsche Goldhoffnung bei der Leichtathletik-WM in Berlin (ab 15. August). „Zuletzt hat sich mein Opa bei mir beschwert. Jetzt muss ich schon wieder auf die Leiter klettern und neue Striche malen!“
Und Zehnkampf-Legende Frank Busemann, der für diese AZ-Serie seine Medaillenkandidaten vorstellt, meint: „Bei den vielen Rekorden von Ariane bleibt die ganze Familie Friedrich durch Leiternsteigen fit.“
Am 18. August, da wird der Opa gerne auf die Leiter steigen. Dann, wenn Ariane gegen Blanka Vlasic (Kroatien) um Gold kämpft. Dann wird Ariane hoffentlich wieder ihren berühmten Sieger-Brunft-Urschrei ablassen. „Das traut man dieser zierlichen Person gar nicht zu, dass die so schreien kann. Aber das ist wohl ihr Wettkampfnaturell. Diese Gesten, diese Schreie, sie sind ja auch ein Signal an die Konkurrenz. Sie und Vlasic, die haben schon ihre Psychospielchen drauf. Und wie heißt es: Für Gold ist alles erlaubt. Doping ausgenommen“, sagt Busemann, der bei Olympia 1996 in Atlanta Silber holte. „Die beiden mögen sich nicht wirklich. Aber Friedrich ist für mich die Favoritin, sie ist durch Peking gereift.“
Da belegte die Polizei-Kommissaranwärterin nur den siebten Platz. „Weil mein Hintern härter war als Stein.“
Damit ähnliches Ungemach ihr in Berlin nicht wieder passiert, hat sich Friedrich noch intensiver vorbereitet. Sie trägt kniehohe Kompressionsstrümpfe, die für eine bessere Durchblutung sorgen sollen, sie isst drei Tage vor dem Wettkampf keine zuckerhaltigen Produkte, hat zwei Ernährungsexperten. Sie ist in den letzten drei Jahren zum Profi gereift. Seitdem musste der Opa oft auf die Leiter klettern, sie steigerte ihre Bestmarke um 14 Zentimeter. 2006, das war der Wendepunkt in der Karriere der Ariane Friedrich. Bis dahin war sie ein großes Talent. Mehr nicht. Eine Arbeiterin war sie nicht. Sie war von Sindelfingen nach Frankfurt gezogen und war den Verlockungen des Großstadtlebens erlegen. Wenig Schlaf, viele Feiern. Zu viele für Trainer Günter Eisinger. Er hatte genug von ihr. „Sie war ein Flippi, mehr nicht“, sagt Eisinger. Er stellte sie zur Rede, schrieb eine Liste mit ihren Verfehlungen. Es waren 30 Stück. „Erst war Ariane eine Weile still, dann kurze Kommentare, schließlich rollten jede Menge Tränen“, sagte Eisinger im „Spiegel“.
Es waren reinigende Tränen. Friedrich, Lieblingsfarbe pink, gibt nur noch optisch den Flippi, als Sportlerin ist sie ein Vollprofi. Einer, der zurück in die Zukunft ging. Eisinger kramte für sie Uralt-Methoden raus. „Mit den vielen Hallen haben wir unsere Sportler verweichlicht. Also sind wir wieder raus. Auch bei eisigem Wetter, wir laufen auch mit Stirnlampen im Winter. Das hat ihr gut getan.“.
Ein Ansatz, der auch Busemann gefällt. „Boah, das wirkt. Ich war ja früher auch so ein richtiges Weichei. Hatte es 15 Grad, bin ich gleich in die Halle, weil mir zu kalt war. Aber wenn man das anders macht, wird das zum Riesenvorteil. Ich erinnere mich noch, wie es bei einem Wettkampf zu Regnen anfing. Eigentlich mag ich keinen Regen. Aber ich wusste, dass ich Freilufttrainierer das gut wegstecke und die ganzen Hallenleute fluchen. Das gibt einem mentale Härte“, sagt Busemann und fügt schmunzelnd hinzu: „Aber noch habe ich Ariane im Sack, meine Besthöhe ist 2,09 Meter.“
Da bleiben dem Opa noch drei Zentimeter Spielraum an der Küchenwand.
Matthias Kerber
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