Amnesty-Expertin: "Die Menschenrechtslage in China ist katastrophal"
München - AZ-Interview mit Theresa Bergmann, China-Expertin bei der NGO Amnesty International.
AZ: Frau Bergmann, angesichts der schwierigen Menschenrechtslage in China, kann man sich die Olympischen Winterspiele in Peking überhaupt unbeschwert anschauen?
THERESA BERGMANN: Grundsätzlich sollte das jede Person frei entscheiden, ob und wie sie sich diese Winterspiele anschaut. Ich sehe das Problem auch nicht in der Verantwortung der Zuschauenden. Die Verantwortung tragen hier die chinesische Regierung, die internationale Staatengemeinschaft - die sich mit ihren Forderungen an China wenden muss - und die Organisationen, die in diesem Zusammenhang eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht haben.
Wie ist es aktuell um die Menschenrechte in China bestellt?
Seit den letzten Olympischen Spielen 2008 und besonders seit Amtsantritt von Xi Jinping (Staatspräsident, Anm. d. Red.) 2013 hat sich die Menschenrechtslage in China deutlich verschlechtert. Die Meinungsfreiheit ist hier stark eingeschränkt: Es wird ein massives System von Zensur und Überwachung betrieben - das funktioniert offline wie online. Tausende Websites und Soziale Medien sind blockiert oder zumindest stark eingeschränkt. Journalist_innen werden systematisch verfolgt. Man kennt auch den Fall Peng Shuai (Tennisspielerin, die einen den ehemaligen Vizepräsidenten der Vergewaltigung bezichtigt hatte, d. Red.). Personen, die sich wie sie zu sexualisierter Gewalt äußern, werden oft brutal zum Schweigen gebracht.
AI-Expertin: Die Menschenrechtslage in China ist katastrophal"
Aktuell dreht sich die Diskussion besonders um die Situation in Hongkong und das Vorgehen der chinesischen Regierung in der Region Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren massiv unterdrückt wird.
Dort beobachten wir Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Bezug auf mindestens drei Tathandlungen: Inhaftierung, Verfolgung und auch Folter. Die Menschenrechtslage in China ist katastrophal.
Befürchten Sie, dass es China dank Olympia gelingt, von diesen eklatanten Missständen abzulenken?
Die Gefahr des Sportswashing ist definitiv gegeben. Die chinesische Regierung nutzt die Olympischen Spiele, um ihr Image in der Welt aufzubessern. Sie schlägt aus dem Glanz, dem Prestige und dem öffentlichen Interesse des Sports Kapital, um die desolate Menschenrechtslage zu verschleiern.
"Auch das IOC hat eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht"
Wäre es aus Sicht der Menschenrechte nicht das einfachste, das Internationale Olympische Komitee (IOC) würde erst gar keine Spiele in ein Land wie China vergeben?
Amnesty International gibt grundsätzlich keine Empfehlungen gegenüber dem IOC ab, wo Spiele auszutragen sind. Aber die Verantwortung, dass man nicht zur Verletzung von Menschenrechten beiträgt, liegt ganz klar beim IOC. Und gleichzeitig muss das Komitee, wenn es sich für einen Austragungsort entschieden hat, sicherstellen, dass Sportler_innen sich kritisch gegenüber der Menschenrechtslage vor Ort äußern können - ohne Furcht vor Konsequenzen.
Trotzdem beruft sich das IOC auf den Standpunkt: Politik und Sport dürfen nicht vermischt werden. . .
Das macht an dieser Stelle keinen Sinn. Es gibt eine rechtliche Verantwortung für Staaten, aber auch für Verbände wie das IOC. Für diese besteht nach den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht. Und dazu gehört übrigens im Falle des IOC auch das Recht auf Meinungsfreiheit für die Olympia-Teilnehmer_innen.