Die Lebensmittel-Lügen

72 Prozent der Verbraucher fühlen sich im Supermarkt oft ausgetrickst und getäuscht, so eine neue Studie. Die AZ zeigt die häufigsten Fallen – und wie man sie vermeiden kann
Wellness-Wasser, Putensalami mit Schweinefleisch, geklebte Steaks, Käse-Imitat und Mogelpackungen: Vieles, was wir essen und trinken, ist mittlerweile mehr Schein als Sein. Wer den Tricks und Mogeleien der Lebensmittelindustrie nicht auf den Leim gehen will, muss beim Einkaufen aufpassen wie ein Luchs – und das Kleingedruckte über Zutaten und Mengenangaben möglichst genau studieren. Das nervt immer mehr Bundesbürger: Rund 72 Prozent der Verbraucher fühlen sich im Supermarkt oft getäuscht und an der Nase herumgeführt, wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) jetzt bei einer neuen Studie herausgefunden hat. Jeder Zweite ärgere sich, dass unzählige Produkte nicht das halten, was ihre Aufmachung verspricht. Trotzdem geben viele Konsumenten immer wieder deutlich mehr Geld aus als eigentlich geplant. Die AZ hat die ärgerlichsten Tricksereien einmal unter die Lupe genommen.
Gängige Täuschungsmanöver
Erdbeerquark mit „extra viel Frucht“, Apfelkuchen „aus unserer Region“, Schafskäse „nach traditioneller Art“ oder Putensalami: Was auf der Verpackung so vollmundig und appetitlich bebildert angekündigt wird, kann das Produkt oft gar nicht halten. Die Trickkiste ist riesig: Da werden Früchte in Joghurt oder Quark durch kostengünstige Aromen ersetzt. Ein Gramm Aroma gibt einem Kilo Lebensmittel den Wunschgeschmack. Das ist erlaubt und gilt sogar für Tiefkühlobst, eingelegte Gurken, Margarine oder Fischkonserven. In der Putensalami steckt vor allem Schweinefleisch drin, im Rucola-Pesto vorrangig Petersilie und im Wellness-Wasser Aroma. Der Maracujasaft strotzt vor Orangenextrakt, der vermeintlich griechische Schafskäse ist aus der billigeren Kuhmilch gemacht und die Äpfel auf dem Kuchen stammen garantiert nicht aus der Heimatregion.
Nicht einmal auf Angaben wie „ohne Konservierungsstoffe“ oder „ohne Geschmacksverstärker“ ist Verlass, wie Verbraucherschützer warnen. Damit werde Getränken, Milchprodukten, TK- oder Fertiggerichten ein natürliches Image angeheftet. Mehr steckt nicht dahinter. Viele Bezeichnungen sind nicht geschützt und werden nach Gusto verwendet.
Was kann ich tun? Was die Täuschungsmanöver entlarvt, ist ein Blick auf die Zutatenliste. Die muss vollständig sein: Spätestens da sehen Sie, ob wirklich Erdbeeren drin sind oder vielleicht doch auch Konservierungsstoffe.
Billig-Imitate
Angefangen hat es mit „Analogkäse“. Das Imitat sieht aus und schmeckt wie Käse, hat mit dem Naturprodukt aus Milch aber nichts zu tun. Es wird preisgünstig kreiert aus Eiweiß, Pflanzenfetten, Verdickungsmitteln, Geschmacksverstärkern, Aroma- und Farbstoffen. Dazugekommen sind mittlerweile jede Menge Schinkenimitate, in denen nur noch etwa 60 Prozent echtes Fleisch drin steckt. Der Rest besteht aus Wasser, Binde- und Verdickungsmitteln. Analogkäse und Schinkennachbauten sind auf Pizzen und in Nudelgerichten zu finden – in Fertigessen wie in der Gastronomie. Käseimitate zieren häufig auch überbackene Baguettes.
Außerdem zuhauf im Angebot: Nachgeahmte Garnelen, Surimi genannt. In dem laborgeformten, gefärbten und aromatisierten Fischbrei ist von Garnelen keine Spur zu finden. Trotzdem landet er in Meeresfrüchtecocktails.
Nachbauten machen Essen billiger. Grundsätzlich sind Imitate erlaubt, solange sie als solche ausgewiesen werden. Nur: Die Lebensmittelüberwachung der Länder findet immer wieder falsch deklarierte Produkte, auch in der Gastronomie, wie die Verbraucherzentrale Hamburg kritisiert.
Was kann ich tun? Verbraucher haben nur eine Chance, wenn Händler und Gastronomen fair sind.
Klebefleisch
Von wegen Steak: Das Enzym Transglutaminase macht es möglich, Fleischfetzen zu einem ganzen Stück zusammenzufügen. Es wird aus einem Bakterium gewonnen, Streptomyces mobaraensis, und vernetzt die Proteinstränge in Nahrungsmitteln wie ein Kleber. So entstehen im Labor täuschend echte Scheiben Rinderfilet, Nussschinken, Hühnerschnitzel aus Hühnchen- und Perlhuhn-Teilen. Oder eine Scheibe Fisch aus Resten. Eine neue Qualität der Irreführung, kritisiert Jutta Jaksche vom vzbv. Das Enzym macht zudem Würstchen knackiger, Schinkenscheiben fester, Joghurt haltbarer.
Transglutaminase ist erlaubt, nicht gesundheitsbedenklich und in der Lebensmittelindustrie neuerdings gang und gäbe. Das Ausgangsmaterial für ein Mogel-Steak, also Reste, sind billiger als gewachsenes Fleisch. Eigentlich müsste es auf der Verpackung stehen, wenn das Enzym im Spiel war. Auch in Metzgereien, Gaststätten und Kantinen muss informiert werden. Nur halten sich Erzeuger, Handel und Gastronomie „vielfach nicht an die Kennzeichnungspflicht“, bemängelt Sabine Klein von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen
Was kann ich tun? Kunden haben bislang kaum eine Möglichkeit, Mogel-Fleisch zu erkennen. Selbst Lebensmittelkontrolleure können Geklebtes erst im Labor ausmachen. Ein Reinheitsgebot für Fleisch gibt es nicht.
Mogelpackungen
Das ist ein beliebter Trick für versteckte Preiserhöhungen: Kleinere Schokoriegel, weniger Wurst im Wurstsalat, weniger Butter in neuer Verpackung – aber alles fürs gleiche Geld. An jeder Ecke im Supermarkt lauert dieser Trick. Die Füllmengen vieler Produkte schrumpfen seit Jahren schon, ohne dass es auf den ersten Blick auffällt. „Die Methoden, mit denen immer weniger Produkt zum gleichen Preis in den Regalen landet, werden immer raffinierter“, hat Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg beobachtet.
Augen auf: Weniger Inhalt zum gleichen Preis wird gern durch Rezepturänderungen kaschiert. So wird auf dem Etikett extra hervorgehoben: plus 15 Prozent Schinkenwurst, tatsächlich sind in der Wurstsalat-Schale aber nur noch 150 statt 200 Gramm drin. Auch in neu designten Verpackungen für Waschmittel, Cremes oder Süßigkeiten ist oft weniger drin. Nur der Preis ist der alte. Getrickst wird zudem mit unterschiedlichen Füllmengen zum identischen Preis, je nach Supermarkt. Beispiel Haribo-Gummibärchen: Bei Discountern gibt es sie in 300-Gramm-Tüten, im Supermarkt sind nur 200 Gramm drin. Der Preis ist mit 89 Cent aber überall gleich hoch. Nach diesem Prinzip werden auch Marken-Cornflakes, Mini-Käse-Laibchen oder Marken-Cola vermarktet. Wer verschleierte Preiserhöhungen bemerkt, kann das bei der Hamburger Verbraucherzentrale per e-mail melden: ernaehrung@vzhh.de. Oder unter www.lebensmittelklarheit.de.
Was kann ich tun? Konsumenten gehen den Tricks nicht auf den Leim, wenn sie auch auf die Füllmenge des Artikels achten, nicht allein auf den Preis der Packung. Grundsätzlich hilfreich beim Vergleichen ist der Grundpreis von Waren, der seit 2000 am Regal ausgewiesen sein muss.
Die Einkaufsfallen im Supermarkt
Dass Verbraucher beim schnellen Einkauf oft mehr ausgeben, als sie vorhatten, ist kein Zufall. Der Handel setzt auf Verführung. Es beginnt schon mit den Einkaufswagen. Sie sind viel größer als früher und auch die Kinder haben eigene Mini-Wagen. Da passt mehr rein. Die Gänge im Supermarkt sind lang, eng und führen oft gegen den Uhrzeigersinn herum. Die Kühlregale sind immer ganz weit hinten platziert. Wer nur schnell Milch kaufen will, muss mit gebremstem Tempo durch den halben Laden laufen, gezielt an viel Ware und Sonderangeboten im Ständer vorbei. Das bringt Umsatz. Teures steht meist auf Augenhöhe, damit es zuerst entdeckt wird. Günstigeres ist ganz unten oder oben im Regal – und das mit System: Bück- und Streckware ist unbequemer zu erreichen, Menschen sind häufig träge.
Dass Obst und Gemüse oft am Eingang stehen, soll signalisieren: Bleib stehen, greif zu. An der Fleischtheke ist gern Rotlicht im Einsatz. Das hübscht die Ware auf. Dezente Musik soll für Kauflaune sorgen. Kunden, die sich wohl fühlen, legen laut Studien bis zu 20 Prozent mehr in den Korb. Vor der Kasse liegt dann die „Quengelware“, also Süßes für die Kinder. Oder die „Impulsware“, Zigaretten und Kaugummis für Erwachsene. Denn: Auf den letzten Metern zur Kasse gibt es die meisten Spontankäufe.
Was kann ich tun? Wer durchschaut, wie er zum Kaufen angeregt wird, kann besser widerstehen.